Überall auf der Welt boomt der Ausbau von Windenergieanlagen als Baustein für eine klimafreundliche Stromproduktion – und überall stellt dies Fledermäuse vor große Herausforderungen, die direkt an den Anlagen sterben oder wertvollen Lebensraum verlieren. Ein Forschungsteam aus Australien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kenia, Puerto Rico, Taiwan und den USA analysierte nun Lösungsmöglichkeiten für diesen grün-grünen Konflikt mit globaler Tragweite und identifizierte notwendige Schritte, um Klima- und Artenschutz besser zu vereinbaren.
Das Forschungsteam legt in der Fachzeitschrift „BioScience“ dar, dass wissenschaftlich bestätigte Methoden zu Reduzierung von Schlagopfern weltweit konsequenter in Regularien zum Betrieb von Windenergieanlagen implementiert und erhebliche Forschungslücken zur Interaktion von Fledermäusen mit diesen Anlagen in Schwellenländern und tropischen Lebensräumen geschlossen werden müssten.
Der Klimawandel erfordert effektive Maßnahmen, die den Ausstoß von Treibhausgasen bei der Energieproduktion reduzieren. Der Ausbau der Produktion von Windenergie ist ein vielversprechender Weg, da die Stromausbeute gemessen an den Investitionen und der genutzten Fläche relativ hoch ist. Doch dieser Weg wirkt sich mitunter nachteilig auf die lokale biologische Vielfalt aus, da die Windenergieanlagen stark in die Lebensräume in ihrer direkten Umgebung eingreifen.
Insbesondere Fledermäuse, Vögel und Insekten sind in mehrfacher Hinsicht betroffen: „Fledermäuse kollidieren mit den Rotorblättern, wenn sie den drehenden Rotoren zu nahe kommen“, sagt PD Dr. Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie und Fledermausspezialist am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW).
„Dazu kommen direkte und indirekte Lebensraumverluste in der Umgebung der Anlagen sowie in deren weiteren Umfeldern, da einige Fledermausarten Windkraftanlagen weiträumig meiden und somit aus ihren angestammten Lebensräumen vertrieben werden.“
Hochrechnungen ergaben, dass allein in Deutschland jedes Jahr mehr als 200.000 Fledermäuse an Windenergieanlagen sterben. Es handelt sich also um ein gravierendes Artenschutzproblem, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, wie das Forschungsteam feststellt. Der globale Ausbau der Energienutzung aus Windkraft kann demnach zum Problem für den Erhalt der biologischen Vielfalt werden.
In der Europäischen Union, Teilen der USA und in Kanada wurden bereits erfolgreich Maßnahmen zur Verringerung der Schlagopferzahlen von Fledermäusen etabliert. Ihnen folgend sollten erstens Windenergieanlagen nicht an ökologisch wertvollen Standorten errichtet werden, so sollten struktur- und artenreiche Wälder nicht für die Windenergienutzung freigegeben werden. Darüber hinaus sollten beim Bau von Windenergieanlagen die Nähe von Waldrändern oder Gewässern sowie bekannte Zugkorridore von Vögeln und Fledermäusen gemieden werden.
Zweitens sollten in der Nacht windschwache und somit ertragsarme Zeiträume, in denen Fledermäuse hauptsächlich aktiv sind, vom Betrieb ausgenommen werden („curtailment“). Für Anlagen in den gemäßigten Breiten gilt üblicherweise, dass derartige Betriebssteuerungen zwar einen Verlust im Jahresenergieertrag von einem bis vier Prozent ergeben, dadurch die Schlagopferzahlen jedoch um mehr als 80 Prozent gesenkt werden können. Darüber hinaus sollten die Rotorblätter bei geringen Windgeschwindigkeiten, wenn die Anlagen ohnehin keinen Strom erzeugen, in einem Winkel zum Wind eingestellt werden, der nur ein langsames Drehen der Rotorblätter zulässt. Dies reduziert ebenfalls das Schlagrisiko von Fledermäusen an den Rotorblättern.
