Die Verschmutzung der Umwelt mit Chemikalien bedroht die Artenvielfalt und unsere Ökosysteme. Forschung zum Biodiversitätsverlust nehme den Einfluss der Umweltverschmutzung jedoch noch unzureichend in den Blick: Belege dafür liefern internationale Wissenschafter*innen in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Global Change Biology“. In dem Beitrag unter der Hauptautorenschaft von Gabriel Sigmund vom Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien und Ksenia Groh vom Wasserforschungsinstitut Eawag (Schweiz) appellieren die Forschenden für eine engere Zusammenarbeit von Ökologie, Ökotoxikologie und Umweltwissenschaften. Sie liefern Impulse für eine engere Verknüpfung der Forschungsbereiche, um gemeinsam Lösungen für Bedrohungen der planetaren Gesundheit zu finden. Einen solchen interdisziplinären Ansatz verfolgt auch das neue Cluster of Excellence „Microbiomes Drive Planetary Health“ unter der Leitung der Universität Wien.
„Die meisten Studien, die sich mit dem globalen Wandel von Ökosystemfunktionen und Biodiversität beschäftigen, ignorieren chemische Verschmutzung als wichtigen Einflussfaktor“, erklärt Gabriel Sigmund, Studienleiter und Umweltwissenschafter am Department für Umweltgeowissenschaften der Universität Wien. „Tatsächlich sind diese Dreifachkrisen aber eng miteinander verknüpft“, betont er.
Zahlreiche hochproblematische Chemikalien bedrohten die Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten sowie der Mikroorganismen, die eine zentrale Rolle für die Funktionsweise von Ökosystemen spielen. Einzeldisziplinen könnten diese komplexen Zusammenhänge oft nicht ausreichend abbilden. „Bis vor kurzem war es auch methodisch sehr schwierig, diese Verknüpfungen über Einzelorganismen hinaus verlässlich zu untersuchen“ erklärt Thilo Hofmann, der als Co-Autor auch an der Studie beteiligt war. Dies habe sich jedoch geändert, ergänzt Sigmund: „Jüngere Entwicklungen in den Einzeldisziplinen machen es mittlerweile möglich, umfassende Studien durchzuführen, die die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Chemikalien und Ökosystemen effizient untersuchen.“
Chemikalien verringern Widerstandsfähigkeit von Lebewesen
Im nun veröffentlichten Aufsatz liefern die internationalen Wissenschafter einen anschaulichen Überblick über die Auswirkungen chemischer Stoffe auf die biologische Vielfalt und die Ökosysteme. Sie zeigen auf, dass chemischen Schadstoffe sowohl direkt als auch indirekt auf Organismen in der Umwelt wirken und damit zum Rückgang oder sogar zum Aussterben empfindlicher Arten beitragen können.
Passen sich Pflanzen und Tiere an die chemische Belastung an, kann sich außerdem ihre genetische Vielfalt verringern. Nimmt die genetische Vielfalt der Lebewesen ab, dann sinkt auch ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Stressfaktoren wie der globalen Erwärmung und anderen Aspekten des globalen Wandels. Solche indirekten Effekte der chemischen Verschmutzung und unzählige weitere Wechselwirkungen mit anderen Stoffen, können die biologische Vielfalt und ganze Ökosysteme bedrohen.
Einfluss chemischer Verschmutzung auf Mikrobiome und planetare Gesundheit
Im Fokus stehen hierbei Gemeinschaften von Mikroorganismen, so genannte Mikrobiome, welche die Gesundheit von Ökosystemen beeinflussen. Das aktuell vom Wissenschaftsfonds FWF bewilligte Cluster of Excellence „Microbiomes Drive Planetary Health“ unter der Leitung des Mikrobiologen Michael Wagner vom Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien, erforscht diesen Aspekt interdisziplinär. „In einem der Arbeitspakete werden wir zum Beispiel untersuchen, wie Schadstoffe aus Mikroplastik oder Nanopartikel das Mikrobiom in verschiedenen Umweltsystemen beeinflussen, aber auch, wie Umweltmikrobiome helfen, Schadstoffe natürlich abzubauen“, erklärt Hofmann, der mit seinem Team an dem Forschungskonsortium beteiligt ist.
Neue Methoden ermöglichen umfassende Untersuchungen
Wichtige neue Erkenntnisse und Methoden einzelner Disziplinen böten eine vielversprechende Gelegenheit, um gemeinsam innovative Lösungen für den Umweltschutz zu entwickeln. „Hierbei können sich neue Entwicklungen in der Umweltanalytik, der Molekularbiologie sowie der Modellierung komplexer Datensätze sehr gut ergänzen“, erklärt Hofmann. Er ergänzt: „Dadurch werden breitere und systematische Untersuchungen greifbar, die verlässlichere Einschätzungen zum Einfluss der chemischen Verschmutzung auf die planetare Gesundheit ermöglichen. Letzteres ist eines der Ziele unseres Exzellenzclusters.“ Der nun in „Global Change Biology“ erschienene Aufsatz führt konkrete Beispiele dafür auf, wie komplexe chemische Wirkungen allein durch interdisziplinäre Zusammenarbeit aufgedeckt werden konnten. „Wir wollen Forschenden mit dieser Studie erste Ansätze und Ideen zu Seite stellen, wie sie Brücken zwischen den Disziplinen schlagen könnten“, sagt Co-Erstautor Sigmund. Das Potenzial, das darin liege, sei groß. „Wir haben jetzt eine einmalige Gelegenheit ein ganzes neues Feld gemeinsam zu erkunden,“ fügt er hinzu.