Die Amsel (Turdus merula) und die Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla) gehören ebenso zu den fruchtfressenden Vögeln Europas wie die Rabenkrähe (Corvus corone corone) oder die Ringeltaube (Columba palumbus). „Diese Vögel tragen erheblich zur Samenausbreitung von Pflanzen bei und spielen daher eine Schlüsselrolle bei der natürlichen Wiederbewaldung von ehemals genutzten Ackerflächen oder Grünland“, erklärt Dr. Jörg Albrecht vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt und fährt fort: „Für uns ist es wichtig zu verstehen, wie sich diese Tiere in vom Menschen genutzten Landschaften bewegen und welche Folgen sich daraus für Pflanzen ergeben, die auf die Samenausbreitung durch Tiere angewiesen sind.“
Albrecht hat gemeinsam mit Prof. Dr. Nina Farwig und Dr. Sascha Rösner von der Universität Marburg sowie elf weiteren Forschenden verschiedener europäischer Institutionen sieben Gebiete in Europa über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr untersucht. „Es war bislang noch wenig bekannt, wie sich Gemeinschaften fruchtfressender Vögel vom Wald zu den mittlerweile vorherrschenden ‚entwaldeten Landschaften‘ aus Feldern, Weideland und Siedlungen, in denen Waldgebiete nur als kleine Flecken eingebettet sind, verändern. Uns hat interessiert, ob Tierarten mit Merkmalen, die in diesen offenen Lebensräumen weniger vorteilhaft sind, verloren gehen oder ersetzt werden und ob solche Veränderungen letztlich auch beeinflussen, welche Pflanzenarten durch die Tiere ausgebreitet werden“, legt Farwig dar.
Die Forschenden sammelten zu diesem Zweck Kotproben unter isolierten Bäumen, welche von Vögeln oft als Sitzwarte oder „Trittsteine“ genutzt werden, wenn sie sich durch offene Gebiete bewegen. Insgesamt 3313 Kotproben, die 15.260 Samen enthielten, verwendeten die Autor*innen der Studie für eine DNA-Analyse, um die Tierarten zu identifizieren, welche die Samen ausbreiteten. Mit dieser Technik – die zuvor von Mitgliedern des Teams entwickelt wurde – konnte die Gruppe feststellen, welche Tierarten die Samen im Wald und im genutzten Offenland in den sieben über Europa verteilten Untersuchungsgebieten ausgebreitet haben.
„Unsere Auswertungen zeigen, dass die Anzahl der fruchtfressenden Vogelarten in und rund um Wälder ähnlich hoch ist. Die Zusammensetzung der Vogelgemeinschaften unterscheidet sich aber deutlich. In weitgehend entwaldetem Gelände finden sich fruchtfressende Vögel, die größer und mobiler sind als entsprechende Arten im Wald. Sie verbreiten zudem die Samen von Pflanzen, die ihrerseits größer sind, mehr Samen tragen und erst spät im Jahresverlauf Früchte bilden“, erläutert Rösner.
Da die Merkmale von Pflanzen und Tieren bestimmen, welche Pflanzenart von welcher Tierart gefressen wird, wirken Veränderungen in der Zusammensetzung der Tiergemeinschaften letztlich wie ein Filter, der bestimmt, welche Pflanzenarten in verschiedenen Lebensräumen ausgebreitet werden, so die Forschenden.
Die Studie unterstreicht zudem die Bedeutung von Waldflecken als Reservoir für die pflanzliche Artenvielfalt sowie für die Samenausbreitung durch fruchtfressende Tiere. Es gäbe ein hohes Potenzial für die passive Wiederbewaldung von nicht-bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen.
„Wir schlagen auf Grundlage unserer Studie vor, dass sich Wiederbewaldungsmaßnahmen auf die Anpflanzung isolierter Bäume als ‚Startgebiete‘ für Wälder und auf jene Pflanzenarten konzentrieren sollten, die sonst in offenen Landschaften nur schwer ausgebreitet werden. Für eine möglichst effektive natürliche Wiederbewaldung sollten Renaturierungsflächen zudem in näherer Umgebung zu intakten Wäldern liegen. Das erleichtert die Ausbreitung von Samen durch die ‚geflügelten Förster‘“, fasst Albrecht zusammen.