Auswahl der Getreidesorten und Müllerei haben großen Einfluss auf die Menge Acrylamid, die in Weizenbackwaren zu erwarten ist, so eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim. Acrylamid gilt als potentiell krebserregender Stoff, der bei starker Hitzeeinwirkung in stärkehaltigen Lebensmitteln entsteht – so auch beim Backen von Brot und anderem Gebäck. Durch sorgfältige Getreideauswahl und in der Mühle lässt sich bereits die Vorstufe des Acrylamids noch vor dem Backen um bis zu 70 % senken, so eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim in Stuttgart und der Gewerblichen Schule Im Hoppenlau.
Auch Schwefeldüngung auf den Getreidefeldern und eine verlängerte Teigruhe können die Entstehung von Acrylamid verringern, wie die Universität Hohenheim bereits in früheren Studien nachwies. Anlass für die jüngsten Untersuchungen war die Entscheidung der EU-Kommission, die Richtwerte für Acrylamid in Lebensmitteln zu verschärfen. Frittieren, Toasten, Backen oder Braten – vor allem, wenn Speisen sehr stark erhitzt und gebräunt werden, entsteht Acrylamid, das im Verdacht steht, Krebs erregend zu sein. Insbesondere Chips, Pommes Frites und Kaffee zeigen deshalb hohe Acrylamidwerte. „Bei normalen Brot ist der Acrylamidgehalt deutlich geringer und eigentlich nur in der Kruste vorhanden“ so PD Dr. Friedrich Longin von der Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim. „Allerdings sieht das anders aus bei Kleingebäcken und vor allem bei Keksen, Lebkuchen und Knäckebrot“.
Neue EU-Verordnung: Auch Backwaren sollen so wenig Acrylamid wie möglich enthalten
Im April 2018 hat die EU Kommission nun die Richtwerte für Acrylamid in Lebensmitteln erneut heruntergesetzt, in Weizenbrot z.B. von 80 auf 50 Mikrogramm pro kg und in Broten aus anderen Getreiden als Weizen von 150 auf 100 Mikrogramm. Bei Vergleichsprodukten wie Chips, Pommes Frites und Kaffee erfolgte dies auch, wobei dort deutlich höhere Acrylamidrichtwerte gelten, 400 Mikrogramm für Kaffee, 500 für Pommes Frites und 750 für Kartoffelchips. „Die neue Verordnung hat uns motiviert, mögliche Unterschiede bei der Wahl der Getreideart und –sorte für die Getreidebranche noch einmal genauer zu betrachten“, so Friedrich Longin.
„Und zwar weit vor dem Backvorgang, bei der Wahl der Sorte und bei der Herstellung des Mehls.“ In ihrer Untersuchung konzentrierten die Forscher sich auf die Vorstufe von Acrylamid, das sogenannte Asparagin. Wie viel des vermutlich krebserregenden Acrylamids daraus entsteht, ist zwar abhängig vom Backen hängt aber sehr stark mit der Asparaginmenge in der Rohware zusammen. „Deshalb ist ein niedriger Asparagin-Gehalt eine der besten Vorbeugemaßnahmen, um später wenig Acrylamid im Produkt zu haben“.
Sortenauswahl beim Getreide kann Acrylamid-Risiko um 70 % reduzieren
Für ihre Untersuchung baute die Universität Hohenheim 150 Weizensorten an drei Standorten in Baden-Württemberg an, mahlte die Körnern zu Vollkornmehl und bestimmte darin den Asparagingehalt. Die Bandbreite der Ergebnisse überraschte selbst die Wissenschaflter: „Bei der Analyse haben wir sehr große Unterschiede zwischen den Weizensorten festgestellt. Die Asparagingehalte schwankten zwischen 140 bis 450 mg pro kg Vollkornmehl,“ meint Friedrich Longin weiter.“ Allein durch die Wahl der richtigen Weizensorte kann der Asparagingehalt bereits zu Beginn der Wertschöpfungskette um fast 70% reduziert werden.“
Getreidezüchtung erlaubt weitere Risiko-Reduktion
Dieser Wert könnte durch Züchtung sogar noch weiter reduziert werden, so ein weiteres Ergebnis der Arbeitsgruppe. „Durch genetische Untersuchungen konnten wir klar zeigen, dass der Asparagingehalt durch die Umwelt aber noch mehr durch Vererbung bestimmt wird“, erklärt M.Sc. Matthias Rapp von der Universität Hohenheim. Getreide mit niedrigem Acrylamid-Risiko zu züchten wird allerdings aufwändig: „Wir mussten auch feststellen, dass der Asparagingehalt durch vergleichsweise viele Gene beeinflusst wird. Das macht die Zucht komplexer und lässt nur langsame Züchtungsfortschritte erwarten“, so Matthias Rapp. Bislang habe der Asparagingehalte in der Zucht ganz offensichtlich keine Rolle gespielt, wie die Hohenheimer Wissenschaftler auch noch belegten. „Es gab sowohl moderne wie alte Weizensorten mit sehr niedrigem aber auch mit hohem Asparagingehalt“, erklärt Matthias Rapp.
