Unbekannte Arten bestimmen die Vielfalt der Biodiversität

20 Insektenfamilien weltweit sind für 50 Prozent der Artenvielfalt der Fluginsekten verantwortlich – egal ob auf heimischen Wiesen oder in tropischen Wäldern. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommen Wissenschaftler des Museums für Naturkunde Berlin, der Nationalen Universität Singapur, der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften und der Universität von Kalifornien (Riverside). Mit neuen Sequenzierungstechnologien werteten sie dafür Proben aus acht Ländern und zahlreichen Lebensräumen aus, die in allen fünf biogeografischen Regionen gesammelt worden waren.

Der Verlust der biologischen Vielfalt ist, so stellt der Global Risks Report des Weltwirtschaftsforums 2023 fest, eines der drei größten Risiken, mit denen die Menschheit konfrontiert ist. Um dem rasanten Verlust zu begegnen und so die Gesundheit des Planeten zu stärken, müssen die Grundbausteine der biologischen Vielfalt bekannt sein. Nur dann können Veränderungen erfasst, Einflussfaktoren identifiziert und geeignete politische Maßnahmen umgesetzt werden.

Ein Großteil der terrestrischen Tiervielfalt, zu denen die Insekten zählen, ist jedoch unbekannt – eben Dark Taxa. „So liegen im Informationsportal zur weltweiten Biodiversität, dem GBIF, neunmal mehr Informationen zu Vögeln vor als zu Insekten und anderen Gliederfüßlern, dabei machen die Vögel nur 0,2 Prozent der biologischen Vielfalt aus.

Um dieses gravierende Defizit zu beheben und effektives Handeln für Natur zu ermöglichen, quantifiziert die vorliegende Studie unsere Wissensdefizite“, erklärt Prof. Rudolf Meier, Leiter des Zentrums für Integrative Biodiversitätsentdeckung am Museum für Naturkunde Berlin und fügt hinzu: „Es ist zentral, mehr über Insekten zu erfahren, machen alle Insekten zusammen doch ein Vielfaches der Biomasse und Artenvielfalt aller Wirbeltiere aus. Sie sind überlebenswichtig.“

Um die globale taxonomische Zusammensetzung von Fluginsekten zu bestimmen, fingen die Forschenden sie in Malaise-Fallen. Diese standardisierten Fallen werden weithin im globalen Biomonitoring-Programmen eingesetzt. Allerdings stellt die Analyse der Proben eine große Herausforderung dar, wenn die Tiere einzeln ausgewertet werden. Doch dank jüngster Fortschritte bei den Sequenzierungstechnologien kann die Artenvielfalt über die Sequenzierung von „DNA-Barcodes“ ermittelt werden.

In der vorliegenden Studie insgesamt 225.261 Exemplare von circa 25.000 Arten ausgewertet, die zu 458 unterschiedlichen Familien gehören. „Überraschend ist, dass 10 bis 20 Familien die Gemeinschaften der fliegenden Insekten weltweit dominieren“, sagt Dr. Amrita Srivathsan, Erstautorin der Studie.

„Das ist wirklich bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Proben über verschiedene Klimazonen und Lebensraumtypen gesammelt wurden, darunter tropische Regenwälder, Bergwälder, Savannen, Mangroven und Sümpfe aber auch Wiesen aus der gemäßigten Zone.“ Nur in Australien und in der Antarktis wurden keine Proben genommen.

Das Bestimmen der beschriebenen und das Beschreiben der unbeschriebenen Arten, bleibt eine der größten Herausforderungen für die moderne Biologie. Mehr als 80 Prozent der Tierarten, so die Autoren, seien immer noch unbeschrieben. „Mit anderen Worten: Ein sehr großer Teil der Artenvielfalt der Landtiere ist der Wissenschaft nicht nur unbekannt, sondern wird dies auch in absehbarer Zukunft bleiben, wenn solche „dunklen Taxa“ nicht zu einem bevorzugten Ziel der Biodiversitätsforschung werden.“