TU Berlin: Fütterungssystem zur Bioplastik-Produktion

Ausgangsprodukt für die PHA-Gewinnung: braun glänzendes tierisches Abfallfett (1.v.l.). „Geerntet“ wird das PHA, indem die Bakterien zunächst mittels einer Zentrifuge von der „Zellbrühe“ getrennt und gefriergetrocknet werden. Zurückbleiben gelbe flockenartige Zellen (2.v.l.). Das mit Hilfe von Mehlwürmern gewonnene PHA hat eine griesähnliche Konsistenz (3.v.l.). Wenn es mit Lösungsmitteln gereinigt worden ist, wird es ein strahlend weißes Pulver (4.v.l.) oder hat die Struktur von Seidenpapier (5.v.l.).

Im Hinterhof der Ackerstraße 76 in Berlin-Mitte wird Zukunft hergestellt. Sie kommt als strahlend weißes feinstes Pulver daher, trägt den Namen Polyhydroxyalkanoat, kurz PHA und wird als Bioplastik bezeichnet. Auf PHA ruhen große Hoffnungen, soll es doch die bislang aus Erdöl, Erdgas und Kohle, also aus fossilen Rohstoffen, erzeugte Plastik ersetzen. Hergestellt wird das feine weiße Pulver aus braun glänzendem tierischem Fett oder einer bocklig riechenden an grobe Leberwurst erinnernde Paste. Es sind Abfälle aus der Gastronomie und aus der Heparingewinnung, jenem Stoff, der aus der Dünndarmschleimhaut des Schweines gewonnen wird und die Blutgerinnung hemmt, um zum Beispiel Thrombosen zu verhindern. Wie aus tierischen Abfällen ein Material wird, dass ähnlich thermoplastisch verformbar ist wie erdölbasiertes Plastik, aber nicht die Meere, Flüsse und Böden verseucht, sondern vollständig biologisch abbaubar ist, daran forschen die Bioverfahrenstechniker Prof. Dr.-Ing. Sebastian L. Riedel und Saskia Waldburger am Fachgebiet Bioverfahrenstechnik von Prof. Dr. Peter Neubauer.

Ergebnis 1: Automatisiertes und maßgeschneidertes Fütterungssystem
„Vor sechs Jahren begannen wir mit unseren Forschungen an der TU Berlin. Nun ist es uns unter anderem gelungen, ein automatisiertes Fütterungssystem zu entwickeln, das es uns ermöglicht, die höchstmögliche Ausbeute an PHA in unserem Labor-Bioreaktor zu erzielen“, sagt Dr.-Ing. Sebastian L. Riedel, der seit März 2023 eine Professur an der Berliner Hochschule für Technik innehat, seine Forschungen zu PHA an der TU Berlin jedoch fortsetzt.

Das Problem der tierischen Abfallfette ist, dass sie bei Raumtemperatur fest sind. Sie müssen jedoch verflüssigt werden, um sie durch die engen Schläuche in den Labor-Bioreaktor pumpen zu können, wo Bakterien mit diesen Fetten im wahrsten Sinne des Wortes gefüttert werden und was sie dann zu PHA synthetisieren. Deshalb sprechen Sebastian L. Riedel und Saskia Waldburger von einem Fütterungssystem.

„Verwenden wir die Reste, die nach der Heparingewinnung von der Schweine-Dünndarmschleimhaut zurückbleiben, das ist ein Proteinfettgemisch, setzen wir Druckluft ein. Das feste Proteinfettgemisch befindet sich in einer länglichen Kartusche. Magnetventile steuern die Zugabe der Druckluft, wodurch das feste Gemisch als Faden in den Bioreaktor fällt. Sind unsere tierischen Fette jedoch Abfälle aus der Gastronomie oder aus der Weiterverarbeitung von Lebensmittelabfällen, verflüssigen wir die Fette in einem Wasserbad bei 80 Grad Celsius und bestrahlen die Apparaturen zusätzlich mit Infrarotlampen, um ein Verfestigen zu verhindern. Beide Prozesse sind computergestützt automatisiert und auf den jeweiligen tierischen Abfallstoff abgestimmt, sozusagen maßgeschneidert“, sagt Saskia Waldburger.

Die so verflüssigten Fette fallen beziehungsweise tropfen dann in den Labor-Bioreaktor. Dort zirkuliert eine beigefarbene „Zellbrühe“. Das ist eine Mineralsalzlösung, in der die wichtigsten Akteure dieses Prozesses – aus tierischen Abfallfetten PHA herzustellen – hocken: Bakterien, die auf den Namen Cupriavidus necator hören und als Knallgasbakterien bekannt sind.

„Die Bakterien füttern wir mit Stickstoff, Phosphor, Sauerstoff und Kohlenstoff. Und unsere Kohlenstoffquellen sind die bereits gennannten tierischen Abfallfette. Dann lassen wir die Bakterien wachsen und das PHA produzieren. Das geschieht, in dem wir C. necator nach einer gewissen Zeit den Stickstoff entziehen, aber weiterhin Kohlenstoff zuführen. Den überschüssigen Kohlenstoff legen die Bakterien als Energiereserve in Form von PHA in ihren Zellen an. Das wird als weiße Kügelchen in den Zellen der Bakterien eingelagert“, erläutert Saskia Waldburger das Verfahren.

