Umwelthormone sind chemische Substanzen, die ähnlich wie körpereigene Hormone wirken können. Gelangen sie in den Organismus, greifen sie in das Hormonsystem und damit verbundene Körperprozesse ein. Welche gesundheitlichen Risiken daraus folgen können, soll das vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) koordinierte EU-Forschungsprojekt ENDOMIX aufklären, das am 1. Januar startete. Darüber hinaus wollen die Forscher Empfehlungen erarbeiten, wie Belastungen mit Alltagschemikalien mit hormonähnlicher Wirkung gesenkt und auf diese Weise mögliche Gesundheitsrisiken reduziert werden können.
Tagtäglich sind wir einer Vielzahl von Umwelthormonen ausgesetzt: Sie kommen beispielsweise als Weichmacher in Plastikprodukten vor und können über die Nahrung, die Haut oder durch das Einatmen kleinster Partikel in unseren Körper gelangen. „Umwelthormone sind tatsächlich allgegenwärtig – wir können uns ihnen kaum entziehen“, sagt Prof. Ana Zenclussen, Immunologin und Leiterin des Departments Umweltimmunologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). „Auch wenn wir nur kleinste Mengen dieser Substanzen aufnehmen, dies aber über einen längeren Zeitraum, so kann das ernsthafte Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben.“ Umwelthormone werden auch als endokrine Disruptoren bezeichnet. Sie stören hormonell gesteuerte Prozesse im Körper, indem sie diese zum Beispiel anstoßen, verstärken oder hemmen. Was bedeuten solche Störungen des Hormonsystems für unsere Gesundheit? Welche Erkrankungen können sie auslösen? Und wo und wie genau wirken endokrine Disruptoren im Körper – insbesondere auch als Mischung?
„Mit ENDOMIX möchten wir Antworten auf diese wichtigen Fragen finden“, sagt Ana Zenclussen, die das Konsortium aus elf Partnereinrichtungen aus sieben Staaten koordiniert. „Die Basis für unser Forschungsvorhaben bilden mehrere europäische Kohortenstudien, darunter auch die am UFZ etablierte Mutter-Kind-Studie LiNA. Damit steht uns ein wertvoller Datenschatz zur Verfügung.“ Da die Bioproben der Teilnehmer bereits chemisch analysiert sind, ist dem Forschungsteam bekannt, welchen Umwelthormonen welche Personen zu welchem Zeitpunkt ausgesetzt waren.
In einem ersten Schritt wollen die Forscher herausfinden, welche Gemische von endokrinen Disruptoren – so wie sie tatsächlich in den Bioproben der Probanden vorkommen – besonders starke gesundheitsrelevante Effekte hervorrufen können. Dafür nutzen sie computerbasierte Modellierungsverfahren sowie tierversuchsfreie Hochdurchsatz-Zellkulturversuche. „Die Mischungen, die besonders starke Wirkungen zeigen, wollen wir dann im Labor selbst herstellen und für weiterführende Untersuchungen nutzen, um Ansatzpunkte, molekulare Zusammenhänge und betroffene Stoffwechselwege besser zu verstehen“, erklärt die UFZ-Forscherin Ana Zenclussen. Dabei werden unter anderem verschiedene in-vitro-, in-vivo- und in-silico-Verfahren sowie moderne OMICS-Technologien um Einsatz kommen.
Eine Kernfrage von ENDOMIX ist, wie sich Mischungen von Umwelthormonen auf das Immunsystem auswirken. „Immunzellen spielen bei der Entstehung vieler chronischer Erkrankungen wie etwa Asthma, Allergien, reproduktiven Störungen und Stoffwechselerkrankungen eine zentrale Rolle. Daher ist es wichtig, dass wir die Wirkzusammenhänge zwischen endokrinen Disruptoren und dem Immunsystem besser verstehen lernen“, sagt Ana Zenclussen. Außerdem wird das Forschungsteam – unter anderem mithilfe von KI – untersuchen, ob die Daten und Ergebnisse aus den unterschiedlichen Versuchen mit bestehenden Erkrankungen der Probanden aus den Kohorten in Zusammenhang stehen.
„Mit ENDOMIX möchten wir die realen Auswirkungen endokriner Disruptoren auf die menschliche Gesundheit aufdecken und dabei auch mögliche Unterschiede zwischen Alter und Geschlecht identifizieren“, sagt sie. „Der besondere Ansatz unseres Projekts ist, dass wir die Exposition gegenüber endokrinen Disruptoren und damit einhergehende gesundheitliche Auswirkungen über die gesamte Lebensspanne hinweg unter die Lupe nehmen.“ Ziel ist, die kritischen Zeitfenster zu identifizieren, in denen der Körper besonders empfindlich auf Umwelthormone reagiert. „Wenn diese Zeitfenster bekannt sind, können Schutzmaßnahmen besonders effektiv wirken und Gesundheitsrisiken minimiert werden“, erklärt Ana Zenclussen. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass unsere Forschungsergebnisse in praktische Handlungsempfehlungen münden können – damit die Menschen künftig wissen, wie sie sich besser vor Alltagschemikalien mit hormoneller Wirkung schützen können, und wann sie dies unbedingt tun sollten.“
ENDOMIX läuft bis Ende 2027 und wird durch das Horizon Europe Programm „HORIZON-HLTH-2023-ENVHLTH-02-03“ der Europäischen Union (Förder-Nr. 101136566) mit rund 7 Millionen Euro gefördert. Koordiniert wird es am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Projektpartner sind: Institut national de la santé et de la recherche médical (INSERM, Frankreich), Fundación Privada Instituto de Salud Global Barcelona (ISGlobal/Spanien), Fundación para el Fomento de la Investigación Sanitaria y Biomedica de la Comunitat Valencia (FISABIO/Spanien), Imperial College of Science Technology and Medicine (ICL, Großbritannien), Universiteit Utrecht (UU, Niederlande), Erasmus Universitair Medisch Centrum Rotterdam (EMC, Niederlande), Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Masarykova univerzita (MU, Tschechische Republik), Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT), EIBIR gemeinnützige GmbH zur Förderung der Erforschung der biomedizinischen Bildgebung (Österreich).