Klimatische Veränderungen erfolgen meist über längere Zeiträume. In der letzten Eiszeit kam es jedoch innert weniger Jahre zu extremen Temperaturschwankungen. Forschende der Universität Basel konnten das Phänomen nun auch für die vorletzte Eiszeit belegen.
In der jüngeren Erdgeschichte, dem sogenannte Quartär, gab es immer wieder Eiszeiten und Warmzeiten. Zu welcher Zeit welches Klima herrschte, können Forschende aus der Zusammensetzung von sogenannten Klimaarchiven ableiten. Im Falle der letzten Eiszeit vor 100’000 Jahren liefern insbesondere Eisbohrkerne aus Grönland detaillierte Daten für Forschende.
Diese zeigen zum Beispiel, dass es immer wieder sprunghafte Temperaturanstiege gab. «Für Europa reden wir von plus 5 bis 10 Grad im Mittel innert 30 bis 40 Jahren. Ein Neandertaler erlebte also im Lauf seines Lebens Sprünge in der Durchschnittstemperatur von mehreren Grad», erklärt Prof. Dr. Dominik Fleitmann, Professor für Quartärgeologie an der Universität Basel. Er bezeichnet das Phänomen als «klimatischen Schluckauf».
Diese sogenannten Dansgaard-Oeschger-Events sind für die letzte Eiszeit gut dokumentiert. Die Klimaarchive aus Grönland reichen aber nur etwa 120’000 Jahre zurück. Bislang war daher unklar, ob diese Dansgaard-Oeschger-Events auch in der vorletzten Eiszeit vor 135’000 bis 190’000 Jahren auftraten. Frederick Held, Doktorand in der Forschungsgruppe von Dominik Fleitmann, konnte anhand von Isotopenmessungen an Stalagmiten zeigen, dass Dansgaard-Oeschger-Events auch in der vorletzten Eiszeit vorkamen. Er ist Erstautor der Studie, die in der Fachzeitschrift «Nature Communications» publiziert wurde.
Nordatlantik als Ursprung für Veränderungen
Die untersuchten Stalagmiten stammen aus der Sofular-Höhle in der Türkei. Sie liegt in einer Gegend, die sehr sensitiv für klimatische Ereignisse ist. Die Forschenden sprechen daher von einer Schlüsselregion. Sie ist beeinflusst von den Winden des Nordatlantiks, und das Schwarze Meer ist nur wenige Kilometer entfernt. «Wir haben anhand der Isotopenzusammensetzung in den Stalagmiten die Feuchtigkeitsquellen festgestellt, aus denen sie sich bildeten: Schwarzes Meer, Mittelmeer und Atlantik», erläutert Frederick Held.
Die Auswertungen der Stalagmiten aus der Sofular-Höhle belegen erstmals, dass Dansgaard-Oeschger-Events auch während der vorletzten Eiszeit auftraten. «Bisher war nicht bekannt, ob diese relativ kurzfristigen Temperaturereignisse in früheren Eiszeiten überhaupt vorgekommen sind», so Held. Sie traten in der vorletzten Eiszeit jedoch weniger häufig auf als während der letzten: «Die Temperaturpeaks liegen doppelt so weit auseinander, es gab also längere kalte Phasen dazwischen.»
Die Ursache für diese Temperaturschwankungen liegt im Nordatlantik: Die Zirkulation des Ozeans ist ein globales Wärmeförderband, das mal stärker, mal schwächer sein kann. «Die Zirkulation hat zum Beispiel Auswirkungen auf den Wärmeaustausch zwischen Atmosphäre und Ozean, was wiederum den Wärmehaushalt der nördlichen Hemisphäre sowie Luftströmungen und Niederschläge beeinflusst», führt Frederick Held aus. Eine Abschwächung der Zirkulation reduziere ausserdem die Menge an CO2, die der Ozean aus der Atmosphäre aufnimmt.
Diese Meeresströmungen waren in der vorletzten Eiszeit anders als in der letzten, was die unterschiedlichen Abstände zwischen den Dansgaard-Oeschger-Events erklärt. Das zeigt: Kaltzeit ist nicht gleich Kaltzeit und Warmzeit nicht gleich Warmzeit.
Die Daten aus den Stalagmiten glichen die Forschenden mit marinen Sedimentbohrkernen ab, die ebenfalls natürliche Archive für klimatische Ereignisse sind. Je mehr Puzzlesteine vorhanden sind, desto genauer wird das Bild dessen, was vor sich ging, und Rückkoppelungseffekte lassen sich feiner erfassen.
Die Mechanismen besser verstehen
Der Blick auf die beiden letzten Eiszeiten macht deutlich, wie schnell sich das Klima verändern kann. «Klimaveränderungen sind ein Motor für neue Ökosysteme», sagt Dominik Fleitmann. «Unser Traum ist es, einen kontinuierlichen Datensatz für die letzten 600’000 bis 700’000 Jahre zu erstellen und bestehende Wissenslücken zu schliessen.»
Die Auswertungen helfen, das System Erde besser zu verstehen: Welche Faktoren führen zu abrupten Klimaschwankungen? Welche Tendenzen lassen sich beobachten? Wie und unter welchen Bedingungen verändern sich Zirkulationsmuster der Ozeane?
Mit den Daten aus der Vergangenheit lassen sich heutige Klimamodelle testen. «Festgestellte Muster können Klimaforschenden helfen, ihre Modelle weiter zu verbessern und somit Annahmen für künftige Entwicklungen zu verfeinern», erklärt Fleitmann.
Der Geologe hofft auch, mittels weiterer Analysen offene Fragen zu klären. «Wir wissen zum Beispiel noch nicht, ob die festgestellten Temperaturanstiege periodisch oder stochastisch, also zufällig waren.» Doktorand Frederick Held ergänzt: «Bisher können wir anhand der Daten die Tendenzen beschreiben. Toll wäre, wenn wir einen absoluten Temperaturwert feststellen könnten.»