Diese Maßnahmen könnten die Vereinbarkeit von Klima- und Artenschutz verbessern, so das Forschungsteam – wenn sie denn ausreichend umgesetzt werden. Hier gebe es großen Nachholbedarf, denn bislang finden sich entsprechende Auflagen nahezu ausschließlich in den Regularien von Ländern, in denen Fledermäuse unter Schutz stehen. Global trifft dies auf nur wenige Länder zu. In den USA werden nur solche Fledermausarten geschützt, die als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft sind und damit unter das Naturschutzgesetz („Endangered Species Act“) fallen. In den EU-Staaten sind alle Fledermausarten streng geschützt, die Umsetzung von Schutzmaßnahmen sei aber dennoch lückenhaft.
„Beispielsweise werden in Deutschland zwei Drittel der Windenergieanlagen auf dem Festland, immerhin 18.000 Anlagen, ohne Betriebssteuerungen zum Fledermausschutz betrieben“, erklärt Voigt. „Ohne diese Betriebssteuerungen versterben an einer einzigen Anlage im Mittel 14 Fledermäuse pro Jahr, an manchen Anlagen sogar über 100 Tiere pro Jahr.“
Global seien die Probleme für Fledermäuse sogar noch größer, schreibt das Forschungsteam in dem Aufsatz. Die Konvention zum Schutz ziehender Arten („Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals“) des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) fordert den Schutz von Fledermäusen. Obwohl weltweit 131 Länder dieser UN Konvention beigetreten sind, implementierten die meisten unterzeichnenden Staaten wenige oder keine Schutzmaßnahmen für Fledermäuse an Windenergieanlagen. Zudem seien sich manche internationale Vertretungen der Windenergie-Branche nicht der Notwendigkeit bewusst, den Schutz der biologischen Vielfalt beim Ausbau der Windenergienutzung mitzudenken. So würden die Arbeiten der „International Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services“ (IPBES) nicht ausreichend berücksichtigt und Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Arten ignoriert oder von Investoren als hinderlich kritisiert.
„In Brasilien zum Beispiel werden Windparks in Gebieten mit hohem Wert für die biologische Vielfalt errichtet“, sagt Prof. Dr. Enrico Bernard von der Universidade Federal de Pernambuco in Recife (Brasilien), einer der Ko-Autoren des Aufsatzes. „Die Umweltauflagen sind jedoch niedrig. Im Globalen Süden sind strengere Regulierungen beim Bau und Betrieb von Anlagen dringend erforderlich – auch von internationalen Akteuren, die Windparks in Europa oder Nordamerika betreiben. Sie sollten die gleichen hohen Standards für ihre Windparks auch beispielsweise in Süd- und Mittelamerika übernehmen.“ Bernard schlussfolgert, dass die Übernahme von Standards nach dem Vorbild Nordamerikas und Europas im Globalen Süden ein großer Schritt für den Fledermausschutz darstellen würde.
Nicht zuletzt offenbare der globale Siegeszug der Windenergienutzung auch erhebliche Forschungslücken. Vielerorts boome zwar die Windenergienutzung an besonderen Hotspots der biologischen Vielfalt, es fehlten jedoch grundlegende Kenntnisse über das Kollisionsrisiko der dort beheimateten Fledermausarten an Windenergieanlagen. Gleiches gelte für Flughunde, die ebenso regelmäßig in Afrika, Asien und Australien tödlich an Windenergieanlagen verunglücken. „Uns fehlen Kenntnisse über Schlagopferzahlen und über saisonale Aktivitätsmuster, sowie darüber, ob die in Mitteleuropa und Nordamerika als wirksam bewerteten Maßnahmen auch in subtropischen oder subtropischen Regionen greifen“, schließt Voigt. Diese Lücken müssten dringend geschlossen werden.
Fledermäuse und Flughunde sind weltweit wichtige Akteure in natürlichen Kreisläufen. Sie verzehren Schadinsekten, verbreiten in subtropischen und tropischen Regionen Samen von Bäumen und bestäuben zahlreiche Pflanzen. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen belegt auch den dadurch entstehenden, hohen wirtschaftlichen Nutzen von Fledermäusen und Flughunden. Der Schutz dieser Tiergruppe an Windenergieanlagen sollte also im Eigeninteresse des Menschen liegen, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.