Ausbau der Stromnetze: Fraunhofer IEE modelliert Anforderungen für Verteilnetzbetreiber in der Planungsregion Ost: Was die Netze vor Ort künftig leisten müssen, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE in einem umfassenden Modell für Ostdeutschland und Hamburg erarbeitet. In den Berechnungen werden alle verfügbaren Informationen zu neuen Strom-Verbrauchern und -Erzeugern gebündelt und zu einer Gesamtlage zusammengefasst. Im Ergebnis liegt nun ein räumlich hoch aufgelöstes Szenario für die Region Ost vor. Dieses bildet die Basis für die gesetzlich vorgeschrieben Netzausbaupläne der Verteilnetzbetreiber.
Der Fakt, dass heute bereits vereinzelt Netzbetreiber neue Verbraucher nur verzögert anschließen, macht deutlich, wie wichtig eine gute Planung ist. „Klar ist aber, dass bis 2045 durch die Elektrifizierung aller Sektoren und den Ausbau von Wind und Solar für einen deutlich steigenden Stromverbrauch gravierende Veränderungen in der Stromversorgung zu erwarten sind: Wärmepumpen, Ladesäulen, Windkraft- und Photovoltaikanlagen und Speicher werden derzeit in großem Maßstab ausgebaut und sollen an das Stromnetz angeschlossen werden.
Damit das funktioniert, muss das Verteilnetz umgebaut werden. Die Vielzahl der dezentralen Akteure macht die Investitionen besonders komplex“, stellt Prof. Dr. Martin Braun, Leiter des Forschungsbereichs Netzplanung und Netzbetrieb des Fraunhofer IEE und Professor für Energiemanagement und Betrieb elektrischer Netze der Universität Kassel, fest. „In der komplexen und variablen Planungslandschaft sehen viele Netzbetreiber den Bedarf an automatisierten Tools zur Netzplanung, wie wir sie in mehreren Studien im Stromnetz entwickelt und getestet haben.“
Um die kleinteiligen Erzeugungs- und Verbrauchsstrukturen abzubilden und damit den Netzausbau optimieren zu können, werden sehr genaue Abschätzungen zum künftigen Bedarf benötigt:
„Räumlich hoch aufgelöste Szenarien bis auf Ebene der Ortsnetztransformatoren helfen, den Ausbau der Verteilnetze planbarer zu machen. Als Fraunhofer IEE haben wir eine Modelllandschaft aus verschiedenen Modulen für die Planungsregion Ost entwickelt“, erläutert Dr. Carsten Pape, Gruppenleiter Szenarien und Systemmodellierung, Fraunhofer IEE. „Zentrale Einflussgrößen sind Abschätzungen zum Anschluss von neuen Stromerzeugungsanlagen und neuen Verbrauchern wie E-Fahrzeugen und Wärmepumpen bis hin zur Transformation der Fernwärme, Industrieprozesswärme und Elektrolyseanlagen. Dabei geht es darum, eine riesige verfügbare regionalisierte Datenbasis zu bündeln und in einem Modell zusammen zu führen“ so Pape.
Die dem Regionalszenario zugrunde liegenden Prognosen basieren auf wahrscheinlichen sowie politisch vorgegebenen Technologiepfaden. „Die regionale Planung ist ein Prozess, den wir in den kommenden Jahren verfeinern und immer wieder an den aktuellen Stand der Anlagen anpassen. Ziel ist es darzustellen, wie bis 2045 eine klimaneutrale Stromversorgung aussehen kann“, so Pape. „Gleichzeitig verwenden wir neue Ansätze in der Modellierung, die die Einzelentscheidungen von Verbrauchern ein Stück weit abbilden können.“
Gesamtbild aus allen verfügbaren Daten für das Stromnetz in der Region
Das Regionalisierungsmodell des Fraunhofer IEE kombiniert verschiedene Modelle und bringt alle verfügbaren Informationen aus einer Region bis hin zum Einzelgebäude zusammen. So sind die Windenergieflächen und die Teilflächenziele der Bundesländer, Gebietsausweisungen für Windanlagen und Repowering sowie die Anschlussgesuche bei Freiflächen-Photovoltaik enthalten. Ebenso fließen die Ergebnisse des amtlichen Netzentwicklungsplans für das Übertragungsnetz mit ein. Speziell für die Planung der Wärmeversorgung verwenden die Wissenschaftler ein Agentenmodell. Diese ermöglicht beispielsweise, in einem Bottom-up-Ansatz für jeden Hauseigentümer, wahrscheinliche Investitionsentscheidungen über die Heizungstechnologie und anstehende Effizienzmaßnahmen einzubeziehen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Szenarien ist der Umgang mit der Gleichzeitigkeit von vielen dezentralen Einzelanlagen, der entscheidend für den Netzausbaubedarf ist. Die Wissenschaftler des Fraunhofer haben dazu die benötigte Leistung bei Bedarfsspitzen detailliert ermittelt. Aus den nutzer- und wetterabhängigen spezifischen Leistungsbedarfen wird dann aggregiert errechnet, welche Leistungsbedarfe auf welcher Spannungsebene auftreten, wenn die Klimaziele umgesetzt werden. Aus den Szenarien ergibt sich zum Beispiel, ob ein bestehender Ortsnetztransformator genug Leistung für die anstehenden Aufgaben mitbringt oder verstärkt werden muss, und wie sich dies auf das übergelagerte Umspannwerk und das Netz auswirkt.
