Der Rückkehr großer Fleisch- und Pflanzenfresser wie Wolf und Elch in das Oderdelta stehen laut einer Online-Befragung viele Menschen in Deutschland und Polen offen gegenüber. Das zeigt eine Studie unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), die in People and Nature veröffentlich wurde. Bei einer Auswahl zwischen verschiedenen Rewilding-Szenarien bevorzugte die Mehrheit der Befragten ein naturnahes Management. Vorbehalte gibt es hingegen bei den Menschen, die in der Nähe des Oderdeltas wohnen.
In den letzten Jahren erfreut sich das Konzept des Rewilding unter Naturschützern wachsender Beliebtheit. Dabei geht es darum, Naturräume wieder sich selbst zu überlassen, so dass auf natürliche Weise vielfältige und klimaresiliente Landschaften entstehen. Es könne eine vielversprechende und kosteneffiziente Möglichkeit sein, dem Biodiversitätsverlust die Stirn zu bieten und Ökosysteme wiederherzustellen. Das Oderdelta bietet sich für das natürliche Comeback wildlebender Tiere besonders an: Es beherbergt eine große Vielfalt natürlicher Lebensräume wie Auwälder, stehende und Fließgewässer, Binnendünen und Heidelandschaften und ist umgeben von einer abwechslungsreichen Landschaft aus Wäldern, Flüssen und Feuchtgebieten.
Doch wie steht die Bevölkerung zum Rewilding im Oderdelta?
Um das zu messen, führte ein Forschungsteam eine Umfrage durch. Da sich das Oderdelta über Teile Polens und Deutschlands erstreckt, bot die Befragung auch eine einzigartige Möglichkeit zu untersuchen, inwieweit sich die Einstellungen polnischer und deutscher Befragter unterscheiden. Die Umfrage wurde entsprechend online in beiden Ländern durchgeführt und es nahmen jeweils ca. 1000 Personen teil. Die Befragten wurden mit verschiedenen Rewilding-Szenarien konfrontiert, die die ökologische Situation im Oderdelta im Jahr 2050 beschrieben. Die Szenarien bildeten sehr unterschiedliche Möglichkeiten ab: etwa eine Fortschreibung des bisherigen Zustands und damit eine intensivere Landnutzung mit entsprechenden Folgen für die Natur oder alternative Szenarien, in denen Flüsse und Wälder sich erholen konnten und sich mehrere große Tiere, wie Elch, Luchs und Wolf, wieder in der Region angesiedelt hatten.
Dabei war nur der Status quo ohne zusätzliche Kosten umsetzbar. Die alternativen Szenarien waren an zusätzliche steuerliche Belastungen gekoppelt, um die notwendigen Interventionen zu finanzieren. Entsprechend sahen sich die Befragten einem Zielkonflikt gegenüber: Mehr Nutzen für die Natur bedeutete immer auch eine Erhöhung der Steuer. „Dadurch konnten wir berechnen, wie groß die Bereitschaft der Befragten ist, für verschiedenen Interventionen im Oderdelta zu zahlen“, erklärt Erstautor Rowan Dunn-Capper, der bei iDiv und an der MLU forscht. „Das wiederum erlaubt Rückschlüsse auf die allgemeineren Einstellungen gegenüber Rewilding.“
Starker Rückhalt für Rewilding
Die Studie zeigt, dass die Befragten landesweit Rewilding-Initiativen gegenüber sehr offen eingestellt sind. Eine besonders starke Präferenz zeichnet sich für die Rückkehr großer Wildtiere wie Wolf, Luchs, Elch und Bison ab. Hier war die Zahlungsbereitschaft fast dreimal so hoch wie bei anderen Szenarien, die ebenfalls ein möglichst naturnahes Management vorsahen. „Diese Präferenz war für uns überraschend, schließlich werden große Tierarten, insbesondere der Wolf, in den Massenmedien oft eher negativ dargestellt.
Aber die Ergebnisse legen nahe, dass ein großer Teil der Bevölkerung der Rückkehr von Wildtieren doch positiver gegenübersteht als gedacht“, sagt Rowan Dunn-Capper. Doch auch für Wälder und die Landwirtschaft äußerten die Befragten in Deutschland und in Polen eine starke Präferenz für ein möglichst naturnahes Rewilding mit minimalem menschlichem Eingreifen in das Ökosystem. Die Tatsache, dass die Ergebnisse der Befragungen in Deutschland und Polen weitestgehend vergleichbar sind, deutet darauf hin, dass Vorlieben für Rewilding auch in unterschiedlichen politischen und kulturellen Kontexten gelten.
Lokal lebende Befragte tendenziell skeptischer gegenüber Rewilding
Allerdings waren die Vorlieben der lokalen Teilnehmenden (im Umkreis von 100 km) nicht ganz deckungsgleich mit den landesweiten Ergebnissen. Hier zeigte sich eine Präferenz für große Pflanzenfresser wie Elch und Bison, nicht jedoch für große Fleischfresser wie den Wolf. Auch bei einigen Rewilding-Interventionen in Flüssen oder in der Landwirtschaft unterschieden sich die Meinungen der lokalen von der nationalen Stichprobe. So zeigte ein erheblicher Teil der lokalen Befragten eine negative Zahlungsbereitschaft für Szenarien, in denen das natürliche Überflutungsregime im Oderdelta vollständig wiederhergestellt wurde. „Das unterstreicht die Komplexität der Naturschutzplanung und wie wichtig lokale Beiträge sind für die Förderung eines demokratischen Prozesses für das Management natürlicher Ressourcen“, sagt Seniorautor Prof. Dr. Henrique Pereira, Leiter Biodiversität und Naturschutz bei iDiv und an der MLU. „Ganz allgemein stützen die Ergebnisse unserer Studie aber Rewilding als alternativen Ansatz zur Wiederherstellung von Ökosystemen, der von der Öffentlichkeit akzeptiert wird und sich in ganz Europa durchsetzen könnte.“