Notwendig seien wahrscheinlich finanzielle Anreize: „Ich vermute ich, dass die Weizenzüchter nur auf niedrige Asparagingehalte züchten werden, wenn die Getreidebranche dies klar über Preisaufschläge fordert“.
Untersuchung gilt auch für alte Weizenarten wie Dinkel, Emmer und Einkorn
Nach dem überraschenden Befund bei Brotweizen weiteten die Getreide-Spezialisten ihre Untersuchungen auch auf die alten Weizenarten Dinkel, Emmer und Einkorn aus. Hierzu wurden je Art 15 Sorten von drei Anbauorten wieder zu Vollkornmehl verarbeitet und auf Asparagingehalte untersucht. „Wie beim Brotweizen, schwankten die Sortenwerte bei Emmer und Dinkel in einem ähnlichen Bereich“, berichtet Friedrich Longin. „Also kann auch hier durch die Sortenwahl früh in der Wertschöpfungskette das Acrylamidpotenzial der Backwaren reduziert werden“. „Das gleiche gilt für Einkorn“, ergänzt Matthias Rapp, „allerdings in einer etwa doppelt hohen Konzentration“. Warum das so ist, zeigte ein weiteres Experiment.
Ausmahlungsgrad von Mehl beeinflusst mögliche Acrylamidgehalte
In einer Kooperation mit der gewerblichen Schule Im Hoppenlau untersuchten Friedrich Longin und Matthias Rapp außerdem den Einfluss der Weiterverarbeitung zu Mehl. Dazu wurden fünf Brotweizensorten von zwei Standorten in die am häufigsten verwendeten Mehltypen verwandelt und daran der Asparagingehalt bestimmt. „Im Vollkornmehl hatte es etwa ähnlich viel Asparagin wie im dunklen Brotmehl der Type 1050“, berichtet Dr. Andreas Baitinger, Stellvertretender Leiter der Gewerblichen Schule Im Hoppenlau. „Allerdings war im feinen Auszugsmehl der Type 550 nur noch ein minimaler Bruchteil des Asparagins vorhanden. Und dieses Mehl wird hauptsächlich in der Bäckerei verwendet“. Der Grund für die Unterschiede: der Großteil des Asparagins befindet sich bei der Aleuronschicht, die ziemlich weit außen im Korn ist. Aus diesem Grund ist es mehrheitlich nur in dunkleren Mehlen enthalten. „Das ist vermutlich auch der Grund für die deutlich höheren Asparagingehalte im Einkornvollkornmehl“, so Baitinger weiter. „Einkorn hat ein deutlich kleineres Korn. In der Relation besitzt es anteilig mehr Randschichten und weniger Korninneres“.
Vollkorn-Produkte bleiben gesundheitlich wertvoll
Die Wissenschaftler raten dennoch dringend davon ab, aus vermeintlichen Gesundheitsgründen nun Vollkornbrot zu meiden. „Gerade die Randschichten des Korns enthalten eine Fülle positiver Inhaltstoffe, so dass ein häufiger Verzehr von Vollkornbackwaren sehr wichtig für die menschliche Ernährung ist“, betonen alle Wissenschaftler einträchtig. Insofern sind gerade in der Vollkornbäckerei andere Strategien zur Reduktion von Acrylamid gefordert. Neben Wahl einer geeigneten Getreidesorte ist das nämlich auch durch Schwefeldüngung der Getreidefelder, verlängerte Teigruhe und der Vermeidung zu langer hoher Hitze beim Backen möglich, wie die Universität Hohenheim bereits in früheren Studien belegen konnte.
Bewährte Strategien: lange Ruhezeiten für Teig und geringere Hitze beim Backen
Vor gut 10 Jahren konnten bereits Hohenheimer Wissenschaftler wichtige Erkenntnisse zur Acrylamidreduktion bei Backwaren erarbeiten. „Schwefelmangel beim Anbau von Weizen führt zu drastisch gesteigerten Acrylamidgehalten. Die Landwirte sollten beim Anbau von Weizen auf eine ausreichende Schwefelversorgung achten“, so Prof. Dr. Gräff-Hönninger, Mitautorin der damaligen Studie. Auch die Backtechnologie hat zahlreiche Möglichkeiten, das Acrylamid im fertigen Gebäck zu senken. „Fügt man dem Mehl die Aminosäure Cystein hinzu, wirkt diese – gewissermaßen als Abfangjäger – und hat eine hemmende Wirkung auf die Acrylamidbildung“, ergänzt Prof. Dr. Dr. Reinhold Carle, Lebensmittelwissenschaftler der Universität Hohenheim. Für den Hausgebrauch bietet die Wissenschaft aber auch einfachere Lösungen an, um den Giftstoff zu vermeiden. So haben die Lebensmitteltechnologen festgestellt, dass Brot aus Umluftbacköfen wegen der schnelleren Abtrocknung der Teigoberfläche und der intensiveren Krustenbildung zu einem höheren Acrylamidgehalt führt. Deshalb entweder kurz bei höherer Temperatur (280°C) oder länger und nicht so heiß (200°C) backen.