Obwohl ein Großteil der Bevölkerung in Europa die Energiewende grundsätzlich unterstützt, gibt es vor Ort zunehmend Widerstand gegen konkrete Projekte. Wie könnte der Ausbau erneuerbarer Energie besser gelingen? In einer neuen Studie haben Forschende die Wünsche von Bürgerinnen und Bürgern in Dänemark, Deutschland, Polen und Portugal ermittelt. In allen vier Ländern erwiesen sich ein niedriger Strompreis, eine geringere Abhängigkeit von Strom-Importen und die Nutzung von Solarenergie als besonders beliebt. Allerdings zeigten sich die Befragten kompromissbereit und würden Nachteile eines Systems akzeptieren, wenn dieses gleichzeitig andere Qualitäten aufweist.
„Wir wollten die Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger möglichst realitätsnah erfassen und haben dafür als Forschungsmethode ein sogenanntes Conjoint-Experiment gewählt, bei dem es um eine Abwägungsentscheidung geht. Wir haben also nicht nach Meinungen zu einzelnen Aspekten wie Technologien, Standorten und Kosten gefragt, sondern den Befragten unterschiedliche Versorgungsoptionen vorgestellt und wollten dann jeweils wissen, wie diese sich entscheiden würden“, erläutert Erstautorin Franziska Mey vom Forschungszentrum für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam. Befragt wurden 4103 Personen in vier Ländern.
Strompreis ist das wichtigste Kriterium
Die in der Umfrage präsentierten Optionen unterschieden sich im Hinblick auf sechs Aspekte, von denen bekannt ist, dass sie die Akzeptanz von Energiewende-Projekten beeinflussen: die vorwiegend genutzte Technologie, der Flächenbedarf, die Höhe der Stromeinfuhren in die Region, die Strompreise für Haushalte, der Ausbau der Übertragungsnetzkapazität und die Eigentumsverhältnisse der Anlagen – also ob diese sich in öffentlichem oder privatem Besitz befinden.
Ergebnis: Mit Abstand die größten Auswirkungen hat der Strompreis.
„Bei ihrer Gewichtung der Kriterien setzten die Befragten ihren Wunsch nach einem niedrigen Strompreis an oberste Stelle. Dies wurde auch in weiterführenden Fragen bestätigt, in denen deutlich wurde, dass unser zukünftiges Stromsystem kosteneffizient, aber auch sozial gerecht sein soll“, sagt Franziska Mey.
Das zweitstärkste Kriterium war ein geringer Importanteil: Wenn Bürgerinnen und Bürger entscheiden könnten, wäre das künftige Stromsystem dezentral. Es würde auf einer Versorgung mit einem hohen Anteil an Solarenergie auf Dächern basieren, wäre in kommunalem Besitz und nur wenig von Importen abhängig. Bei der Wahl der Technologie – im Prioritätsranking an dritter Stelle – zogen die Befragten die Photovoltaik der Windenergie vor. Die höchste Zustimmung erhielten Solaranlagen auf Dächern.
In Deutschland und Dänemark, die bei der Energiewende ähnlich weit fortgeschritten sind, zeigten sich sehr ähnliche Präferenzen. In Polen und Portugal wurde der Importanteil als weniger wichtig bewertet. Polen unterschied sich insbesondere bei den Preispräferenzen: Der Preis spielt hier eine geringere Rolle, was an den im Vergleich niedrigen Strompreisen in Polen (0,15 €/kWh im Jahr 2021; Deutschland: 0,32 €/kWh im Jahr 2021) liegen könnte.
Energiemodelle sollten Bürger-Präferenzen integrieren
Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse auch, dass Bürgerinnen und Bürger gewillt sind, Kompromisse einzugehen. Dabei könnten beispielsweise weniger bevorzugte Aspekte wie Windenergie-Ausbau oder hohe Importe gegen niedrige Preise abgewogen werden. Es ist somit möglich, sehr unterschiedliche Systeme mit ähnlichem Nutzen zu entwickeln.
Die Erkenntnisse können genutzt werden, um die Entscheidungsfindung über das Stromsystem der Zukunft mit besseren Energiemodellen zu unterstützen. „Heute werden häufig auf Technik und Ökonomie fokussierte Energiemodelle eingesetzt, die soziale Aspekte wie die Präferenzen der Bürger nur unzureichend oder gar nicht berücksichtigen. Bestenfalls wird die Meinung der Menschen abgefragt, nachdem Szenarien erstellt wurden. Durch unsere Forschung können Präferenzen der Bürger direkt in Energiemodelle und somit in den Entwurf von Szenarien integriert werden und zu einer gerechteren Energiewende beitragen“, sagt Ko-Autor Tim Tröndle (ETH Zürich). Die Meinung der Bürgerinnen und Bürger könne sich allerdings im Laufe der Zeit ändern und müsse daher regelmäßig abgefragt werden.