Gelangt Plastik ins Meer, verwittert es und zerfällt in kleine Bruchstücke. Wenn Meerestiere diese Plastikpartikel aufnehmen, kann dies ihre Gesundheit massiv beeinträchtigen. Große Plastikansammlungen können daher das biologische Gleichgewicht der Meeresökosysteme stören. In einer aktuellen Studie hat ein Forschungsteam des UFZ in Zusammenarbeit mit dem Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), in einem entlegenen Meeresschutzgebiet im Pazifischen Ozean nun ebenso große Mengen Plastikmüll und Mikroplastik nachgewiesen wie in einem der größten bekannten Müllstrudel. Die Forschenden warnen: Plastik ist viel großräumiger verteilt als vermutet.
„Plastik im Meer ist ein ernstes Problem. Jedes Jahr gelangen über Flüsse, Wind und aus Quellen wie Schifffahrt oder Fischerei Millionen Tonnen Plastik ins Meer – und dort verbleibt es. Die Folgen für das Ökosystem Ozean sind bislang kaum abzuschätzen“, sagt UFZ-Umweltchemikerin Prof. Annika Jahnke, Koordinatorin des Projektes MICRO-FATE, das die Studie ermöglichte.
Wie genau verteilt sich Plastik im Meer?
Welche Gebiete sind besonders betroffen? Gibt es noch gänzlich plastikfreie Zonen? Und welche Eigenschaften hat das Plastik, wenn es sich in Quellennähe – also dort, wo es vermehrt ins Meer gelangt – oder fernab im offenen Ozean befindet?
Das sind Fragen, denen das Forschungsteam um Jahnke in ihren Untersuchungen nachgegangen ist. Auf einer fünfwöchigen Expedition mit dem Forschungsschiff „Sonne“ im Jahr 2019 haben die Forschenden im Nordpazifik zwischen Vancouver (Kanada) und Singapur Proben des Oberflächenwassers genommen. Die geografische Auswahl der Probenahmestationen traf das Team auf Basis eines Vorhersagemodells der University of Hawaii (Surface CUrrents from a Diagnostic model (SCUD)), welches berechnet, wie hoch das Plastikvorkommen in einem bestimmten Meeresgebiet voraussichtlich sein wird.
„Wir haben für unsere Untersuchungen Stationen mit vorhergesagten hohen und auch niedrigen Plastikvorkommen ausgewählt“, sagt Jahnke. „Dabei lagen einige Stationen in bereits gut erforschten Gebieten, wie dem sogenannten Großen Pazifischen Müllstrudel. Wir wollten aber auch bislang kaum erforschte Zonen im offenen Ozean untersuchen. Dafür haben wir zum Beispiel Proben in einem Meeresschutzgebiet nordwestlich von Hawaii, dem Papahānaumokuākea Marine National Monument, genommen.“
Um die Plastikmengen im Oberflächenwasser zu bestimmen, hat das Team zwei unterschiedliche Methoden angewandt: Zum einen visuelle Beobachtungen während der Fahrt, bei der Zweierteams an Deck der „Sonne“ mit dem Auge erkennbare Plastikpartikel gezählt und Form sowie Größe dokumentiert haben (Litter Survey). Zum anderen wurden an neun Stationen mithilfe von an der Oberfläche schwimmenden Netzen, sogenannten Neustonnetzen, Proben genommen. „Die Maschenweite betrug 0,3 Millimeter. So konnten wir neben größeren Teilchen auch kleine Plastikpartikel einfangen und das Mikroplastik, das einen Durchmesser von unter fünf Millimetern hat, bestimmen“, erklärt UFZ-Forscher Robby Rynek, der Erstautor der Studie ist.
„Die Plastikpartikel aus jeder Probe wurden dann später nach Größe sortiert und gezählt. Mithilfe einer speziellen Form der Infrarotspektroskopie haben wir die Partikel dann noch chemisch analysiert und anhand des Aussehens ihren Verwitterungszustand abgeschätzt.“
Je länger Plastik Sonne, Wind, Wellen und Salzwasser ausgesetzt ist, desto mehr verwittert und zerfällt es. Aus anderen Studien ist bereits bekannt, dass größere unzersetzte Plastikgegenstände und -partikel vor allem dort vorkommen, wo Plastik ins Meer gelangt. Je weiter die Partikel transportiert werden, desto kleiner und verwitterter sollten sie sein. „Genau das konnten wir mit unseren Untersuchungen zeigen. Und wie erwartet konnten wir in den Proben, die wir im Bereich des sogenannten Großen Pazifischen Müllstrudels genommen haben, die höchsten Plastikmengen nachweisen“, sagt Rynek.
„Dabei handelt es sich aber keinesfalls um einen Müllteppich mit Plastikteilen dicht an dicht. Das ist wichtig, um zu begreifen, dass Plastikbeseitigungssysteme riesige Meeresgebiete abfahren müssten, um nennenswerte Mengen von Plastik einzusammeln, auch weil die meisten Teile eher kleine Fragmente sind, die Netzen entkommen oder sich nur mit erheblichen tierischem „Beifang“ einsammeln ließen“ ergänzt Mitautorin Dr. Melanie Bergmann vom AWI.
Die Reduzierung von Einträgen ist unverzichtbar
Und Robby Rynek weiter: „Das überraschendste und zugleich besorgniserregendste Ergebnis unserer Studie ist, dass wir in dem entlegenen Meeresschutzgebiet nordwestlich von Hawaii ebenso große Mengen an eher kleinerem Mikroplastik gefunden haben! Damit hatten wir nicht gerechnet. Denn nach den Berechnungen des Vorhersagemodells sollte hier deutlich weniger Plastik zu finden sein.“ Jahnke ergänzt:
„Mikroplastik ist höchstwahrscheinlich viel weiter über die Ozeane verteilt als bislang angenommen. Wir haben tatsächlich an allen unseren Probenahmestationen Plastik nachweisen können. Es gab keine Probe, in der wir nichts gefunden haben. Man kann also nicht davon ausgehen, dass Plastik vor allem in den bekannten Ansammlungsgebieten zu Problemen führt – das Plastikproblem ist deutlich größer und betrifft tatsächlich das gesamte Ökosystem Ozean.“
Im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) soll in diesem Jahr ein globales Plastikabkommen verabschiedet werden, um die Verschmutzung der Meere durch Plastik zu stoppen. „Als unabhängige Wissenschaftler:innen stehen wir als Teil der Scientists Coalition for an Effective Plastics Treaty den Delegierten der UN-Mitgliedsstaaten dabei beratend zur Seite“, so Melanie Bergmann. Neben einer weitgehenden Minderung der Plastikproduktion durch eine Vermeidung verzichtbarer Plastikprodukte und den Ausbau von Mehrwegangeboten muss nach Ansicht vieler Forschender die chemische Zusammensetzung von Plastikprodukten vereinfacht und verbessert werden. Nur so sind eine gesundheitlich unbedenkliche Wiederverwendung und höhere Recyclingquoten überhaupt möglich.