Die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland sinkt, im Durchschnitt bewirtschaften immer weniger Betriebe immer größere Flächen. Gleichzeitig nimmt der Anteil der Betriebe zu, die ihr Einkommen auch jenseits der Nahrungsmittelproduktion erwirtschaften, zum Beispiel mit der Produktion erneuerbarer Energien, der Vermietung von Ferienwohnungen oder der Direktvermarktung landwirtschaftlicher Produkte.
Ein Team von Agrarökonomen um Wiebke Nowack vom Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften hat die sozialen Funktionen der Landwirtschaft in diesem Kontext untersucht. Ergebnis: Mit der Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion und der Diversifizierung der Tätigkeiten verändert sich die Rolle landwirtschaftlicher Betriebe in Dorfgemeinschaften, in ländlichen Regionen und in der Gesellschaft insgesamt.
Fallstudie in Schleswig-Holstein
„In unserer Fallstudienregion im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein haben wir beobachtet, dass Betriebe insbesondere über die Tätigkeiten im Bereich der Einkommensdiversifizierung in soziale und wirtschaftliche Strukturen eingebunden sind“, erläutert Doktorandin Wiebke Nowack. Co-Autor Thies Popp, der im Rahmen seiner Doktorarbeit ebenfalls in der Region geforscht hatte und dort aufgewachsen ist, betont, dass Einkommensalternativen in Dithmarschen entscheidend dafür sind, welche Betriebe erfolgreich wirtschaften, wachsen und zu denen gehören, die weitermachen.
Soziale Funktionen noch wenig erforscht
Die Agrarökonomen bauen ihre Studie auf einer Kategorisierung von elf Typen sozialer Leistungen auf, die landwirtschaftliche Betriebe für die Gesellschaft erbringen können. Dazu zählen beispielsweise die Stärkung des sozialen Zusammenhalts der Dorfgemeinschaft oder die Erschließung und Erhaltung von Erholungsräumen.
„Im Gegensatz zu ökologischen Funktionen, haben solche sozialen Funktionen der Landwirtschaft in der Wissenschaft bisher wenig Beachtung gefunden. Unsere Fallstudie zeigt, wie Landwirtschaft soziale Funktionen erfüllt und wie sich das im Kontext des Größenstrukturwandels ändert“, so Harald Grethe, Professor am Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften und ebenfalls Co-Autor der Veröffentlichung.
Arbeitsintensive Tätigkeiten wie Direktvermarktung sind sozial wirksam
Während sich der Größenstrukturwandel in der Landwirtschaft und die damit verbundene Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion negativ auf die sozialen Funktionen der Landwirtschaft ausgewirkt haben, weil beispielsweise Maschinen größer und lauter geworden sind, weitere Distanzen zurücklegen oder von Dienstleistern bedient werden statt vom Nachbarn, bergen die Einkommensalternativen jenseits der Nahrungsmittelproduktion die Chance, dass sich Landwirtschaft und Gesellschaft begegnen und näher kommen.
„Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass vor allem arbeitsintensive Tätigkeiten wie Direktvermarktung, touristische Angebote oder auch Bauernhofpädagogik soziale Funktionen erfüllen“, betont Julia Schmid, eine weitere Co-Autorin.
Appell an die Agrarpolitik: stärkere Anerkennung sozialer Leistungen
Die Ergebnisse der Fallstudie sind aus Sicht der Forscher ein Impuls für agrarpolitische Entscheidungsträgern. Bisher hängt die Höhe möglicher Fördermittel für landwirtschaftliche Betriebe in erster Linie von der bewirtschafteten Fläche ab oder es werden Kapitalinvestitionen gefördert.
„Wollen wir, als Gesellschaft, dass soziale Leistungen von Landwirtschaft stärker anerkannt und honoriert werden, könnten landwirtschaftsnahe Tätigkeiten ein wichtiger politischer Ansatzpunkt sein. Würden diese stärker angereizt und Barrieren abgebaut, stünden landwirtschaftlichen Betrieben auch vielfältigere Entwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung – unabhängig von ihrer Größe“, so das Resümee von Wiebke Nowack.