Gerät das ökologische Gleichgewicht eines Sees aus dem Lot, ist das meist auf erhöhte Nährstoffeinträge zurückzuführen. Die Folge: verstärktes Algenwachstum, Sauerstoffmangel, toxische Blaualgenblüten, Fischsterben. Um dem entgegenzuwirken, wird im Rahmen des Seenmanagements bislang v.a. Phosphor kontrolliert.
Dieses Dogma bringt nun eine im Fachjournal Nature Communications erschienene Studie ins Wanken, die das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) gemeinsam mit der Universität Aarhus (Dänemark) und der Estonian University of Life Sciences (Estland) durchführte. Die Forschenden zeigen, dass weltweit auch Stickstoff ein entscheidender Treiber für das Algenwachstum in Seen ist.
Einträge von Phosphor und Stickstoff aus landwirtschaftlichen Quellen und Klärwerken können das Algenwachstum in Flüssen und Seen stark beeinflussen.
„In der Binnengewässerkunde ging man bislang allerdings davon aus, dass das Algenwachstum in Seen in den meisten Fällen durch die Verfügbarkeit von Phosphor limitiert und angetrieben wird“, sagt Dr. Daniel Graeber vom UFZ und Erstautor der Studie.
Die Theorie dahinter: Steht in einem See nur wenig Phosphor zur Verfügung, sind die Algen in ihrem Wachstum eingeschränkt. Gibt es dagegen große Mengen an Phosphor, treibt dies das Algenwachstum enorm an. „In diesem Erklärungsmodell spielt Stickstoff tatsächlich überhaupt keine Rolle“, sagt Daniel Graeber.
„Begründet wird dies damit, dass bestimmte Blaualgen im Wasser den in der Luft enthaltenen Stickstoff binden und in den See einbringen können. Ein langfristiger Mangel an Stickstoff sei daher in Seen nicht möglich.“
Und auch ein Überangebot an Stickstoff könne das Algenwachstum nicht fördern – und somit letztlich auch nicht zu einer Eutrophierung führen. „Dieses Modell bildet die Basis für das Seenmanagement weltweit, bei dem der Schwerpunkt auf die Kontrolle von Phosphoreinträgen gelegt wurde, um der Eutrophierung von Seen entgegenzuwirken“, erläutert Dr. Thomas A. Davidson, Limnologe an der Universität Aarhus und Letztautor der Studie.
„Dabei kommt es immer wieder vor, dass eine Verringerung der Phosphoreinträge die Überdüngung nicht eindämmen kann. Und so stellte sich die Frage, ob es nicht noch eine Unbekannte in der Gewässergleichung gibt.“
Als solche identifiziert das Forschungsteam in seiner aktuellen Studie nun sehr deutlich den Stickstoff – und zeigt damit neue Wege für die Binnengewässerkunde (Limnologie) und das Management von Seen auf.
Weltweit gehören etwa 89 Prozent der Seen zu den sogenannten Flachwasserseen mit einer mittleren Tiefe von bis zu sechs Metern. Für ihre statistischen Untersuchungen nutzten die Forschenden Langzeitmonitoring-Daten von 159 Flachwasserseen in Nordamerika, Europa und Neuseeland. Dabei setzten sie für jeden See über 5-Jahreszeiträume das Verhältnis zwischen den Gesamtstickstoff- und Gesamtphosphormengen in Bezug zur sogenannten Chlorophyll-a-Konzentration als Maß für das Algenvorkommen.
„Wir wollten herausfinden, welche langfristigen Zusammenhänge zwischen dem Verhältnis der beiden Nährstoffe und dem Algenwachstum bestehen“, erklärt Daniel Graeber. „Ausgangspunkt unserer Studienidee waren einige Datenausreißer einer vorangegangenen Studie zur Ökologie von Flachseen. Bei einigen der Seen korrespondierte der gemessene Nährstoffgehalt nicht linear mit einer entsprechend erhöhten bzw. verminderten Chlorophyll-a-Konzentration“, sagt der Limnologe.
„Wir fragten uns: Könnte dafür vielleicht das Verhältnis zwischen den Nährstoffen Phosphor und Stickstoff verantwortlich sein? Denn es gab bereits einige wenige Studien mit Hinweisen, dass Stickstoff für das Algenwachstum in Seen möglicherweise doch eine wichtigere Rolle spielen könnte als bislang vermutet.“
Die statistischen Analysen ihrer aktuellen Arbeit stützen die Theorie dieser Studien und widersprachen dem traditionellen limnologischen Konsens deutlich: Bei 60 Prozent der untersuchten Gewässer liegt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine sogenannte duale Limitierung vor. Das würde bedeuten, dass sich bei der Mehrzahl der Seen beide Nährstoffe – Phosphor und Stickstoff – limitierend auf das Algenwachstum auswirken.
„Die Zusammenhänge waren so eindeutig, dass ich es zunächst gar nicht glauben konnte. Sie entsprachen exakt dem, was bereits aus Laborexperimenten bekannt war – das war wirklich erstaunlich“, sagt Daniel Graeber. „Nach eingehender Prüfung der Statistik blieb es dabei: Die Daten waren robust. Unsere Ergebnisse erhärten die These, dass Stickstoff in Seen kein Unbeteiligter ist. Und wir konnten mit einer breiten Datenbasis erstmals zeigen, dass dies offensichtlich für Seen weltweit Gültigkeit hat.“
Das Forschungsteam regt nun weiterführende Untersuchungen, sowohl im Freiland als auch mittels Modellierung an, mit denen die Ergebnisse ihrer Datenanalyse geprüft werden können.
Bildlich gesprochen haben die Forschenden mit ihrer Studie den Stickstoff in die Gleichung der Ökologie von Seen hineingeholt. Für die Praxis empfehlen sie, dass im Seenmanagement nun verstärkt auch auf Stickstoff geschaut wird. „Wir benötigen eine langfristige Kontrolle der Nährstoffverhältnisse, damit ein effizientes und wirkungsvolles Eutrophierungsmanagement gelingen kann“, sagt Daniel Graeber. „Dabei müssen Einträge aus der Landwirtschaft, die in der Regel hohe Stickstoffgehalte haben, verstärkt in den Blick genommen werden.“