In Deutschland gibt es rund 900 Verteilnetzbetreiber
In der Planungsregion Ost haben sich die größeren Netzbetreiber, die nach § 14 d Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) zur Abgabe eines Netzausbauplans verpflichtet sind, zu einer Kooperation zusammengeschlossen und stehen in engem Austausch mit dem Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz Transmission.
Für die Erstellung des Regionalplans haben die Netzbetreiber der Planungsregion Ost nun über mehrere Monate gemeinsam mit den Wissenschaftlern des Fraunhofer IEE die Modellrechnungen erarbeitet: Eingeflossen sind die Gegebenheiten im Netzgebiet, die Kundennähe und der Netzentwicklungsplan für die Übertragungsnetze des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz Transmission. Räumlich detaillierte Prognosen zur Entwicklung von Erzeugung und Verbrauch wurden vom Fraunhofer IEE Kassel errechnet.
Im Ergebnis liegt nun für die Region Ost ein Szenario zur Umsetzung der Energiewende vor. Daraus ist ablesbar, wie sich der Ausbau von Windenergie und Photovoltaik in der Region entwickeln wird und welche neuen Verbraucher wie Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen angeschlossen werden müssen. Hauptaugenmerk des Regionalszenarios ist es, die energiepolitischen Ziele der Bundesregierung eines CO2-freien Wirtschaftens bis 2045 für die Planungsregion Ost zu ermöglichen.
Die Methodik berücksichtigt dabei auch die spezifischen Rahmenbedingungen der Planungsregion, die dazu führen, dass im Betrachtungsgebiet voraussichtlich einen überproportionalen Beitrag zur Erfüllung der klimapolitischen Bundesziele leisten wird. Dieser Aufgabe stellen sich die Netzbetreiber, unter anderem durch die Nutzung einer verbesserten Datenbasis.
Mit dem § 14 d des EnWG wurden Verteilnetzbetreiber erstmals verpflichtet, bis Ende Juni 2023 Regionalszenarien zu veröffentlichen. Im nächsten Schritt ist bis Ende April 2024 eine Netzausbauplanung zu formulieren. Dieser soll dann alle zwei Jahre aktualisiert werden.
Dieser Netzausbauplan fokussiert auf die Hochspannungsebene. In den unterlagerten Spannungsebenen bestehen deutlich größere Schwankungsbreiten hinsichtlich der möglichen Entwicklungen. Im Netzausbauplan wird ermittelt, in welchem Umfang Netzausbau notwendig wäre, wenn die im Regionalszenario dargestellte Entwicklung vollumfänglich eintreten sollte.
Ob die ermittelten Netzausbaumaßnahmen in reale Projekte überführt oder zumindest Genehmigungsverfahren eingeleitet werden, um später schneller auf tatsächlichen Bedarf reagieren zu können, oder ob abgewartet wird, bis sich die Prognosen verfestigen, liegt ebenfalls in der Verantwortung der jeweiligen VNB.
Die Dienstleistung einer Modellrechnung zur Regionalisierung der erneuerbaren Energien und neuen Stromverbraucher bietet das Fraunhofer IEE auch für andere Netzgebiete an. Dabei werden die Last und Erzeugung für alle Betriebsmittel in der Mittel- und Niederspannung dargestellt. Auf dieser Basis können Verteilnetzbetreiber dann konkreter die optimierte Ausbauplanung ihres Netzes vornehmen.