Sehr ähnliche Schneehöhen bei Lawinenlagen

Der Morgenzug der Berninabahn kämpft sich am 29. März mit vorgespanntem Spurpflug durch den Triebschnee über den Berninapass. Ernst Demonti

Anfang April 1975 gingen in der Schweiz zahlreiche Lawinen ab, töteten zehn Menschen in Gebäuden und verursachten große Schäden an Siedlungen, Infrastruktur und Schutzwald. SLF-Klimatologe Christoph Marty hat in der aktuellen Saison 2023/24 große Gemeinsamkeiten bezüglich des Verlaufs der Schneehöhe mit der Entwicklung vor 49 Jahren beobachtet: «Wenn wir die Menge an gefallenem Schnee in den Wintermonaten vergleichen, verlaufen die Kurven über weite Strecken parallel.» (siehe Grafik)

Die Schneehöhen im Winter 2023/24 (dunkelblau) verlaufen im Bereich zwischen 2250 und 2750 Metern fast parallel zu den Höhen im Winter 1974/75 (violette Linie) und liegen weit über dem langjährigen Durchschnitt (schwarze Linie). Besonders sticht die ungewöhnliche Parallelität Anfang April hervor. (modellierte Schneehöhen auf einem Ein-Kilometer-Raster zwischen 2250 und 2750 Metern über die ganze Schweiz, Grafik: SLF)

Das gilt insbesondere für die vergangenen Wochen. Damals wie heute fielen innerhalb von sechs Tagen 230 bis 270 Meter Neuschnee. Allerdings war 1975 eine grössere Fläche betroffen. Die Nullgradgrenze lag deutlich tiefer, so dass damals beispielsweise auch in Disentis auf 1200 Metern rund 200 Zentimeter Neuschnee gemessen wurden. Dieses Jahr waren es im Ort selbst nur 29 Zentimeter. Weiter oben in der Region des Lukmanierpasses auf 2555 Metern registrierten Messstationen aber rund 280 Zentimeter Schnee.

Warum sich die Winter im Frühjahr in der Höhe so ähneln, ist noch nicht klar. «Ich war selbst überrascht», sagt Marty. Sicher ist bislang nur, dass es keine Rolle spielt, dass die Saison 2023/24 deutlich wärmer war. «Auf 2500 m spielt die Temperatur eine untergeordnete Rolle für die Neuschneemenge, da ist es im Winter meistens kalt für Schneefall», erklärt der Wissenschafter. Er wird sich die Daten jetzt genauer anschauen, um die Gründe für die Parallelen zu finden.

In beiden Wintern war Anfang April die Lawinengefahr hoch. Von einer «kritischen Lawinensituation in einzelnen Teilen unserer Alpen» ist im Lawinenbulletin vom 6. April 1975 die Rede. Damals wurde noch nicht mit den heute gültigen Gefahrenstufen gewarnt (LINK). Am vergangenen Osterwochenende erreichte die Lawinengefahr in den betroffenen Gebieten die Stufe 4 (gross). Angesichts der seit den 1970er Jahren ergriffenen Schutzmassnahmen und des wenigen Schnees in den Auslaufzonen verliefen die ersten Apriltage im jetzigen Winter allerdings deutlich glimpflicher für Mensch, Tier und Infrastruktur.

Kasten: Lawinenbulletins vom 5. und 6. April 1975

5. April 1975: Auf heute Samstag erhielten die Berge der Alpensüdseite, das Goms, die Gotthardgegend sowie das Gebiet Vorderrheintal-Rheinwald-Julier-Oberengadin nochmals einen Neuschneezuwachs von 50-100 cm. Mit einer Neuschneesumme von 80–120 cm in den drei letzten Tagen herrscht in diesen Regionen eine große allgemeine Lawinengefahr, die für gefährdete Zonen umfassende Schutzmaßnahmen erfordert.

Im Saastal und im Simplongebiet, in den Glarner Alpen sowie in Mittelbünden und im mittleren Engadin mit Neuschneesummen von 40–50 cm besteht oberhalb rund 1500 m eine ausgeprägte Schneebrettgefahr, wobei größere Lawinen auch spontan losbrechen können.
Im übrigen Alpengebiet beträgt der Zuwachs weniger als 40 cm. Dort dauert die örtliche Schneebrettgefahr weiter an. Sie ist oberhalb rund 1600 m und vor allem an allgemein nördlich und östlich abfallenden Hängen zu beachten.

6. April 1975: Die kritische Lawinensituation in einzelnen Teilen unserer Alpen ist noch keineswegs behoben. Wohl sind zahlreiche Lawinen zu Tal gegangen, und steigende Temperaturen haben zu einer teilweisen Setzung und Verfestigung der Neuschneemengen beigetragen. Dagegen sind in den stark gefährdeten Regionen der Alpensüdseite, des Goms, im Gotthardgebiet sowie in den Bündner Alpen, Vorderrheintal-Vals-Rheinwald-Julier-Oberengadin auf heute Sonntag nochmals 40-70 cm Schnee gefallen. Stürmische Winde aus südlichen Richtungen haben zudem umfangreiche Verfrachtungen zur Folge. In den genannten Regionen dauert deshalb die große Lawinengefahr weiter an, ganz besonders im Bereich allgemein nördlich und östlich exponierter Einzugsgebiete.

In den übrigen Alpen beträgt der Neuschneezuwachs weniger als 30 cm. Dort herrscht weiterhin eine bedeutende Schneebrettgefahr oberhalb rund 1500 m, vor allem an nördlich und östlich abfallenden Steilhängen.