Welche Handelsform ist umweltfreundlicher?

Prof. Dr. Bastian Popp Europa-Institut/H.I.MA.

Überall Paketlieferwagen, Berge aus Pappkartons, Retouren ohne Ende: Der Online-Handel gilt unter den Kundinnen und Kunden als Umweltsünde. Die Wissenschaft kommt hier aber zu ganz anderen Erkenntnissen: Denn der Handel übers Internet ist, der Wahrnehmung der Kundschaft zum Trotz, nach aktueller Studienlage mehrheitlich umweltfreundlicher als der stationäre Handel. Wirtschaftswissenschaftler der Universität des Saarlandes haben diese Diskrepanz nun in mehreren Studien herausgefunden und publiziert.

Im Einzelhandel gilt eine eherne Regel: Der Kunde hat immer recht. In einem jedoch liegen Käuferinnen und Käufer falsch: Der Online-Handel ist keinesfalls umweltschädlicher als der stationäre Handel. „Kundinnen und Kunden nehmen den stationären Handel im Hinblick auf seine umweltbezogene Nachhaltigkeit als signifikant vorteilhafter im Vergleich zum Online-Handel wahr. Aber auch wenn die vielen Lieferfahrzeuge, insbesondere jetzt in der Vorweihnachtszeit, einen anderen Eindruck vermitteln: Die Mehrheit der wissenschaftlichen Studien zeigt, dass der Online-Handel aus ökologischer Perspektive oft besser ist als der stationäre Handel“, erläutert Patrick Klein, der gemeinsam mit Professor Bastian Popp vom Institut für Handel & Internationales Marketing an der Universität des Saarlandes die aktuelle Studienlage hierzu beleuchtet hat.

In dieser Untersuchung fassen die Wirtschaftswissenschaftler den Stand der bestehenden Forschung zusammen. Dabei zeigt sich, dass sich insbesondere Faktoren wie Gebäude, Lagerhaltung, Ausgestaltung des Einkaufstrips, Auftragsbündelung, Retouren, Verpackung, Transport und Logistik auf die Umweltbilanz beider Kanäle auswirken. Zudem hat das Verhalten einzelner Akteure, wie Kundschaft, Logistik-Dienstleister und Einzelhändler, einen entscheidenden Einfluss auf die Ökobilanz, so dass ein Vergleich oft nicht pauschal zu ziehen ist. „Die meisten wissenschaftlichen Studien halten jedoch den Online-Handel für umweltfreundlicher und betonen den Umweltvorteil, der sich unter bestimmten Annahmen wie zum Beispiel der Art der Fahrzeuge, der Routenplanung und so weiter ergibt“, fasst Bastian Popp eine wichtige Erkenntnis zusammen.

Er und sein Mitarbeiter haben in vier aufeinanderfolgenden Studien die Perspektive der Kundschaft auf den Umwelteinfluss der beiden unterschiedlichen Einkaufskanäle untersucht. „Die Ergebnisse zeigen, dass der stationäre Handel im Hinblick auf die ökologische Nachhaltigkeit zu vier verschiedenen Zeitpunkten (vor, während und nach der Corona Pandemie) als signifikant vorteilhafter wahrgenommen wird als der Online-Handel“, so Bastian Popp. Patrick Klein erklärt, dass die Kundschaft damit einer Fehleinschätzung unterliegt: „Die Ergebnisse unserer Befragungen stehen im klaren Widerspruch zur wissenschaftlichen Literatur, die in der objektiven Bewertung der ökologischen Nachhaltigkeit der Kanäle den Online-Handel mehrheitlich als vorteilhafter hinsichtlich umweltbezogener Aspekte einstuft.“

Das Fazit der Wissenschaftler: „Generell zeigen die Ergebnisse und die Diskrepanz zwischen tatsächlicher und wahrgenommener Umweltverträglichkeit, wie wichtig es für Einzelhändler und Logistikdienstleister ist, ihre ökologischen Vorteile transparent und glaubwürdig zu kommunizieren, um ihr wahrgenommenes Image zu verbessern. Für Online-Händler gilt es, die vergleichsweise hohe Umweltverträglichkeit deutlicher hervorheben“, so Patrick Klein.

Der stationäre Handel profitiere hinsichtlich der eigenen Positionierung zwar aktuell noch von einer eher positiv wahrgenommenen, umweltbezogenen Nachhaltigkeit, laufe aber angesichts der Anstrengungen des Online-Handels zur Steigerung des eigenen ökologischen Fußabdrucks Gefahr, diesen Vorteil aus Konsumentensicht zu verlieren. „Er sollte seinerseits die eigenen Bemühungen zur Steigerung der Umweltfreundlichkeit, zum Beispiel durch energetische Maßnahmen, weiter stärken und im Rahmen der Positionierung auch die – in dieser Untersuchung nicht berücksichtigte – soziale Komponente der Nachhaltigkeit einsetzen“, führt Bastian Popp aus.

Bei so genannten Omni-Channel-Anbietern, die kanalübergreifend sowohl online als auch stationär verkaufen, kann zudem eine flexible, reibungslose Integration des stationären und des Online-Geschäfts helfen, die Vorteile beider Kanäle zu nutzen und die ökologische Nachhaltigkeit des Handels zu steigern.