Ergebnis 2: Prozessüberwachung mit der Photonendichtewellen-Spektroskopie
Diesen Wachstums- und Produktionsprozess können die Wissenschaftler nun auch beobachten – in Echtzeit und inline, das heißt, sie können in die Zelle hineinschauen. Dafür haben sie die Photonendichtewellen-Spektroskopie, die von Kollegen der Universität Potsdam entwickelt wurde, eingesetzt. Eine bahnbrechende Innovation bei der PHA-Herstellung: Zum einen zeigt diese Messmethode an, wenn das Wachstum der Bakterien abfällt und deshalb wieder Fett zugegeben werden muss.

Zum anderen ermöglicht sie erstmals, exakt den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem die Bakterien das meiste PHA produziert haben und die „Ernte“ des PHA aus den Zellen beginnen kann. „Geerntet“ wird das PHA, indem die Bakterien zunächst mittels einer Zentrifuge von der „Zellbrühe“ getrennt und gefriergetrocknet werden. Zurückbleiben gelbe flockenartige Zellen, aus denen das PHA mit einem Lösungsmittel extrahiert werden muss. Und da Riedel und Waldburger an Bioverfahren arbeiten, kommen umweltschädliche, halogenhaltige Lösungsmittel nicht in Frage.

„Die Überwachung der Kultivierung, also des Wachstums der Bakterien und der PHA-Produktion ist ein wichtiger Teil unseres automatisierten Fütterungsprozesses und ein Meilenstein in unserer PHA-Forschung auf dem Weg, die PHA-Produktion aus dem Labor in die industrielle Anwendung überführen zu können“, so Riedel.

Ergebnis 3: Übertragung vom Labor- auf den Pilotmaßstab
Auf dem Weg zur industriellen Anwendung ist den TU-Wissenschaftlern ebenfalls ein wichtiger Zwischenschritt gelungen: die Skalierung vom 3-Liter-Bioreaktor auf einen 750-Liter-Bioreaktor, also vom Labor- auf den Pilotmaßstab. Ihr Kooperationspartner, die Universiti Sains Malaysia, verfügt über einen solchen 750-Liter-Bioreaktor. Aus 50 Kilogramm Bakterienzellen wurden im vergangenen Jahr 35 Kilogramm reines, weißes pulverförmiges PHA gewonnen. So viel wie noch nie in den sechs Jahren ihrer Forschung.

Saskia Waldburger und Sebastian L. Riedel mit einem Teil ihrer 35-Kilogramm-PHA-Ausbeute – so viel wie noch nie in den sechs Jahren ihrer Forschung.

Das PHA, das auch die Struktur von Seidenpapier oder Popcorn haben kann, könnte die Grundlage sein für Folien, Fasern und Beschichtungen von Papier. „Unser Fokus liegt auf Papierbeschichtungen“, sagt Sebastian L. Riedel.

Derzeit werden weltweit pro Jahr etwa 50 000 Tonnen PHA-Bioplastik hergestellt. Im Vergleich dazu: Die jährliche Plastikherstellung aus fossilen Rohstoffen liegt weltweit bei 450 Millionen Tonnen, das 9.000-fache. „Die Produktion von Bioplastik muss also enorm erhöht werden, damit herkömmliches Plastik in nennenswertem Umfang durch Bioplastik ersetzt und die Verseuchung der Erde zumindest in Ansätzen gestoppt werden kann. Allein mit der Kohlenstoffquelle tierische Abfallprodukte ist das nicht zu bewerkstelligen.

Deshalb konzentrieren sich unsere Forschungen in nächster Zeit darauf, industriell einsetzbare Bioverfahren zu entwickeln, die auch für andere Ausgangsstoffe für die PHA-Produktion funktionieren – wie zum Beispiel Raps; Zucker; Rohglycerin, ein Nebenprodukt der Biodieselherstellung; oder kurzkettige Carbonsäuren aus dem anaeroben Abbau von biogenen Reststoffen (zum Beispiel Zwischenprodukte der Biogasherstellung) – und wir trotzdem immer ein PHA mit gleichbleibender Qualität erhalten. Das ist unsere Vision und stellt uns bei der Prozessgestaltung vor enorme Herausforderungen“, sagt Sebastian L. Riedel.

Projektvorstellung während der Langen Nacht der Wissenschaften

In Malaysia eröffnete sich den TU-Wissenschaftlern übrigens eine bisher noch unbekannte Möglichkeit, das PHA ganz biologisch aus den Bakterienzellen zu extrahieren und zwar mit Hilfe von Mehlwürmern. Aber das ist eine weitere Geschichte, und wie es dazu kam, das können sich Interessierte während der Langen Nacht der Wissenschaften am 17. Juni 2023 erzählen lassen, wenn das Fachgebiet Bioverfahrenstechnik sein Labor öffnet, Besucherinnen und Besucher bei der Fütterung der Bakterien dabei sein können und Saskia Waldburger erklärt, woran sie im Zusammenhang mit PHA forscht.

Link zum LNDW-Programmpunkt Bioplastik aus Abfallfetten und Bakterien: https://www.langenachtderwissenschaften.de/programm/detail/50865

Link zum gesamten LNDW-Programm der TU Berlin: https://www.tu.berlin/communication/lndw