
Die niederländische Universität Wageningen, auch bekannt als Wageningen University & Research (WUR), ist eine renommierte Universität, die sich auf Agrar- und Umweltwissenschaften spezialisiert hat. Sie bietet eine Vielzahl von Studiengängen in den Bereichen Landwirtschaft, Lebensmittelwissenschaft, Umweltmanagement und verwandten Disziplinen an. Die Universität ist international anerkannt für ihre Forschung und Lehre in diesen Bereichen und arbeitet eng mit Regierungen, Unternehmen und anderen Organisationen zusammen, um Lösungen für globale Herausforderungen im Zusammenhang mit Ernährungssicherheit, Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu entwickeln. Dort arbeiten Forschungsgruppen immer mehr mit künstlicher Intelligenz (KI). Welche Chancen und Dilemmata ergeben sich daraus für unsere Forschung und Ausbildung? Und wie kann die WUR in die sogenannte „verantwortungsvolle KI“ investieren?
Was ist eigentlich Künstliche Intelligenz?
Künstliche Intelligenz (KI) bezieht sich auf die Fähigkeit von Maschinen oder Computersystemen, Aufgaben auszuführen, die normalerweise menschliche Intelligenz erfordern. Dazu gehören das Lernen, das Problemlösen, das Verstehen natürlicher Sprache und das Erkennen von Mustern. KI-Systeme können mithilfe von Algorithmen und Daten trainiert werden, um Entscheidungen zu treffen oder komplexe Aufgaben zu bewältigen. Beispiele für KI-Anwendungen sind selbstfahrende Autos, Spracherkennungssysteme wie Siri oder Alexa, medizinische Diagnosesysteme und personalisierte Empfehlungssysteme in Online-Plattformen. Die Entwicklung von KI hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht und wird voraussichtlich weiterhin eine wichtige Rolle in verschiedenen Bereichen der Technologie, Wissenschaft und Industrie spielen. Relativ neu ist die Anwendung der KI beispielsweise für unser Verständnis von Nahrungsmittelsystemen, Ökosystemen und anderen Prozessen, die in Wageningen untersucht werden. KI bietet viele neue Möglichkeiten, diese Daten zu interpretieren.
Das Netherlands Plant Eco-phenotyping Centre (NPEC) in Wageningen führt zum Beispiel große Mengen an Pflanzenmessungen unter kontrollierten Bedingungen durch. Die Messung mehrerer Pflanzensorten im Anbau und unter verschiedenen Umweltbedingungen wird versucht, herauszufinden, wie die Interaktion zwischen DNA und Umwelt funktioniert. Diese Messungen erzeugen eine große Datenmengen – mehr als 1.000 Terabyte. Die Pflanzenforscher Professor Mark Aarts und Rick van de Zedde nehmen Fotos von den Pflanzen im Gewächshaus auf. Ein KI-Programm filtert diese Abbildungen so, dass nur die relevanten Pflanzenteile analysiert werden. Unwichtige Aspekte wie der Hintergrund, Töpfe und Stöcke werden herausgefiltert. Kürzlich entdecken sie nun, dass sie noch mehr Informationen aus ihren Datenmengen generieren können.

Die künstliche Intelligenz hilft auch dabei, Abweichungen in Tests zu finden und zu erklären. Wenn die Daten für einige Pflanzen vom Durchschnitt abweichen, liegt das daran, dass sie weniger Wasser erhalten haben (der Schlauch war verstopft) oder weil dieser Genotyp anders auf die Behandlung reagiert? Forscher sehen solche Abweichungen oft erst später, und dann lässt sich die Bedeutung nicht mehr bestimmen, und dies besonders bei großen Datensätzen. Anders mit der KI: Der Computer kann dies sofort erkennen und analysieren. Und dies auch aus der Ferne.
Die Widerstandsfähigkeit eines Korallenriffs
Eine Forscher-Gruppe aus Wageningen wollte Fernerkundungsbilder verwenden und die Widerstandsfähigkeit eines Ökosystems anhand von Turing-Mustern bestimmen. Ein Turing-Muster ist eine mathematische Erklärung für die Entstehung von Mustern in der Biologie durch die Wechselwirkung zweier Variablen. Anhand solcher Muster wollten die Forscher beispielsweise die Widerstandsfähigkeit eines Korallenriffs bestimmen und feststellen, ob dieses Ökosystem kurz vor dem Absterben steht. Da Gruppenleiter Silva Torres steuerte KI-Wissen bei; er war an der Entwicklung von Algorithmen beteiligt, die Fernerkundungsbilder im Hinblick auf ihre Belastbarkeit bewerten und klassifizieren.
