Die EU will Einwegprodukte wie Strohhalme oder Wattestäbchen verbieten. So soll Plastikmüll in den Meeren reduziert werden. Dazu eine Einschätzung der Experten Dr. Melanie Bergmann und Dr. Lars Gutow vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).
Die Ozeane stellen das größte zusammenhängende Ökosystem der Erde dar und umfassen die exotischsten Lebensräume. Aber selbst auf dem Meeresboden der arktischen Tiefsee, im Meereis oder an den Stränden abgelegener Inseln finden wir mittlerweile große Mengen von Müll. Daher ist es gut und wichtig, dass die EU Maßnahmen zur Verringerung des Müllaufkommens in den Ozeanen ergreift. Beim Plastik anzusetzen ist folgerichtig, da Kunststoffe rund drei Viertel des gesamten Mülls in den Meeren ausmachen. Ein Fokus auf Einwegprodukte wie Strohhalme, Wattestäbchen und Einweggeschirr erscheint zunächst sinnvoll, da sie in vielen Meeresgebieten einen auffälligen Anteil an dem gesamten Müllvorkommen haben. Vor allem aber ist eine Verschmutzung der Meere mit solchen Einwegprodukten, die leicht zu ersetzen wären, völlig unnötig. Daher ist es richtig, die massenhafte Herstellung von Produkten, die nach einmaliger Nutzung nicht mehr zu gebrauchen sind, rigoros zu reglementieren.
Ein Abschied von Einweggeschirr und Plastikstrohhalmen ist vergleichsweise einfach. Für einen wirklich effizienten Beitrag gegen die Verschmutzung der Meere müssen wir uns jedoch die Frage stellen, ob wir damit weit genug gehen. Wir wissen mittlerweile, dass neben den Einwegprodukten vor allem die exzessive Herstellung und Verwendung von Verpackungen maßgeblich zu der Verschmutzung der Meere beiträgt. Auch wissen wir, dass zahlreiche weniger offensichtliche Quellen zu der Verschmutzung der Meere mit Kunststoffen beitragen. Hier sind neben vielen anderen Beispielen der Reifenabrieb von Kraftfahrzeugen und die Freisetzung von Mikrofasern aus synthetischer Kleidung beim Waschen zu nennen. Auch stehen wir vor dem Dilemma, dass wir eine ständig wachsende Erdbevölkerung ernähren müssen, gleichzeitig aber die industrielle Fischerei nicht nur die weltweiten Fischbestände dezimiert, sondern durch den Verlust von Fanggeschirr und Ausrüstung auch massiv zur Verschmutzung der Meere beiträgt. Und schließlich müssen wir berücksichtigen, dass sich zwar rund 75 bis 80 Prozent des Mülls in den Meeren aus Kunststoffen zusammensetzt, der gesamte Rest – bestehend aus Glas, Metall und anderen Materialien – bis heute insgesamt aber auch einen Umfang von geschätzt 50 Millionen Tonnen erreicht hat.
Der Verbraucher kann mit seinem Verhalten einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Vermüllung der Ozeane beitragen. Vor allem sind hier jedoch Wirtschaft und Industrie gefragt, mit innovativen Ansätzen eine Produktion zu ermöglichen, die nicht nur auf kurzfristige Gewinnmaximierung, sondern auf eine nachhaltige Nutzung von Ressourcen ausgelegt ist. Hierzu gehört auch die Optimierung von Recyclingtechnologien, um Rohstoffe so lange wie möglich im Kreislauf zu halten. Mit der Vermüllung der Meere werden wir Menschen mit einem Umweltproblem konfrontiert, das ebenso wie der Klimawandel mit einfachen Mitteln nicht mehr zu bekämpfen sein wird. Um diese globalen Probleme zu lösen, müssen Politik, Industrie, Bevölkerung aber auch die Wissenschaft neue Wege gehen, die es erfordern werden, dass wir vertraute Strukturen und Handlungsweisen rigoros hinterfragen und aufbrechen. Wenn wir die Menge des Abfalls im Meer in nennenswertem Maße reduzieren wollen, brauchen wir fundamentale Veränderungen. Da kann ein Verzicht auf Plastikstrohhalme nur der Anfang sein.
5 Fragen, 5 Antworten
Wie viel Müll gelangt jährlich in die Meere?
Das ist keine einfach zu beantwortende Frage. Momentan gehen wir weltweit von rund 8 Millionen Tonnen Kunststoffmüll pro Jahr aus – das sind drei Viertel des gesamten Mülls in den Ozeanen. Wir kennen aber nur den landbasierten Eintrag. Was direkt auf dem Meer – zum Beispiel von Schiffen und Ölplattformen – ins Meer gelangt, wissen wir nicht. Unsere Forschung an unbewohnten Stränden Spitzbergens in der Arktis hat gezeigt, dass der seebasierte Eintrag aus der Fischerei teilweise über 90 Prozent des Mülls ausmacht. Auch im sogenannten nordpazifischen Müllstrudel trägt Kunststoff aus der Fischerei zu 46 Prozent bei.
Betrifft das Verbot die richtigen Produkte?
