Die menschengemachte Erderhitzung hat seit der vor zwei Jahren veröffentlichten letzten großen Bewertung des Klimasystems in einem „beispiellosen Tempo“ weiter zugenommen, sagen 50 führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie haben eine Open-Data- und Open-Science-Plattform entwickelt – die „Indikatoren des globalen Klimawandels“, die künftig jährlich aktualisiert werden. Zu der von der Universität Leeds geleiteten Initiative gehört auch das Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change).
„Die Analyse ist ein Weckruf, dass Tempo und Umfang der Klimaschutzmaßnahmen unzureichend sind“, sagt Jan Minx, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung und Co-Autor der Studie. Diese erscheint zur Bonner Vorkonferenz für den Weltklimagipfel COP28 im Dezember in Dubai, der unter anderem eine Bestandsaufnahme bringen soll, welche Fortschritte erzielt wurden auf dem Weg zur Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 Grad bis 2050.
„Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich das globale Klimasystem verändert, brauchen Politik, Klimadiplomatie und Zivilgesellschaft Zugang zu aktuellen und soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen als Entscheidungsgrundlage.“
Die Studie legt dar, wie sich die Schlüsselindikatoren veränderten, seit der Weltklimarat IPCC im Jahr 2021 den Band 1 des sechsten Sachstandsberichts veröffentlichte. Das Update ergibt: Die menschengemachte Erderhitzung, größtenteils Folge der Verbrennung fossiler Brennstoffe, lag im letzten Jahrzehnt (2013 bis 2022) durchschnittlich 1,14 Grad über dem vorindustriellen Niveau, gegenüber 1,07 Grad zwischen 2010 und 2019. Die menschengemachte Erderhitzung steigt nun um über 0,2 Grad pro Jahrzehnt.
Die Analyse zeigt für die Treibhausgasemissionen ein „Allzeithoch“
Durch menschliche Aktivitäten kamen im letzten Jahrzehnt (2012-2021) durchschnittlich 54 Gigatonnen Kohlendioxid-Äquivalente pro Jahr in die Atmosphäre. William Lamb, Wissenschaftler am MCC und ebenfalls ein Co-Autor, betont:
„Trotz aller Diskussionen um Netto-Null-Ziele haben wir es als globale Gesellschaft nicht geschafft, bei den Emissionen die Trendwende zu schaffen. Es muss oberste Priorität der internationalen Klimadiplomatie sein, den Emissionspfad nach unten zu korrigieren und eine Ära der globalen Emissionsreduzierung einzuleiten.“
Das CO₂-Restbudget, dessen Freisetzung die Erderhitzung noch mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit auf 1,5 Grad begrenzt, wird für Anfang 2023 auf etwa 250 Gigatonnen geschätzt – im Jahr 2020 hatte es der IPCC auf etwa 500 Gigatonnen geschätzt. (Anmerkung: Diese Zahlen sind nicht mit den Ausgangsgrößen für die CO₂-Uhr des MCC vergleichbar. Dort ist die jährliche Emissionsrate nur CO₂, bei der Restbudget-Berechnung wird der Beitrag anderer Treibhausgase zur Erderhitzung im Voraus abgezogen, und das Restbudget bezieht sich auf 67 statt 50 Prozent Wahrscheinlichkeit fürs Einhalten des Temperaturziels.)
Piers Forster, Direktor des Priestley Centre for Climate Futures Leeds und Leitautor der Studie, sagt:
„Das CO₂-Budget wird wegen einer dreifachen Belastung wohl in wenigen Jahren erschöpft sein: sehr hohe CO₂-Emissionen, mehr sonstige Treibhausgasemissionen und auch verringerte Feinstaubbelastung in der Luft, die eine kühlende Wirkung hat. Wenn wir nicht wollen, dass das 1,5-Grad-Ziel in unserem Rückspiegel verschwindet, muss die Welt viel härter daran arbeiten, die Emissionen zu senken.“
Die Website des Forschungsnetzwerks ergänzt das erfolgreiche Klima-Dashboard „Climate Change Tracker“. Für dessen Entwicklung hat die Software-Branche Ideen aus der Finanzindustrie übernommen, wie sich komplexe Informationen öffentlichkeitswirksam präsentieren lassen.