Der Lebensraum für Wildtiere wird weltweit kleiner. Je mehr die angestammten Lebensräume für Rehe und Hasen, aber auch für Wölfe und Bären schrumpfen, desto größer werden die Flächen, die von Menschen und Tieren gemeinsam genutzt werden. Konflikte sind dadurch unweigerlich vorprogrammiert. Dieser Herausforderung widmet sich die Veterinärmedizinische Universität Wien nun verstärkt und schreibt derzeit eine neue Tenure Track Professur für den Forschungsbereich „Movement Ecology“ aus.
Ziel der neuen Professur ist es, einen Forschungsschwerpunkt im Bereich Bewegungsökologie, Raumnutzung und Verhalten von Wildtieren am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Vetmeduni zu etablieren. Dadurch sollen angesichts des Klimawandels die Lebensbedingungen für Wildtiere langfristig verbessert und neuartige Lösungsansätze für die Koexistenz von Menschen und (Wild)Tieren erarbeitet werden. Im Fokus dabei steht die Schnittstelle zwischen Agrar- und Wildwirtschaft.
Petra Winter, Rektorin der Vetmeduni: „Mit der neuen Professur wollen wir unter Einbindung neuer Technologien die Bewegungsmuster unserer Wildtiere erforschen und darauf aufbauend ein regional angepasstes innovatives Wildtiermanagement etablieren. Die neue, zunächst auf vier Jahre befristete Tenure Track Professur Movement Ecology soll zudem die am FIWI bereits vorhandene Expertise zum gesellschaftlichen Umgang mit Wildtieren allgemein und dem Wolf im Speziellen unterstützen und auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse weiterentwickeln.“
Polaschek: Lösungsansätze für die Koexistenz von Menschen und Wildtieren
„Die Veränderung des Klimas und der ökologische Wandel stellen uns vor völlig neue Herausforderungen und werfen eine Reihe von umwelt- und gesellschaftspolitischen Fragen auf, die oft nur durch eine Kombination von wildtierökologischer und veterinärmedizinischer Fachexpertise und interdisziplinäre Forschung zu lösen sind. Durch die neue Tenure Track Professur am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni verfolgen wir genau dieses Ziel und tragen zur Entwicklung zukunftsträchtiger Lösungsansätze für die Koexistenz von Menschen und Wildtieren bei“, so Bundesminister Martin Polaschek.
Pröll: Gelebter Wissenstransfer zwischen Forschung und Jäger
Der Mensch hat die Kulturlandschaft stark verändert und damit auch das Verhalten der Wildtiere. Das zeigt sich etwa beim Rotwild, das im Winter nicht mehr in äsungsreichere Tieflagen wechselt, sondern im Sommereinstand bleibt.
„Durch Verbauung werden die Wildtierlebensräume zunehmend kleiner und zersplittert. Die Jägerinnen und Jäger sind für ein nachhaltiges Wildtiermanagement daher auf wissenschaftliche Erkenntnisse angewiesen. Das ermöglicht ihnen eine optimale Anpassung und Entwicklung der Lebensräume, gezielte Maßnahmen zur Gesunderhaltung der Bestände sowie die Antizipierung des Wechselverhaltens in ihrer Planung. Sie leisten mit Monitoringdaten, Beobachtungen und Wissen über ihr Revier und die Bestände aber zugleich einen wesentlichen Beitrag für Forschungsprojekte im Bereich Wildökologie“, so der Präsident der Fördergesellschaft des FIWI und Landesjägermeister von Niederösterreich, Josef Pröll.
Wildtiermanagement in Zeiten des Klimawandels
Um die Folgen des Klimawandels für Wildtiere besser zu verstehen, ist es essenziell, Tierbewegungen bzw. Wanderungen genauer unter die Lupe zu nehmen. Wildtiere legen unter natürlichen Umständen z. B. für die Futtersuche und im saisonalen Jahreslauf oft große Strecken zurück. Diese Bewegungen sind notwendig für das Überleben von Arten, für Ökosystemfunktionen sowie den Erhalt der Biodiversität. Leider sind diese Bewegungen oft durch Menschen beeinflusst oder gar eingeschränkt.
Das betrifft kleinräumig Niederwild wie Hasen oder Rebhühner in der Agrarlandschaft, aber auch große Huftiere wie den Hirsch, der durch die Zerschneidung von Wäldern immer weniger Raum für freie Bewegung zur Verfügung hat. Große Beutegreifer wie Wölfe und Bären erobern neue Areale und legen dabei extrem große Strecken zurück. Nur wer all diese Tierbewegungen kennt und Interaktionen versteht, kann Präventionsstrategien zur Vermeidung bzw. Reduktion von Mensch-Tier-Konflikten erarbeiten.
Dabei entwickelt sich die Technologie der Tiertelemetrie rasant weiter und eröffnet immer neue Möglichkeiten zur Datenerfassung. Auch die Einbeziehung von remote sensing-Verfahren zur Erfassung von Vegetationsdaten ist wichtig, um Zusammenhänge zu verstehen. Ein am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie eigens dafür aufgebautes Expert:innen-Netzwerk zur Interpretation von Fernerkundungsdaten wird das Wildtiermanagement unter Federführung der neuen Professur unterstützen.
Claudia Bieber, Leiterin des FIWI, betont: „Die daraus gewonnen Daten sollen dabei helfen, die Bewegungsökologie, Raumnutzung und das Verhalten von Wildtieren zu erfassen und zu verstehen, warum Wildtiere wann wohin wandern. Damit lässt sich in Zeiten des Klimawandels z. B. genauer abschätzen, wie Wildtiere auf trockene Vegetation reagieren, ebenso wo sich Wölfe und Bären aufhalten und in welchen Bereichen gezielte Managementmaßnahmen sinnvoll sind.“