Die Vorlage zur Plastikstrategie ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, jedoch bleiben viele Ursachen noch unberücksichtigt. Ein Großteil des Mikroplastiks entsteht zum Beispiel auf unseren Straßen durch Reifen- und Schuhsohlenabrieb. Bei jedem Waschgang mit Kleidungsstücken, die synthetische Anteile enthalten, werden unzählige mikroskopische Kunststofffasern freigesetzt, die derzeit nicht vollständig von unseren Klärwerken herausgefiltert werden können. Hier wären gesetzlich zusätzliche Klärstufen einzufordern, wie in den 1990er Jahren im Rahmen der Urban Waste Water Treatment Directive.
Ein weiterer Weg wäre, eine Verringerung von Synthetik-Kleidung durch gesetzliche Vorgaben und Anreizen herbeizuführen, was sich gleichzeitig positiv auf die menschliche Gesundheit auswirken könnte, denn wir nehmen Kunststoff-Fasern auch über die Atemwege auf. Ferner werden die vielen Einwegverpackungen – besonders im Lebensmittelbereich – nicht ausreichend berücksichtigt. Die Weltbank prognostiziert einen Anstieg der weltweiten Müllproduktion auf 3,4 Milliarden Tonnen pro Jahr in den kommenden 30 Jahren – davon 12 Prozent Plastik – und Müll trägt durch Verbrennung, Transport und biologischem Abbau erheblich zu unseren Treibhausgas-Emissionen bei. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die Vermeidung von Abfall auch erforderlich sein wird, um unsere Klimaziele einzuhalten.
Wie trägt die Fischerei zur Verschmutzung der Meere bei?
In vielen Meeresgebieten weltweit macht Fischereiausrüstung einen sehr großen Anteil des Mülls aus. Dieses wird in der Plastikstrategie auch erwähnt, aber es werden unseres Erachtens noch nicht ausreichend Lösungsstrategien angeboten. Das ist bedauerlich, denn besonders auf See entsorgte Netze werden für viele Meerestiere zum Verhängnis. Darin verfangene Kadaver locken andere Tiere an, so dass die Netze immer weiter ‚fischen‘. Plastikfasern von Fischnetzen befinden sich in großen Mengen an unseren Stränden und auch in den Mägen von Meerestieren, zum Beispiel in dem von uns gern verzehrten Kaisergranat.
Was wären aus wissenschaftlicher Sicht die nächsten wichtigen Schritte?
Derzeit nimmt die Produktion von Kunststoffen weltweit jährlich um circa 4 Prozent zu. Dieser Trend lässt sich nur dann umkehren, wenn die Industrie zum Beispiel Verpackungsmaterialien reduziert und die Verbraucher bewusst auf Kunststoff verzichten. Ein Weg wäre, vermehrt Kunststoffe einzusetzen, die komplett biologisch abbaubar sind. Zwar gibt es heute bereits kompostierbares Plastik, doch das zersetzt sich in der freien Natur nur unzureichend. Nicht immer gelangt biologisch abbaubares Plastik in industrielle Kompostieranlagen und selbst dort bleiben Mikropartikel oder Fasern übrig.
Unseres Erachtens müssen alle Verpackungen und Produkte auf den Prüfstand gestellt werden. Auf welche Verpackungen können wir verzichten? Wie müssen Transportketten angepasst werden, um dies zu ermöglichen? Welche Verpackungen und Produkte können nachhaltig mit anderen Materialien ersetzt werden, ohne dass dies zu neuen Monokulturen in der Landwirtschaft führt? Wo können wir zusätzlich zu Mehrweg- und Pfandsystemen auch wieder mehr auf alternative, umweltverträgliche Materialien setzen. Wo Kunststoffe wirklich unerlässlich sind, sollten recyclebare, also sortenreine Kunststoffe verwendet werden. Dazu braucht es Forschung und gesetzliche Vorgaben, denn von allein wird sich die Kunststoffindustrie nicht bewegen, sie hat viel zu verlieren.
Wenn wir es erreichen, dass Kunststoffe unter Berücksichtigung des energetischen Aufwands optimaler wiederverwendet werden können, brauchen wir angesichts der riesigen Mengen an Kunststoffabfällen viel weniger Neuproduktion. Wichtig ist auch, dass der Müll, der auf Schiffen anfällt, nicht in die Meere gelangt. Dazu könnte ein One-Fee-System in allen europäischen Häfen – quasi eine Flatrate für die Müllanlandung – helfen und gleichzeitig auch finanzielle Anreize liefern, den Müll nicht mehr auf See zu entsorgen.
Was kann jeder Einzelne gegen die Verschmutzung der Meere mit Plastikabfall tun?
Wenn wir die Menge des Abfalls im Meer in nennenswertem Maße reduzieren wollen, brauchen wir fundamentale Veränderungen. Ein Leben ohne Kunststoff ist mittlerweile schwer vorstellbar und kaum umsetzbar. Grundsätzlich sollte man versuchen, seinen Konsum einzuschränken und bei den Produkten, die man kauft, darauf achten, dass sie lange nutzbar und möglichst wenig verpackt sind. Außerdem halten wir Umwelterziehung für besonders wichtig. Es ist essenziell, vor allem Kinder und Jugendliche über die Risiken des Kunststoffabfalls und Alternativen zum Kunststoff aufzuklären, um langfristig das Kaufverhalten der Menschen zu verändern. Vor diesem Hintergrund sind auch internationale Müllsammelkampagnen sinnvoll. Zwar wird durch das Müllsammeln an den Küsten und Flüssen nur verhältnismäßig wenig Müll aus der Umwelt entfernt. Der pädagogische Wert solcher Aktionen aber ist sehr hoch.