Ein Konsortium von deutschen Geowissenschaftler erforscht in drei Expeditionen mit dem Forschungsschiff „Polarstern“ die Veränderungen des Ostantarktischen Eisschildes in der geologischen Vergangenheit. Davon wurde die zweite am 01. Februar 2024 abgeschlossen, die dritte ist noch bis Anfang April 2024 unterwegs. Die Forscher stammen vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel (GEOMAR), sowie von der Universität zu Kiel, der TU Dresden und der Universität zu Köln. Das Konsortium hat gemeinsam mit internationalen Partnern das Projekt „East Antarctic Ice Sheet Instability“ (EASI) initiiert. Das Forschungsprojekt hat zum Ziel, aus geologischen Daten vom Antarktischen Kontinent bis in die umgebende Tiefsee abzuleiten, wie das Ostantarktische Eisschild auf den aktuellen Klimawandel reagieren wird.
Der Beitrag der Universität zu Köln zur EASI-Initiative liegt in der Rekonstruktion der Vereisungsgeschichte in heute eisfreien Regionen entlang des ostantarktischen Eisrandes. „Wir nutzen die Sedimente, die in Seen, in Fjorden und an Land in diesen Gebieten abgelagert wurden und rekonstruieren aus der Zusammensetzung und dem Alter der Ablagerungen die Entwicklung der Klima- und Umweltbedingungen“, erläutert der Kölner Geologe Professor Dr. Martin Melles. Dabei beschränken sich die Forscher nicht auf die Vereisungsgeschichte.
Es wird auch die Klimageschichte, mit Änderungen in der Temperatur und in den Niederschlägen, sowie die regionale Meeresspiegelgeschichte rekonstruiert. „So verstehen wir nicht nur die Vereisungsgeschichte besser, sondern können auch die Gründe für die unterschiedlichen Entwicklungen in den verschiedenen eisfreien Gebieten entschlüsseln“, ergänzt Melles. Weitere Erkenntnisse erhoffen sich die Forscher von Vergleichen mit den Erkenntnissen, die das Konsortium im Südozean erlangt. „Unsere Partner sammeln Daten zu den Meeresströmungen, die Wärme in Richtung Land transportieren, oder zur Meereisbedeckung, die Gründe für Veränderungen in der Eisbedeckung an Land besser erklären.“
Auf der gerade zu Ende gegangenen Expedition „EASI-2“ wurden unter Leitung der Kölner Geologen umfangreiche Forschungsarbeiten in den Vestfold Hills durchgeführt, einem 413 km2 großen Landgebiet am Ostrand der antarktischen Prydz-Bucht. An dem sechs-köpfigen Team waren Forschende der TU Dresden und der australischen Universitäten Canberra und Adelaide beteiligt. Der Schwerpunkt lag auf der Gewinnung von Sedimentkernen aus einem See und einem Fjord. „Wir konnten an insgesamt vier Stationen bis zu 13 m lange Sedimentkerne gewinnen, aus denen erstmals in den Vestfold Hills die Geschichte von der Eisbedeckung über den Eisrückzug bis zu den heutigen eisfreien Bedingungen lückenlos rekonstruiert werden kann“, erläutert Melles. Die abschließende Analyse und Interpretation des umfangreichen Daten- und Probenmaterials wird im Rahmen eines dreijährigen Forschungsprojektes durchgeführt werden, welches von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird.
Im Inlandeis der Antarktis sind mehr als 90 Prozent des Süßwassers auf der Erde gespeichert. Ein vollständiges Abschmelzen des Antarktische Eisschildes würde den Meeresspiegel weltweit um 57 Meter ansteigen lassen und sogar Köln, mit den Rheinwiesen bei 36.4 Meter über dem Meeressspiegel, überfluten. Darüber hinaus würde ein Abschmelzen des Eises den Wärmehaushalt der Erde und die globale Ozeanzirkulation verändern, weil die helle Eisfläche große Mengen an Sonnenstrahlung in den Weltraum zurückspiegelt und in der Antarktis ein großer Teil des Bodenwassers im Weltozean gebildet wird.
Seit einigen Jahren lässt sich ein Massenverlust des Antarktischen Eisschildes beobachten. Dieser dürfte sich nach aktuellen Klimaprognosen in der Zukunft noch verstärken. „Das Eisschild reagiert recht träge, so dass sich ein vollständiges Abschmelzen des Eises über mehrere Jahrhunderte – wenn nicht Jahrtausende – hinziehen dürfte“, so Melles. „Wir müssen uns jedoch vor Augen führen, dass die Prognosen recht große Unsicherheiten aufweisen, da die Dynamik des Eisschildes heute und in der geologischen Vergangenheit noch unzureichend verstanden ist. Hier kann unsere Forschung einen wichtigen Beitrag leisten.“