Wellenkraft für die Energiewende

Langsam geht es hinunter ins Hafenbecken der GERMAN NAVAL YARDS. Hier sollen erste Funktionstests durchgeführt werden. Svetlana Grigorieva

„Ich taufe dich auf den Namen Aurelia WINO!“ Gleich der erste Versuch von Taufpatin Dr. Julia Körner, der stellvertretenden Hauptgeschäftsführerin der IHK zu Kiel, sitzt. Klirrend zerspringt die Sektflasche am 12 Meter hohen Prototypen des Wellenkraftwerks. Danach hebt der Kran das ca. 8 Tonnen schwere Kraftwerk in das Hafenbecken, um in den nächsten Wochen erste Funktionstests durchführen zu können.

Viele haben an der Entwicklung und dem Bau des Wellenkraftwerks mitgewirkt: Über Studien- und Abschlussarbeiten und als studentische Hilfskräfte waren zwölf Studenten der FH Kiel am Forschungs- und Entwicklungsprojekt beteiligt; 28 Auszubildende der GERMAN NAVAL YARDS und der ThyssenKrupp Marine Systems GmbH bauten mit Unterstützung ihrer Ausbildungsleiter und Berufsschullehrer den Prototypen.

„Wir sind stolz darauf, dieses Projekt gemeinsam mit unseren Auszubildenden durchgeführt zu haben“, sagt Helge Krambeck, Manager Ausrüstung und Ausbildungsleiter der GERMAN NAVAL YARDS. „Alles in allem ein sehr anspruchsvolles und interessantes Projekt, bei dem die Auszubildenden viele Zusammenhänge aus den Bereichen Planung, unterschiedliche Fertigungsverfahren, Materialbestellung und Koordinierung der verschiedenen Gewerke gelernt haben.“

Der Ingenieur Andreas Glaß betreute den Bau von Seiten der Fachhochschule Kiel und pendelte mehrmals die Woche zwischen seinem Büro auf dem Campus und der Halle 11 auf dem Werftgelände. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter stieg er im Januar 2020 in das Projekt ein. Zuvor hatte Glaß an der FH Kiel den Bachelorstudiengang Offshore Anlagentechnik und den Masterstudiengang Maschinenbau absolviert. „Mich hat die Vielseitigkeit der Aufgabe gereizt“, erklärt Glaß.

„Wir mussten numerische Berechnungen in der Hydro- und Strukturdynamik anstellen, haben Experimente im Strömungs- und Wellenlabor vom Institut für Schiffbau und maritime Technik durchgeführt, den Prototypen entwickelt und am Ende durfte ich die Fertigung bei GERMAN NAVAL YARDS betreuen. Diese technisch anspruchsvolle Aufgabe zu meistern, war eine einmalige Chance für mich.“

Das Kieler Wellenkraftwerk nutzt das Energiepotenzial der Wellen, indem ein Schwimmkörper eine vertikale Bewegung relativ zu einer Stab-Boje durchführt. „Durch diese Relativbewegung wird eine Hubstange angetrieben, an der zwei Linear-Generatoren montiert sind. Die Generatoren werden durch ein Magnetfeld hindurchgeführt und erzeugen – gemäß dem Induktionsprinzip – elektrische Energie“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Christian Keindorf, der das Forschungsvorhaben initiiert und geleitet hat.

Mit dem Bau des Prototyps sind erste wichtige Schritte geschafft. Einsatzmöglichkeiten für das Wellenkraftwerk sieht der Professor für Erneuerbare Offshore Energien anfangs in der elektrischen Versorgung natürlicher und künstlicher Inseln oder von Offshore-Aqua-Farmen und Messstationen. Keindorfs Vision ist aber weitaus ehrgeiziger: Er träumt von hybriden Offshore-Parks, in denen einzelne Wellenkraftwerke zwischen Windenergieanlagen platziert werden. So könnten Seegebiete, die ohnehin für die Energieerzeugung reserviert sind, noch viel effizienter genutzt werden.

Das ist allerdings noch Zukunftsmusik. Zunächst müsste das Wellenkraftwerk ein paar Monate auf hoher See getestet werden. Mit der Offshore-Forschungsplattform FINO3 rund 80 Kilometer westlich vor Sylt stünde auch der passende Standort zur Verfügung ¬– zumal die Plattform von der Forschungs- und Entwicklungszentrum Fachhochschule Kiel GmbH betrieben wird.

„Allerdings suchen wir noch Kooperationspartner, um den Transport und die Installation auf hoher See finanzieren und durchführen zu können“, erklärt Keindorf. „Wir müssen die technologische Herausforderung meistern, um auch bei harschen Umgebungsbedingungen Wellenenergie ernten und in grünen Strom umwandeln zu können. Ich würde mich freuen, wenn wir mit unserer Forschungsarbeit einen signifikanten Beitrag für einen weiteren Baustein der Energiewende leisten.“

 

Andreas Glaß (rechts ) und Prof. Dr.-Ing. Christian Keindorf haben den Prototypen des Wellenkraftwerks entwickelt. Grigorieva

Technische Daten:

Gesamthöhe des Wellenkraftwerks: ca. 12 m

Gesamtgewicht: ca. 8,2 Tonnen

Durchmesser vom Schwimmkörper: 2,5 m

Hubweg des Schwimmkörpers: 1,8 m

Lineargeneratoren: 2 x 16 kW elektrische Spitzenleistung
(modular erweiterbar auf 128 kW)

Bedeutung des Namens
Die Namensgeber haben den Namen „Aurelia WINO“ zum einen aus der wissenschaftlichen Bezeichnung der Ohrenqualle (Aurelia aurita) abgeleitet, weil das Wellenkraftwerk optisch an eine Qualle erinnert und sich auch ähnlich im Wasser bewegt. Der zweite Namensteil leitet sich aus dem avisierten Testgebiet ab: Wellenkraftwerk in Nord- und Ostsee (WINO).