Je mehr Mikroplastik wilde Seevögel wie Eissturmvogel und Corysturmtaucher mit der Nahrung aufnehmen, desto stärker verändert sich die mikrobielle Vielfalt im Darm. Die Folge: vorteilhafte, „gute“ Bakterien nehmen ab und Krankheitserreger zu. Dies kann nicht nur kurzfristig individuelle Schäden, sondern möglicherweise langfristig artübergreifende Folgen haben, da eine Anreicherung der Schadstoffe über die Nahrungskette zu erwarten ist, so Forschende der Universität Ulm zusammen mit Partnern aus Portugal und Kanada.
Je mehr Mikroplastik im Darm von Seevögeln ist, desto mehr verändert sich die mikrobielle Vielfalt, mit der Folge, dass vorteilhafte, „gute“ Bakterien abnehmen und Krankheitserreger sowie antibiotikaresistente und plastikabbauende Mikroben zunehmen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie am Darmmikrobiom von Wildvögeln.
Die Verschmutzung der Umwelt durch Mikroplastik, also Plastikteilchen, die kleiner als fünf Millimeter sind, ist ein hochaktuelles Problem. Dieses Plastik – oft durch den Zerfall größerer Kunststoffteile entstanden – taucht inzwischen überall auf. Sogar in der Tiefsee und abgelegenen Gegenden wie der Antarktis konnte Mikroplastik nachgewiesen werden.
Noch gibt es kaum wirkungsvolle Maßnahmen, um die weltweite Verschmutzung mit Mikroplastik systematisch einzudämmen oder zu bekämpfen.
„Dies liegt wahrscheinlich daran, dass zurzeit wenige systematische Beweise dafür vorliegen, dass bereits die vorhandenen Mengen an Mikroplastik in der Umwelt sich negativ auf die Gesundheit von betroffenen Arten auswirkt“, erklärt die Erstautorin Gloria Fackelmann, die diese Studie im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik der Universität Ulm durchgeführt hat.
Sie verfolgt damit einen interdisziplinären Ansatz zwischen Mikroplastik- und Mikrobiomforschung.
In ihrer Studie haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Darmmikrobiom von zwei weit verbreiteten Seevogelarten, dem Eissturmvogel (Fulmarus glacialis) und dem Corysturmtaucher (Calonectris borealis), untersucht. Beide Arten leben vor allem in Hochseegebieten und ernähren sich von marinen Weichtieren, Krebsen und Fischen. Außerdem ziehen beide Arten im Jahresverlauf Tausende von Kilometern weit und lassen so globale Rückschlüsse zu. Calonectris borealis-Individuen wurden auf den Azoren (Portugal) von Dr. Christopher Pham und Yasmina Rodríguez beprobt; die Fulmarus glacialis-Tiere wurden in der kanadischen Baffin Bay von Professor Mark Mallory, Dr. Jennifer Provencher und Julia Baak untersucht.
In der Untersuchung haben die Forschenden das Darmmikrobiom der 85 untersuchten Tiere mittels einer Hochdurchsatz-Sequenzierung charakterisiert. Das Mikroplastik, das aus dem Magen-Darm-Trakt der sezierten Seevögel über ein 1-mm-Sieb gefiltert wurde, ist unter einem Lichtmikroskop untersucht worden und nach einem Standardprotokoll für Seevögel charakterisiert.
Die Aufnahme von Mikroplastik verändert die Mikrobengemeinschaften im gesamten Magen-Darm-Trakt der Seevogelarten. Die Menge an Mikroplastik im Darm korreliert signifikant mit der mikrobiellen Vielfalt und Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft des Darms: Mikroplastik war mit einer Abnahme der kommensalen Bakterien und einer Zunahme von (zoonotischen) Krankheitserregern, antibiotikaresistenten und plastikabbauenden Mikroben verbunden.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler legen einen besonderen Schwerpunkt auf das Darmmikrobiom als Indikator für die Gesundheit und als Schlüsselkomponente für die Immunität und das Wohlbefinden des Wirtstiers. Je mehr Mikroplastik im Darm gefunden wurde, desto weniger kommensale Mikroben, die zur normalen und gesunden Funktion des Darms beitragen, konnten nachgewiesen werden. Kommensale Bakterien üben essenzielle Funktionen im Körper aus, die weit über Verdauung und den Nährstoffstoffwechsel hinausgehen, und zum Beispiel in der Immunmodulation und dem Schutz gegen Krankheitserreger eine zentrale Rolle spielen. Störungen beeinträchtigen somit viele gesundheitsrelevante Prozesse und können zu Erkrankungen des Wirts führen.
Die genauen Mechanismen hinter den Auswirkungen von Mikroplastik auf das Darmmikrobiom von Wildtieren sind nicht bekannt, aber die Forschenden haben bereits verschiedene mögliche Szenarien dargestellt.
„Neben Folgen von mechanischen Verletzungen könnten dafür mit dem Mikroplastik verschleppte Pathogene oder chemische Störungen durch die Plastikpolymere infrage kommen“, erläutert Institutsleiterin Professorin Simone Sommer.
Das übergeordnete Ziel der Forschenden besteht darin, besser zu verstehen, ob und wie Organismen betroffen sind, deren Nahrung chronisch mit Mikroplastik belastet ist.
Der interdisziplinäre Ansatz zwischen Mikroplastik- und Mikrobiomforschung ist innovativ. Bislang wurden nur wenige Pilotstudien dazu veröffentlicht, deren Laborergebnisse aber auf hohen Konzentrationen von Mikroplastik beruhen. Diese sind oft nicht repräsentativ für die in der Natur beobachteten Konzentrationen.
Die neue Studie des Instituts für Evolutionsökologie und Wildtiergenomik der Uni Ulm zeigt jedoch, dass bereits bei Mikroplastik-Konzentrationen, wie sie in der Umwelt vorkommen, Veränderungen des Mikrobioms auftreten, wenn sie von relevanten Arten aufgenommen werden. Dies kann nicht nur kurzfristig individuelle Schäden, sondern möglicherweise langfristig artübergreifende Folgen haben, da eine Anreicherung der Schadstoffe über die Nahrungskette zu erwarten ist.
„Unsere Schlussfolgerungen spiegeln die aktuelle Situation in freier Wildbahn wider. Da der Mensch auch aus der Umwelt und durch die Nahrung Mikroplastik aufnimmt, sollten diese Untersuchungen als Warnzeichen auch für uns Menschen gelten“, so die Autorinnen und Autoren der Studie.