Mit einem solchen Algorithmus kann man auch die Widerstandsfähigkeit einer Savanne oder eines Regenwaldes auf der Grundlage von Satellitenbildern bestimmen, sagt Da Silva Torres. Für seine Forschung ist das Fachwissen der Lehrstuhlgruppen entscheidend, um einen guten Algorithmus zu erstellen. Die Forschungsgruppen können den richtigen Kontext und die richtigen Variablen bereitstellen und angeben, welche Eigenschaften einer Entität relevant sind. Außerdem können sie den Algorithmus mit ihrem Forschungswissen testen. Diese Zusammenarbeit zwischen Fach- und KI-Experten ist für beide Seiten von Vorteil und bietet viele Möglichkeiten in beide Richtungen.
Die Interaktion zwischen Mensch und Maschine ist nach Ansicht der KI-Professoren von entscheidender Bedeutung, da viele KI-Entwicklungen nicht vollständig automatisiert werden können, da die Gefahr besteht, dass der Computer Daten falsch versteht und einordnet. Um die Entwicklung der KI verfolgen zu können, ist es daher wichtig, dass die Herkunft und Verwendung der Daten transparent ist. Mit anderen Worten, FAIR: auffindbar, zugänglich, interoperabel und wiederverwendbar. Das macht FAIR zu einer nachhaltigen Alternative zu einigen der derzeitigen Datenverwaltungspraktiken der großen Technologieunternehmen.
Testzentren für Algorithmen
Auch ist es wichtig, dass die Anweisungen und Algorithmen transparent aufgezeichnet werden. Die EU-Gesetzgebung verlangt nun von den Mitgliedstaaten, die Algorithmen zu kategorisieren und anzugeben, wie gefährlich sie sind. Die EU finanziert auch Testzentren, die Algorithmen testen werden. Die WUR ist Teil einer europäischen Einrichtung zum Testen und Experimentieren mit KI-Anwendungen im Agrar- und Ernährungssektor. Professor Ioannis Athanasiadis und Kollegen von der Agricultural Biosystems Engineering Group, dem Laboratory of Geo-Information Science and Remote sensing und Wageningen Research sind an dieser Testeinrichtung beteiligt.
Darüber hinaus muss die Frage beantwortet werden: Wem gehören die Daten und welche KI wollen wir eigentlich? Dabei geht es um viele ethische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte (ELSA) der KI, die auch am WUR intensiv erforscht werden. Daran beteiligt sind die Wageninger Technologiephilosophen Professor Vincent Blok und Professor Da Silva Torres. ELSA ist ein virtuelles Labor, betont Blok; es experimentiert mit den ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten der KI in der konkreten Praxis.
Blok erforscht zum Beispiel Melkroboter. Die Landwirte benutzen sie zum Melken, aber die Melkroboter können KI enthalten und daher auch für die Tiergesundheit und medizinische Diagnostik eingesetzt werden. Wollen die Landwirte das? Nehmen wir an, es gibt einen Algorithmus, der die Gesundheit der Tiere bewertet. Wem gehören diese Daten, und wer ist verantwortlich, wenn eine Kuh krank bleibt oder gar stirbt? Das ELSA-Labor wirft diese Fragen auf, um sie in den Entwurfsprozess eines intelligenten KI-Melkroboters einzubeziehen.
Ein Problem bei diesem Gestaltungsprozess ist, dass KI ein Entscheidungshilfesystem ist – sie gibt dem Landwirt Ratschläge. Aber glaubt der Landwirt diesen Ratschlägen? Inwieweit kann er sich auf diese Ratschläge verlassen? Blok: „Aus diesem Grund muss man sicherstellen, dass die KI keine Blackbox ist; man muss in der Lage sein, klar zu erklären, wie die KI zu den Empfehlungen kommt. Möglicherweise müssen Sie auch in der Lage sein, das Fachwissen des Landwirts in das KI-System einzubringen und zu berücksichtigen. Auf diese Weise wird die KI zu einer Schnittstelle zwischen Technologie und Verhalten.
