Meer und Küste sind Naturräume mit einzigartiger Biodiversität, Räume für Nahrungsmittelproduktion und Rohstoffgewinnung, Erholungs-, Transport- und Energieräume – und genau deshalb Räume sozialer Auseinandersetzungen. Interessenskonflikte können daher nur im Zusammenspiel aller Akteure gelöst werden“, so das Resümee der Wissenschaft beim parlamentarischen Frühstück zum Thema „Zwischen Offshore-Wind, Artenvielfalt und Fischerei: Mega- und/oder Multi-Use der Meere?“ am 28.9. in Berlin.
Eingeladen hatten die Deutsche Allianz Meeresforschung (DAM), die DAM-Forschungsmission sustainMare und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), um im Dialog mit Abgeordneten sowie weiteren Stakeholdern die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Energie-, Meeresumwelt- und Fischereipolitik aufzugreifen und die damit verbundenen ökonomischen und ökologischen Herausforderungen sowie die Verknüpfungen dieser Entwicklungen untereinander zu beleuchten.
Wissenschaftliche Impulse mit Fokus auf Offshore-Wind, Artenvielfalt und Fischerei brachten Dr. Andreas Kannen, Helmholtz-Zentrum Hereon, Prof. Dr. Helmut Hillebrand, Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Dr. Ralf Döring, Institut für Seefischerei am Johann Heinrich von Thünen-Institut, ein.
Die drei Wissenschaftler gaben einen Einblick in ihre Forschungsergebnisse und Einschätzungen zu den Hintergründen und Folgen der im Zuge des Green Deal der EU, dem deutschen Klimaschutzgesetz sowie dem Windenergie-auf-See-Gesetz geplanten Ausweitung der Offshore-Windenergie auf 70 Gigawatt bis 2045 in Nord- und Ostsee. Dies erhöht jedoch den Druck auf die Fischerei und den Schutz der Biodiversität im Meer und an den Küsten und erfordert in diesen Bereichen Anpassungen. „Wir forschen, um die Auswirkungen von Offshore-Windparks in der geplanten Dimension erkenn- und verstehbar zu machen – als Grundlage für fundierte Entscheidungen in der Politik.“, erläuterte Andreas Kannen die Rolle der Wissenschaft.
Mega- oder Multi-Use der Meere?
Die Experten gingen unter anderem auf den noch laufenden „Faktencheck Artenvielfalt“ ein, eine durch das BMBF geförderte Forschungsinitiative zur umfassenden Einschätzung und Bewertung der Biodiversität in Deutschland. Die rund 140 beteiligten Autorinnen und Autoren bescheinigen der Entwicklung der Artenvielfalt in und an den deutschen Meeren deutlich mehr negative als positive Trends.
Insbesondere die Ostsee generell sowie Populationen von Makroalgen, Wirbellosen und Fischen seien stark gefährdet. Zwar gebe es einige positive Ausnahmen wie die Vielfalt der Vögel an der Nordsee, insgesamt habe sich die Lage mit der Zeit jedoch nicht verbessert. „Biodiversität reagiert auf lokale Stressoren wie Fischerei und Verschmutzung, aber auch auf den globalen Klimawandel.
Derzeit wissen wir wenig über die Wechselwirkung dieser kumulativen Einflüsse. Biodiversitätsmanagement benötigt deswegen Strategien auf verschiedenen Ebenen, leidet aber derzeit unter massiven Umsetzungsdefiziten“, erklärte Helmut Hillebrand. 40 Prozent der deutschen Küstengewässer seien bereits in irgendeiner Form geschützt, mit Ausnahme der Nationalparke gebe es jedoch (fast) keine Nutzungseinschränkung. „De facto unterscheiden sich daher viele marine Naturschutzgebiete nicht positiv von ihrer Umgebung. Hier müssen Politik und Behörden deutlich nachbessern.”
Herausforderungen und Chancen für die Fischerei
Gleichzeitig sei aufgrund geringerer Flächenverfügbarkeit, veränderter Ressourcenbasis und zunehmender Anforderungen aus dem Arten- und Biotopschutz eine Transformation des Fischereisektors nötig: „Die Fischerei müsste flexibler bezüglich Arten und Fanggeräten werden können“, so Ralf Döring. „Das bedeutet auch, dass sich durch stärker angepasste Fangtechniken mit geringerer Umweltwirkung und der Ko-Nutzung von Windparkflächen Chancen für die Fischerei ergeben könnten.“
Einen solchen Wandlungsprozess könne die Fischerei allerdings nicht aus eigener Kraft schaffen. Dazu sei eine Unterstützung der Transformation notwendig: Neben finanzieller Förderung seien insbesondere günstigere rechtliche Rahmenbedingungen, weniger kostensteigernde Vorgaben und eine positivere öffentliche Wahrnehmung entscheidend. Denn für eine Fischerei der Zukunft und deren Gestaltung brauche es einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass wir unsere Ressourcen weiter nutzen wollen. „Dann hat Fischerei eine Zukunft.“, schloss Döring.