Ukraine-Krieg: Wohin steuert Europa?

Eine zerschlissene EU-Fahne weht am 11.09.2012 auf einem Berggipfel nahe Villach in Kärnten (Österreich). Foto: Jan-Peter Kasper/Universität Jena

Wohin steuert Europa? Welche Brüche und Verwerfungen verursachten der Aufbruch 1989 und das Ende des Kalten Krieges? Angesichts des blutigen Krieges in der Ukraine: Kehrt ein demokratisches Russland eines Tages nach Europa zurück? Es sind spannende Fragen wie diese, die vom 5. bis 7. Juli bei einer hochkarätig besetzten Tagung in Berlin besprochen werden. Ort der Tagung ist die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Ausrichter ist das Imre Kertész Kolleg der Universität Jena.

„Unser Ziel ist es, die Erfahrungen der demokratischen Umbrüche um 1989 im Licht der gegenwärtigen Ereignisse neu zu überdenken und für zukünftige Transformationen nutzbar zu machen“, sagt Prof. Dr. Joachim von Puttkamer, der Direktor des Imre Kertész Kollegs. Er lädt gemeinsam mit Dr. Irina Scherbakowa und Prof. Dr. Volkhard Knigge nach Berlin ein.

Die Rolle des „schlafenden Riesen“ Deutschland hinterfragen

Eröffnet wird die Tagung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland, Carsten Schneider. Die Einladung Schneiders sei ein klares Signal, sagt Joachim von Puttkamer: „Wir freuen uns, dass relevante gesellschaftliche Akteure und politische Entscheidungsträger teilnehmen.“ Die Jenaer Expertise für Mittel- und Osteuropa sei für das Kanzleramt ausschlaggebend gewesen, die Tagung an das Kertész Kolleg zu vergeben.

Joachim von Puttkamer erläutert, dass die Tagung ausdrücklich nicht auf Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen beschränkt ist. Eingeladen sind vielmehr vorrangig Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter Aktivistinnen ebenso wie Kulturschaffende, Schriftstellerinnen und Journalisten. Sie kommen aus Polen, der Ukraine, den USA, Ungarn, Frankreich, Tschechien, Italien, Österreich, den Niederlanden und Russland. Gemeinsam diskutieren und streiten sie über viele der Themen, die aktuell die politische und gesellschaftliche Diskussion in Europa bestimmen.

Darunter ist die strittige Frage, ob sich etwa die Freiheit als demokratische Rechtsstaatlichkeit buchstabieren lässt oder vielmehr als wiedergewonnene nationalstaatliche Souveränität. Eine andere Frage ist die nach Gerechtigkeit und Ökonomie in der Transformation. Waren doch gerade die wirtschaftlichen Umbrüche in den osteuropäischen Ländern gewaltig und überwog die Zahl der Verlierer die der Gewinner zunächst bei weitem.

Eine weitere Diskussionsrunde wird dem Streit um den Rechtsstaat gewidmet. Stehen die Grundlagen der liberalen Demokratien Europas tatsächlich zur Disposition? Welche Antworten gibt es auf das Erstarken autoritärer oder populistischer Strömungen? Letztlich geht es bei der Tagung auch um den „schlafenden Riesen“ Deutschland, dessen Rolle im Transformationsprozess und angesichts der mannigfachen Herausforderungen in Europa. Dabei werden auch Stimmen von Politikern gehört. Teilnehmen werden u. a. Wolfgang Schäuble (CDU) und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil.

Speziell ostdeutsche Erfahrungen werden in einem Forum diskutiert

Die speziell ostdeutschen Erfahrungen werden in einem eigenen Forum ergründet. Unter dem Titel „Ostdeutsche Erfahrungen – jenseits von Apologie und Desinteresse“ diskutieren der Autor und Bürgerrechtler Lutz Rathenow, der Historiker Axel Doßmann, der Journalist Daniel Schulz („taz“) und die Autorin Katharina Warda, moderiert wird die Runde von Volkhard Knigge. Der langjährige Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, ist zudem an dem Panel „Krieg, Nation und Gedächtnisverschiebung“ beteiligt. Ein Kernthema dabei: die politische Mobilisierung und Funktionalisierung von Geschichte für macht- und geopolitische Zwecke. Es geht um die „Nachtseiten“ des historischen Erinnerns und dabei u. a. um die Frage, was aus dem mittlerweile weitgehend ins Exil gedrängten russischen kommunismus- und putinkritischen Gedächtnis wird.