Unterschätzte Ozeanzirkulation im Klimawandel

Die gängige Vorstellung, dass Veränderungen im Exportfluss von organischem Kohlenstoff direkt den atmosphärischen CO2-Gehalt beeinflussen, wird in dem neuen Positionspaper als verkürzte Sichtweise identifiziert. katatonia – stock.adobe.com

Der Ozean spielt eine entscheidende Rolle bei der Speicherung von Kohlenstoffdioxid (CO2). Die marine biologische Kohlenstoffpumpe ist in diesem Zusammenhang ein bedeutendes Forschungsthema. Allerdings bleibe dabei eine wichtige Komponente oft unberücksichtigt, sagt Dr. Ivy Frenger, Klimaforscherin am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. In einem Positionspapier hat sie gemeinsam mit Kollegen herausgearbeitet, warum es nicht reicht, sich bei der Untersuchung der Kohlenstoffpumpe und ihrer Rolle im Klimawandel auf biologische Prozesse zu konzentrieren. Es müsse auch die CO2-Rückführung an die Atmosphäre durch die Ozeanzirkulation betrachtet werden.

Im Ozean findet sich ein Vielfaches der atmosphärischen Kohlenstoffmenge. Dazu trägt ein wesentlicher Prozess des marinen Kohlenstoffkreislaufes bei, die so genannte marine biologische Kohlenstoffpumpe (Biological Carbon Pump, BCP). Dabei sinkt organisches Material, in dem Kohlenstoff (CO2) gebunden ist als sogenannter Exportfluss aus den oberen Wasserschichten in die Tiefsee. Dort wird dieses Material durch bakterielle Abbauprozesse wieder in anorganischen Kohlenstoff zurück verwandelt und gespeichert. Damit sorgt die BCP dafür, dass der CO2-Gehalt in der Atmosphäre deutlich geringer ist als er in einer fiktiven Welt ohne die BCP wäre. So weit, so unumstritten.

Doch eines wird bei dieser Betrachtung gerne übersehen, sagt Dr. Ivy Frenger, Klimaforscherin am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel: „Man muss unbedingt auch die Ozeanzirkulation, also die Physik mitberücksichtigen, denn die entscheidet darüber, wie lange und wie viel CO2 sich tatsächlich langfristig im Ozeaninneren ansammeln kann und damit von der Atmosphäre ferngehalten wird.“ Betrachtet man als Effekt der BCP nur den Exportfluss, sei das so, als ob auf dem Kontoauszug nur die Einnahmen ausgewiesen würden. „Es gibt aber Gewinne und Verluste – das, was das Ozeaninnere aufnimmt und das, was aber auch wieder herauskommt.“

Änderungen in der BCP sind im Zusammenhang mit den Klimaveränderungen ein großes Forschungsthema. Die verkürzte Betrachtung, sich bei der Frage nach dem Einfluss der BCP auf das atmosphärische CO2 auf den Exportfluss zu fokussieren und dabei die Ozeanzirkulation zu vernachlässigen, sei weit verbreitet, sagt Dr. Frenger, weshalb sie jetzt gemeinsam mit sechs internationalen Kolleg:innen ein Positionspapier veröffentlicht hat. Der Titel: „Misconceptions of the marine biological carbon pump in a changing climate: Thinking outside the ‚export‘ box“ (etwa: Missverständnisse zur marinen biologischen Kohlenstoffpumpe im Klimawandel: Mehr als nur der „Exportfluss“).

In ihrer Veröffentlichung geht es den Wissenschaftler:innen im Kern darum, mit der verzerrten Sichtweise aufzuräumen, es bestehe ein direkter Zusammenhang zwischen dem weltweiten Exportfluss – dem Äquivalent zu den Einnahmen – und der biologischen CO2 Speicherung im Ozean – dem Äquivalent zum Kontostand – und damit im Umkehrschluss auch dem atmosphärischen CO2. „Das lässt sich so einfach nicht in Beziehung setzen“, sagt Dr. Frenger. Man müsse auch die „Ausgaben“ berücksichtigen.

Viel einfacher und zudem wissenschaftlich korrekter wäre nach ihrer Ansicht, das aus biologischen Prozessen stammende CO2-Reservoir im Ozean direkt abzuschätzen. Eine solche Abschätzung ist möglich, wenn man den Sauerstoffgehalt im Ozeaninneren misst, dazu den physikalischen Zustand, wie die Temperatur. Änderungen dieser Größen im Klimawandel würden auch erklären, warum die BCP unter dem Einfluss des menschengemachten Klimawandels derzeit scheinbar widersprüchlich reagiert: Obwohl der Exportfluss abnimmt, verstärkt sich die Speicherung von Kohlenstoff durch die biologische Pumpe im Ozeaninneren, weil es durch Änderungen der Ozeanzirkulation längere Zeit dauert, bis der biologisch gespeicherte Kohlenstoff wieder an die Oberfläche gelangt.

Um beim Bild des Kontostandes zu bleiben, sind also zwar die Einnahmen geringer, aber die Ausgaben sogar noch stärker reduziert. Das führt zu einer so genannten Klimarückkopplung, die für mehr Speicherung von CO2 im Ozeaninneren sorgt, als es ohne die biologische Kohlenstoffpumpe der Fall wäre. Mitautorin Dr. Angela Landolfi: „Dieser Effekt ist jedoch klein im Vergleich zu den weiterhin massiven menschengemachten CO2-Emissionen.“

Die Wissenschaftler hoffen, mit ihrem Positionspapier und dem darin propagierten Ansatz dazu beizutragen, ein klareres Bild vom Einfluss der marinen biologischen Kohlenstoffpumpe auf das atmosphärische CO2 in einer sich wandelnden Welt zu zeichnen. Dieser „Blick über den Tellerrand“ ist besonders wichtig im Hinblick auf Vorschläge, CO2 aus der Atmosphäre mittels künstlich stimulierter mariner Biologie (zum Beispiel durch Eisendüngung oder den künstlichen Auftrieb von Tiefenwasser) zu entfernen.