Wie können Menschen kollektiv handeln, um in einem komplexen System mit der Umwelt nachhaltige Entwicklungspfade einzuschlagen? Dieser Frage geht Jun.-Prof. Dr. Wolfram Barfuss nach, neuer Argelander-Professor im Transdisziplinären Forschungsbereich „Innovation und Technologie für eine nachhaltige Zukunft“ (TRA Sustainable Futures) der Universität Bonn. Er entwickelt mathematische Modelle des kollektiven Lernens und verbindet verschiedene Forschungsbereiche miteinander – darunter die der Komplexen Systeme, Künstlichen Intelligenz und Sozialökologie. Das Ziel: kritische Hebelpunkte für den Übergang zur Nachhaltigkeit zu identifizieren.
„Um unsere ökologischen Lebensgrundlagen zu erhalten, ist es unerlässlich, dass sich Menschen zusammenschließen und im Kollektiv handeln“, sagt Jun.-Prof. Dr. Wolfram Barfuss. Wie genau so ein kollektives Verhalten zustande kommt, ist derzeit aber noch ungelöst. Um mehr darüber herauszufinden, entwickelt Barfuss neue mathematische Modellierungen. Das Ziel: ein besseres Verständnis darüber, wie intelligente Akteure in komplexen Umgebungen gemeinsam nach Wegen suchen, ihr Wohlergehen zu verbessern. Intelligente Akteure können zum Beispiel Staaten, Städte, Unternehmen oder Haushalte sein. Sie müssen sich jeweils zwischen verschiedenen Handlungsoptionen entscheiden – etwa zu politischen Maßnahmen, Technologienutzungen oder zum Lebensstil. „Wir untersuchen dabei die Bedingungen für plötzlich auftretende soziale Kipppunkte“, erklärt Barfuss.
Soziale Kipppunkte gehen zunächst von Minderheiten aus, können aber den Anstoß zu grundlegenden Veränderungen im kollektiven Verhalten geben. Dazu gehören zum Beispiel innovative Verkehrskonzepte und CO2-Bepreisungsmechanismen, aber auch individuelle Entscheidungen, beispielsweise mehr pflanzlich zu essen oder vermehrt regional Ferien zu machen. Ein viel studierter Mechanismus ist das Prinzip der Ansteckung: Menschen lassen sich von Verhaltensänderungen anderer beeinflussen und schauen sie sich ab. Aber welche weiteren Mechanismen existieren?
„Mein Ziel ist es, die Modellierung von Mensch-Umwelt-Systemen neu zu gestalten, um so kritische Hebelpunkte für den Übergang zur Nachhaltigkeit zu identifizieren“, sagt Wolfram Barfuss.
Dazu entwickeln er und sein Team mathematische Modelle des kollektiven Lernens und verbinden dabei Ideen aus verschiedenen Forschungsbereichen – dazu gehören komplexe, adaptive Systeme, die Kognitionswissenschaft, die Künstliche Intelligenz (insbesondere das Multi-Agenten-Lernen) und die Sozialökologie. Das Ziel ist ein neues Mensch-Umwelt-Modellierungswerkzeug, das frei zur Verfügung gestellt und kontinuierlich erweitert werden soll, sodass es von Forschenden aus verschiedenen Disziplinen genutzt werden kann.
Die Argelander-Professuren an den Schnittstellen von Disziplinen
Wolfram Barfuss‘ Argelander-Professur ist im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Sustainable Futures“ der Universität Bonn verankert. Das Ziel der Argelander-Professuren für Nachwuchsforschende (benannt nach dem Bonner Astronomen Friedrich Wilhelm August Argelander, 1799-1875) ist es, das Forschungsprofil der sechs Transdisziplinären Forschungsbereiche der Universität Bonn auszubauen. Hier bearbeiten Forschende über die Grenzen von Fächern und Fakultäten hinweg gemeinsam zukunftsrelevante Fragestellungen.
Prof. Dr. Jan Börner, Sprecher des Transdisziplinären Forschungsbereichs „Sustainable Futures“, betont:
„Wir erhoffen uns von der neuen Argelander Professur, dass sich uns neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit eröffnen – zum einen mit den Grundlagenwissenschaften, zum Beispiel in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, zum anderen mit der angewandten Forschung und Technologieentwicklung, zum Beispiel in der Landwirtschaftlichen Fakultät.“
Das biete sich vor allem im Bereich der Modellierung komplexer Systeme an. „Hier gibt es sowohl hochaktuelle Fragestellungen im Kontext der Nachhaltigkeitsforschung, etwa die Transformation der Ernährungs- und Energiesysteme, als auch spannende methodische Entwicklungen, die wir so zusammenbringen können.“
„Kooperationen mit anderen Forschungsgruppen sind für den Erfolg des Vorhabens von entscheidender Bedeutung“, betont Wolfram Barfuss. „Die Universität Bonn bietet hier zahlreiche Anknüpfungspunkte, sowohl in der Methodenentwicklung, als auch für die Anwendung.“ Am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) stellt er einen engen Bezug zu den konkreten Herausforderungen der Nachhaltigkeitstransformationen her. Darüber hinaus sind Kooperationen mit dem Transdisziplinären Forschungsbereich „Modelling“, dem Exzellenzcluster „PhenoRob“, Sonderforschungsbereichen und weiteren Initiativen der Universität Bonn geplant.