5 Milliarden Euro stellt der deutsche Staat bereit, um beim Kohleausstieg das „Anpassungsgeld“ für Beschäftigte zu finanzieren. Sie können dadurch mit 58 abschlagsfrei in Rente. Eine Studie unter Mitwirkung des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) prüft jetzt die ökonomische Rechtfertigung dieser Subvention, indem sie flächendeckend echte Erwerbsbiografien auswertet. Das Fazit lautet: Der soziale Ausgleich wäre viel effizienter, wenn man statt der Frühverrentung den Jobwechsel förderte.
Die Studie in Kooperation mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wurde publiziert in der renommierten Fachzeitschrift Journal of the Association of Environmental and Resource Economists (JAERE). Das Forschungsteam konzentriert sich auf die rund 10.000 Beschäftigten im Braunkohletagebau, vor allem in der Lausitz und im Rheinland, inklusive angehängter Dienstleister. Laut Ausstiegsgesetz ist dort überall spätestens 2038 Schluss, laut Ampel-Koalitionsvertrag möglichst schon 2030, und die Perspektive für die Belegschaften ist ein brisantes Thema angesichts der vor Ort oft einseitig auf Kohle ausgerichteten Wirtschaftsstruktur.
Um die Kosten des Ausstiegs für die Beschäftigten empirisch fundiert abzuschätzen, stützt sich die Studie auf eine umfassende Datenquelle: die anonymisierten Sozialversicherungsdaten zu den Arbeitsmarktbiografien sämtlicher 140.000 Personen, die zwischen 1975 und 2017 mindestens sechs Monate in Folge in der betrachteten Braunkohlebranche gearbeitet haben.
„Wir entwickeln daraus ein Abbild der alternativen Job-Optionen und Verdienstmöglichkeiten – und damit des Wohlfahrtsverlustes, den Beschäftigte bei einem Ausstieg aus der relativ üppig entlohnenden Kohlewirtschaft erleiden“, erklärt Nicolas Koch, Leiter des Policy Evaluation Lab am MCC und ein Co-Autor der Untersuchung. „Auf dieser empirischen Basis können wir dann Zukunftsszenarien analysieren – mit einem unterschiedlich schnellen Kohleausstieg und unterschiedlichen Kompensationsmaßnahmen. Was diese wichtige klimapolitische Entscheidung die Beschäftigten kostet, wird hier erstmals wissenschaftlich fundiert beziffert. Und es wird gezeigt, wie die Politik am besten Abhilfe schafft.“
Ein hypothetischer sofortiger Kohleausstieg, der ja besonders wenig Job-Alternativen böte, wäre demnach am teuersten. Für die gesamte betrachtete Branche ergäbe sich ohne begleitende Maßnahmen ein aggregierter Wohlfahrtsverlust für alle Beschäftigten – also Verlust an noch zu erwartenden Einkommen bis zum Lebensende – von rund 4,2 Milliarden Euro.
Haupttreiber ist dabei nicht etwa die Arbeitslosigkeit nach dem Ausscheiden aus dem Tagebau, sondern der Wechsel zu weniger gut dotierten und weniger stabilen Arbeitsplätzen in anderen Branchen. Deshalb verlieren Beschäftigte mittleren Alters am meisten: Sie haben sich schon auf einen hohen Lohn hochgearbeitet, den sie ohne Kohleausstieg auch noch lange erhalten würden. Wenn der Ausstieg später kommt statt sofort, kostet das weniger: statt der 4,2 Milliarden Euro nur 2,2 Milliarden beim Zieldatum 2030 und 1,5 Milliarden bei 2038.
Das derzeit favorisierte Anpassungsgeld ist wenig kosteneffektiv. Von den eingangs genannten 5 Milliarden Euro entfallen 1,6 Milliarden auf den Braunkohletagebau (der Rest ist für Steinkohle und Kraftwerke). Es ist teuer, da es größtenteils Betriebsrenten der Firmen ersetzt. Es entschädigt statt der Beschäftigten mittleren Alters nur die ab 58 Jahren. Und es setzt wenig Anreiz zum beruflich aktiv bleiben – trotz des allgemeinen Fachkräftemangels etwa in der Braunkohle-Region Lausitz.
Als Alternative stellt das Forschungsteam dem Anpassungsgeld deshalb eine „Entgeltsicherung“ gegenüber: Der Staat könnte allen, die auf eine schlechter bezahlte Stelle außerhalb der Kohle wechseln, für fünf Jahre die Differenz erstatten, damit sie ihr Lohnniveau halten. Das kostet laut der Studie nur 0,6 Milliarden Euro, sowohl beim Kohleausstieg 2030 als auch 2038. Die Beschäftigten bleiben länger im Job. Und der aggregierte Wohlfahrtsverlust ist fast null.
„Der Nutzen des Kohleausstiegs durch vermiedene Klimaschäden ist ökonomisch gesehen um ein Vielfaches größer als die Kosten“, betont MCC-Forscher Koch. „Aber der Ausstieg lässt sich anders und billiger organisieren als in Deutschland praktiziert. Die richtigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen schaffen substanzielle Abhilfe gegen Wohlfahrtsverluste der Beschäftigten. Und unsere Erkenntnisse sind auf andere Länder und Branchen übertragbar, etwa Kohle in Australien und den USA oder Öl und Gas in Norwegen und den Niederlanden. Überall muss die Politik ja beim Ausstieg die Beschäftigten im Blick behalten.“