Die Energiewende verspricht ländlichen EU-Regionen einen Aufschwung

Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral werden – das ist das Herzstück des Green Deals. Die größte Herausforderung ist dabei die Dekarbonisierung des europäischen Energiesystems. Dazu muss fossile Energie durch erneuerbare Energie ersetzt werden. Die neue Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass das Bewältigen dieser Herausforderungen auch den wirtschaftlichen Zusammenhalt zwischen Europas Regionen stärken könnte.

Die vollständige Umstellung auf erneuerbare Energie ist eine große Chance für ländliche Regionen. Sie profitieren besonders mit einem Anstieg von bis zu 4,9 Prozent bei der Beschäftigung und bis zu 1.570 Euro pro Kopf bei der Wertschöpfung bis 2050. Dies sorgt für eine verbesserte europäische Kohäsion, also für mehr Ausgeglichenheit zwischen den Regionen in Europa und stärkeren wirtschaftlichen Zusammenhalt. Es zeigt sich: Regionen, die beim Ausbau erneuerbarer Energie ohnehin schon führend sind, und ländliche Gebiete mit großem Potenzial zur Erzeugung erneuerbarer Energie, werden am meisten von der Energiewende profitieren. Ein gutes Beispiel ist hier der Gegensatz zwischen Berlin und Brandenburg: der ländliche Raum rund um die deutsche Hauptstadt könnte profitieren, während Berlin selbst einige Herausforderungen zu bewältigen hat.

Positive Auswirkungen auf europäische Kohäsion

Denn für viele städtisch geprägte Regionen und Gebiete, deren Industrie stark von fossilen Energieträgern abhängig sind, stellt die Energiewende eine Herausforderung dar, die sich negativ auf die Beschäftigung und den wirtschaftlichen Wohlstand auswirken kann. In
diesen Regionen können die durch den Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung verloren gehende Wertschöpfung und Arbeitsplätze nicht vollständig durch den Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung ersetzt werden. Konkret heißt das: Bis zu 2.450 Euro weniger pro Kopf bei der Wertschöpfung und bis zu 2,1 Prozent weniger Beschäftigung bis 2050. Diese Unterschiede zwischen den Regionen sind auf ihr jeweiliges Potenzial zur Erzeugung erneuerbarer Energie und ihren Wirtschaftsstrukturen zurückzuführen.

Es ergibt sich ein ungewohntes Bild: Vor allem ländliche Regionen, die meist als wirtschaftlich schwächer gelten, werden eher von der Energiewende profitieren als städtische, meist wirtschaftlich stärkere Regionen. Dadurch gestaltet sich die wirtschaftliche Landkarte in Europa neu. In Summe kommt es EU-weit allerdings zu keinen nennenswerten Auswirkungen was Wertschöpfung und Beschäftigung für die gesamteuropäische Wirtschaft betrifft.

Europäische Kohäsionspolitik muss weiter gedacht werden

„Deutlich wird: Die Energiewende eröffnet Chancen für ländliche Regionen, während für urbane Zentren neue Herausforderungen entstehen. Was es angesichts dieser regionalen Unterschiede braucht, ist eine Erweiterung der Strategie: Einerseits muss den negativen Auswirkungen insbesondere in städtischen Regionen entgegengewirkt werden. Andererseits muss ländlichen Regionen dabei geholfen werden, ihr volles Potential zu entfalten. Eine angepasste europäische Kohäsionspolitik ist jetzt notwendiger denn je, um diese Herausforderungen zu bewältigen“, erklärt Thomas Schwab, Europaexperte der Bertelsmann Stiftung.

Daher muss die europäische Kohäsionspolitik ihren Anwendungsbereich auf städtisch geprägte Regionen, die bisher weniger berücksichtigt wurden, erweitern. Gleichzeitig gilt es ländliche Regionen weiterhin im Fokus zu behalten, damit die durch die Energiewende entstehenden Potenziale auch tatsächlich gehoben werden. Die gezielte Unterstützung aller Regionen in der Energiewende ist dabei nicht nur für den europäischen Zusammenhalt, sondern auch für den Erfolg des Europäischen Green Deals von entscheidender Bedeutung. Thomas Schwab: „Die EU steht vor der großen Aufgabe, ihren Green Deal und die Energiewende so zu gestalten, dass möglichst alle Regionen von den Chancen profitieren. Lässt sie es zu, dass es Verlierer gibt, gefährdet dies den politischen und öffentlichen Rückhalt für dieses europäische Jahrhundert-Projekt.“