Es gibt weitere Beispiele für diese so genannte „verantwortungsvolle KI“
Anna Fensel, Professorin für KI und Datenwissenschaft, hat technische Lösungen für einen verantwortungsvollen Datenzugang und eine verantwortungsvolle Datennutzung entwickelt. Zu diesen Lösungen gehören Ontologien und Werkzeuge für die gemeinsame Nutzung von Daten, die mit den Rechtsgrundlagen der Allgemeinen Datenschutzverordnung der EU und weiteren Bedingungen (Einwilligung, Vertrag, lizenzbasierte gemeinsame Nutzung von Daten) vereinbar sind. Angenommen, Sie fahren ein Auto. Möchten Sie als Autofahrer im Interesse der Verkehrssicherheit Daten über Ihre Fahrt austauschen? Wahrscheinlich ja. Auf diese Weise erreichen Sie eine „positive gemeinsame Nutzung von Daten“. Auch Verbraucher können Daten für eine nachhaltige Zukunft austauschen, oder Patienten können Daten über Krankheiten, Lebensstile und Verhaltensweisen auf FAIRe und transparente Weise zu Zwecken austauschen, die allen zugute kommen. In jedem Fall ist es jedoch wichtig zu überlegen, welche Daten wie, mit wem und wie lange geteilt werden sollen.
Gesichtserkennung
Herausforderungen ergeben sich auch aus dem großen Einfluss einiger weniger sehr großer Unternehmen auf die Technologieentwicklung. Der ELSA-Prozess allein kann solche Herausforderungen nicht lösen. Hier sollten wir die Beteiligung der Regierung, vorzugsweise auf internationaler Ebene, in Betracht ziehen. Das KI-Gesetz der EU zum Beispiel regelt die Macht und den Wettbewerb großer Technologieunternehmen und verlangt die Zustimmung der Verbraucher, wenn KI zur Gesichtserkennung eingesetzt wird.
Blok zufolge geht es bei der Forschung zur Gesichtserkennung nicht um ein Verbot, sondern um einen verantwortungsvollen Einsatz. Vor allem in der Ernährungsforschung könnte sie nützlich sein. Ein großer Teil der Forschung, die untersucht, was Menschen essen, wird heute mit Fragebögen durchgeführt, von denen wir wissen, dass die Menschen sie nicht korrekt ausfüllen. Außerdem können die Forscher keine klassischen Experimente mit Verbrauchern durchführen, bei denen zum Beispiel eine Gruppe viel Zucker und Fett isst und die andere nicht. Diese Art von Forschung ist nicht erlaubt, weil man davon ausgeht, dass es ungesund ist, viel Fett und Zucker zu essen. Eine Smartwatch, die den Konsum der Probanden verfolgt, könnte eine Lösung sein.
Wie werden diese KI-Protokolle und -Schnittstellen eigentlich erstellt?
Das ist das Forschungsgebiet der KI-Professorin Anna Fensel. Sie arbeitet an Wissensgraphen. Wissensgraphen organisieren und verbinden Informationen so, dass Forscher sinnvolle Zusammenhänge herstellen und wertvolle Erkenntnisse gewinnen können. So entsteht ein umfassendes Wissensnetz, das als Grundlage für FAIR-Daten dient und zahlreiche Vorteile bietet. So können Wissensgraphen für Forscher eine Alternative zum manuellen Durchsuchen großer Mengen von Literatur sein, um relevante Informationen zu finden und das Gesamtbild besser zu verstehen. Ein Beispiel für einen solchen Wissensgraphen-Ansatz wird derzeit an der WUR im Rahmen des Horizon Europe SoilWise-Projekts entwickelt, um die Zusammenführung von Daten und Informationen zur Bodengesundheit zu ermöglichen.
Diese Wissensgraphen sind laut Fensel semantische Netzwerke, die die Bedeutung von Wörtern und Symbolen nutzen, um Daten zu strukturieren, und die den Formaten und Grundsätzen des Webs, des semantischen Webs und der verlinkten Daten entsprechen. Bei dieser Art von KI geht es im Wesentlichen nicht um Nullen und Einsen, sondern um Sprache, Identität und Bedeutung. Semantische Netze sorgen dafür, dass Informationen durch die Zusammenarbeit von Menschen und Maschinen an Bedeutung gewinnen.