Die guten ethischen Ziele, die ein Beweggrund für das neue EU-Lieferkettengesetz waren, stehen für Christoph Feldmann von der privaten Wirtschaftshochschule International School of Management (ISM) am Campus Frankfurt außer Frage. Aus seiner langjährigen Erfahrung im Logistikmanagement in der Industrie und für Europas größten Fachverband in diesem Bereich äußert Feldmann jedoch Skepsis, ob die Anliegen des neuen Gesetzes auch realistisch erreicht werden können, obwohl sie sogar strikter sind, als das deutsche Lieferkettensorgfaltsgesetz.
Als ehemaliger Hauptgeschäftsführer des Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. weiß Christoph Feldmann aus der Praxis, wie fragil globale Lieferketten geworden sind. Covid, Kriege und Krisen haben die Lage bis heute stark destabilisiert und Unternehmen einem hohen Druck ausgesetzt: Fachkräftemangel neben einem wachsenden Arbeitsplatzabbau, signifikant höhere Kosten mit entsprechenden Auswirkungen auf Verbraucherpreise, Inflation und sozialen Wohlstand sowie zunehmende Risiken von Versorgungsengpässen sind die Folge.
Die Welt hat darauf unterschiedlich reagiert. Die USA und China schützen ihre Märkte sowie Unternehmen mit protektionistischen Maßnahmen und massiven Konjukturprogrammen, wie dem „Inflation Reduction Act“ oder mit massiven Subventionen für Schlüsselindustrien im Rahmen einer langfristigen staatlichen Industriepolitik. Die EU hat zahlreichen Regularien nun ein neues Lieferkettengesetz hinzugefügt.
Es wird Deutschland, das ein Viertel zum Europäischen Bruttosozialprodukt beiträgt, stark betreffen, ist Feldmann überzeugt: „Deutschland war durch bestehende Lieferkettenpartnerschaften ein Motor der europäischen Wirtschaft, ein Garant des sozialen Wohlstandes und nicht zuletzt auch des weltpolitischen Einflusses. Mit dem neuen Lieferkettengesetz wird es noch schwerer, das zu halten.“
Bestimmungen zu Lieferketten treffen Achillesferse der Wirtschaft
Knackpunkt der jüngsten EU-Richtlinie laut Feldmann sind der mit ihr einhergehende hohe Bürokratieaufwand sowie die nur schwer kalkulierbaren Haftungsrisiken: „Jede NGO kann jetzt im Namen der Opfer auf Fahrlässigkeit bei Nichteinhaltung sozialer und ethischer Standards klagen. In diesem Punkt geht das neue EU-Lieferkettengesetzt über deutsches Recht hinaus.“ Die Frage ist jedoch zum Beispiel: Was gilt als Fahrlässigkeit und damit als Basis für zivilrechtliche Klagen gegen Firmen?
Es sei eine Illusion zu glauben, dass die Lieferkettengesetze – sowohl das bisherige deutsche als auch die neue, strengere EU-Richtlinie – nur große Unternehmen beträfen: „Größere Unternehmen werden jetzt alle Zulieferer und Kunden – unabhängig von der Unternehmensgröße – vertraglich verpflichten, die Gesetzgebung zu erfüllen, mit allen damit einhergehenden Risiken und dem vor allem für kleinere Firmen nicht zu stemmendem bürokratischen Aufwand.“
So könnte paradoxerweise das Lieferkettengesetz mit dem neuen Einklagsrecht das Anliegen der Menschenrechte und des Umweltschutzes sogar konterkarieren.
Lieferkettenpartnerschaften beschleunigen oft die Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, betont Feldmann: „Kleine Unternehmen erweisen sich hierbei oft als Pioniere. Mit ihren zunächst kleinen Zulieferpartnerschaften, die im Erfolgsfall stark wachsen, wirken sie auf neue Partner in den Schwellenländern ein und initiieren über den wichtigen Knowhowtransfer gute Geschäftspraktiken. Dies schließt bei fast allen europäischen Unternehmen auch Menschenrechts- und Umweltanforderungen ein und trägt damit maßgeblich dazu bei, die Menschenrechts- und Umweltlage zu verbessern sowie den sozialen Wohlstand in den Partnerländern zu steigern.“
Lieferkettenpartnerschaften als Katalysator
Lieferkettenpartnerschaften vor allem mit Ländern des globalen Südens aufzubauen, sieht der ISM-Logistikprofessor als ein vitales strategisches Interesse Deutschlands und der EU:
„Erklärtes Ziel ist es ja hier, Abhängigkeiten von systemischen Rivalen wie Russland oder China zu reduzieren.“
Das gehe einher mit dem Auf- und Ausbau neuer Lieferketten-Partnerschaften, besonders in weniger entwickelten Ländern. Nun aber werde das neue Lieferkettengesetz wegen der erhöhten rechtlichen Risiken und des bürokratischen Aufwands sicherlich viele europäische Unternehmen davon abhalten, diese Pionierpartnerschaften in Zukunft einzugehen, glaubt der Logistikexperte. So werde das Feld, noch stärker nicht-europäischen Unternehmen überlassen.
„Ein gutes Prinzip verkehrt sich so ins Gegenteil: Auf schwarze Schafe ist zwar der Druck erhöht. Doch kleinere, europäische Unternehmen werden sich mehr zurückhalten, in unbekannteren Märkten neue Partner zu suchen,“ sagt der ISM Experte für Logistik.
Aus dem Berufsalltag weiß er: „Das ist umso bedauerlicher, da sich Wirtschaftspartner z. B. in Afrika und Lateinamerika aus kulturellen und politischen Gründen eher Wirtschaftspartner aus Europa wünschen. Jetzt sind sie mehr auf chinesische und US-amerikanische Akteure angewiesen, die weniger Hürden aufbauen als Europa. Es steht zu befürchten, dass den Menschenrechten so ein wohlgemeinter „Bärendienst“ erwiesen wird.“