Viele weltweite Bedrohungen wie die Klimakrise, geopolitische Konflikte, Cyberangriffe und Sabotage schlagen auf das Energiesystem durch, so dass dessen Schutz auf der Forschungsagenda immer höher rückt. Deshalb zeigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der Jahrestagung des ForschungsVerbunds Erneuerbare Energien (FVEE) am 10. und 11. Oktober im Umweltforum Berlin mit welchen technischen, politischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten die Resilienz der Energiesysteme gestärkt werden kann.
Tagungsleiter Professor Uwe Rau vom Forschungszentrum Jülich sieht einen großen Handlungsbedarf: „Die Verletzlichkeit und Angreifbarkeit des Energiesystems sind in den letzten Jahren drastisch sichtbar geworden. Denn die politischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Krisen verstärken sich gegenseitig und schlagen auch auf das Energiesystem durch.“
Professor Ingo Sass, Deutsches GeoForschungsZentrum Potsdam, zweiter wissenschaftlicher Leiter der FVEE-Jahrestagung formuliert die aktuelle Zielrichtung für Energieforschung und Energiepolitik: „Die Energieversorgung muss erneuerbarer und unabhängiger gestaltet und ertüchtigt werden, um die Versorgung mit Strom, Wärme und Mobilität auch unter Krisenbedingungen zu gewährleisten.“
Rau schlussfolgert: „Politik und Wissenschaft müssen Resilienz als zusätzliche Zieldimension für die Gestaltung des nachhaltigen Energiesystems aufnehmen, an der sich die einzelnen Maßnahmen, wie zum Beispiel Sektorenkopplung, Dezentralisierung und Digitalisierung, messen lassen.“
Technologische Lösungen können die Versorgungssicherheit erhöhen
Die Forschenden stellen auf der Tagung des Forschungsverbunds Technologien und Strategien vor, die die Widerstandsfähigkeit des Energiesystems gegenüber Veränderungen und Störungen auf nationaler und lokaler Ebene erhöhen. Innovative Technologien zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Reduktion von Emissionen tragen auch zur Verbesserung der Systemresilienz bei. Denn Technologien wie beispielsweise tiefe Geothermie, hybride Wärmepumpensysteme oder Absorptionswärmepumpen mit Biomasse verringern die Abhängigkeit von begrenzten Ressourcen und erhöhen die Systemflexibilität. Ebenso kann intelligente Sektorenkopplung zwischen den Energiebereichen Wärme, Kälte, Strom und Verkehr dazu beitragen, die Resilienz des Gesamtsystems zu erhöhen.
Regenerative Energiesysteme fördern Unabhängigkeit und Resilienz. Beispielsweise sind erneuerbare Energiesysteme per se resilienter als herkömmliche zentrale Strukturen, weil sie spezifisch kleiner und über das Land verteilt sind.
Ebenso erhöhen Energiespeicher die Systemstabilität. Sie stellen die notwendige Redundanz her, integrieren fluktuierende erneuerbare Energie und stellen Dezentralität als besonderen Faktor der Resilienz sicher. Dabei bieten sie die nötige Flexibilität für eine resiliente Energieversorgung.
Forschung ist der wesentliche Faktor zur Verbesserung der Resilienz. So ist z. B. für resiliente Stromnetze noch zu untersuchen, welche Chancen in der Automatisierung und Selbstorganisation in Verteilnetzen liegen und wie sich mit verteilter Inselnetzfähigkeit und koordiniertem Netzwiederaufbau die Auswirkungen eines Blackouts reduzieren lassen.
Heimische Produktion für Energie-Schlüsseltechnologien aufbauen und sichern
Zu einem resilienten Energiesystem gehört die sichere Versorgung mit Basistechnologien für die Erzeugung, Speicherung und effiziente Nutzung von nachhaltiger, erneuerbarer Energie. Tagungsleiter Uwe Rau:
„Mit der globalen Transformation der Energiesysteme werden die Märkte für Energie-Schlüsseltechnologien wie Photovoltaik, Windenergie, Geothermie, Systemtechnik und Speicher-Technologien weiter sehr stark wachsen. Für die eigene Versorgung brauchen Deutschland und Europa mehr Unabhängigkeit bei der Bereitstellung dieser Schlüsseltechnologien. Deutschland muss dafür auf der Grundlage seiner Technologieführerschaft die Produktion von klimaneutralen Technologien in Europa stärken.“ Ingo Sass ergänzt: „Dafür braucht es stabile politische Rahmensetzungen sowie verlässliche Förderinstrumente in Deutschland und der EU. Der geplante Net-Zero-Industry-Act der EU-Kommission geht in die richtige Richtung. Deutschland muss parallel seine Hausaufgaben machen: es fehlt z. B. an unterirdischer Raumplanung, die helfen würde, das gesamte grundlastfähige, geothermische Potenzial zu nutzen.“
Abhängigkeit von Rohstoff- und Energieimporten verringern
Die Tagung zeigt den Status Quo der Eigenversorgung Deutschlands und seines internationalen Energiebezugs. Dann wird der verbleibende Importbedarf für ein künftiges klimaneutrales Deutschland analysiert und diskutiert, welche bisher ungenutzten heimischen Potenziale erschlossen werden müssen, um die Abhängigkeit von Energie-Importen zu reduzieren. Der zukünftige Fokus auf verstärkt europäische Fertigung von erneuerbarer Energietechnik birgt Chancen und Herausforderungen.
Die europäische Forschung verfügt über hohe Innovationsfähigkeit mit der sie die die heimische Industrie im Wettbewerb mit den asiatischen Unternehmen unterstützen kann und will. Wenn der Weg hin zur Kreislaufwirtschaft gelingt, können regenerative Kreisläufe Unabhängigkeit und Resilienz fördern. Kurze, regional gestaltete Stoffkreisläufe vermindern die globalen Abhängigkeiten und können auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen.
Effiziente Cyber-Resilienz
Der Digitalisierungsgrad der Energiesysteme steigt. Um diese neue Achillesferse zu schützen, müssen Cyberangriffe frühzeitig erkannt und kompromittierte Komponenten identifiziert werden. Die Forschenden untersuchen beispielsweise, wie ein teilweise kompromittiertes System in sichere und trotzdem effiziente Teilsysteme aufgeteilt werden kann. Und sie entwickeln Strategien wie Informationen über Angriffe und Auffälligkeiten zwischen Infrastrukturbetreibern ausgetauscht werden können, um koordinierte Angriffe zu erkennen.
Lösungsansätze aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
Neben der technischen Dimension adressiert die Tagung auch gesellschaftspolitische Aspekte. Der Forschungsverbund hat Gäste aus Politik und Wirtschaft eingeladen, um das Thema Resilienz politisch zu beleuchten. Gemeinsam wird diskutiert, welche die zentralen Resilienz-Herausforderungen für Industrie und Energiewirtschaft sind und welche Energieforschungsaufgaben stärker in den Fokus rücken sollen.
Gesellschaftlich kann der erforderliche Paradigmenwechsel weg von wachsendem Konsum hin zu Suffizienz einen wichtigen Beitrag zur Krisenprävention leisten. Menschen, die suffizient leben und wirtschaften wollen, stellen sich immer wieder neu die Frage, wie sie ihre Bedürfnisse naturverträglich und sozial gerecht befriedigen können und beschränken aus eigener Einsicht den Überverbrauch von Gütern, Rohstoffen und damit auch von Energie. Auf der Tagung wird unter anderem untersucht, wie Suffizienz die Resilienz des Energiesystems unterstützt und wie nachhaltiges Verhalten durch die Politik gefördert werden kann.