Das Austrocknen des Aralsees hat Zentralasien in den letzten 30 Jahren um 7 Prozent staubiger gemacht. Zwischen 1985 und 2015 haben sich die Staubemissionen aus der wachsenden Wüste von 14 auf 27 Millionen Tonnen nahezu verdoppelt. Das geht aus einer Studie des Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) und der Freien Universität Berlin hervor. Die Staubmengen seien bisher wahrscheinlich unterschätzt worden, weil zwei Drittel bei bewölktem Himmel aufgewirbelt werden und deshalb von traditionellen Satellitenbeobachtungen unbemerkt bleiben, berichten die Forschenden auf der Second Central Asian DUst Conference (CADUC-2), die vom 15.-22. April 2024 in Nukus (Usbekistan) stattfindet.
Der Staub gefährdet nicht nur die Bewohner in der Region, sondern beeinflusst auch die Luftqualität in den Hauptstädten von Tadschikistan und Turkmenistan. Dazu kommt, dass er das Schmelzen der Gletscher beschleunigen und damit die Wasserkrise in der Region verstärken kann.
Bis Anfang der 1960er Jahre war der Aralsee in Zentralasien mit einer Fläche von 68.000 Quadratkilometern der viertgrößte See der Erde – gespeist über die Flüsse Amudarya und Syrdarya aus den Hochgebirgen Pamir und Tienschan. Durch die exzessive Nutzung der Flüsse zur Bewässerung der Landwirtschaft gelangte immer weniger Wasser in den See.
Die Folge: Riesige Flächen trockneten aus, der See schrumpfte auf einen Bruchteil zusammen und der überwiegende Teil wurde zu einer Wüste. Die Aralkum-Wüste gilt inzwischen als eine der bedeutendsten vom Menschen verursachten Staubquellen der Erde. Mit 60.000 Quadratkilometern ist diese neue Wüste zwar deutlich kleiner als die benachbarten natürlichen Wüsten Karakum (350.000 Quadratkilometer) im Süden von Turkmenistan und Kyzylkum (300.000 Quadratkilometer) im Südosten von Usbekistan und Kasachstan. Aber der Staub aus der Aralkum-Wüste gilt als deutlich gefährlicher, weil er Rückstände von Düngemitteln und Pestiziden aus der früheren Landwirtschaft enthält.
Der Aralsee ist nicht der einzige See in Zentralasien und den Nahen Osten, der in den letzten Jahrzehnten dramatisch geschrumpft ist. Auch der Urmia-See im Nordwesten Irans und der Hamoun-See in der Grenzregion Iran-Afghanistan haben sich zu starken lokalen Staubquellen entwickelt. Diese Wüstenbildung hat daher große Auswirkungen auf Klima und Lebensbedingungen der Menschen in der Region. Entsprechend groß ist das Interesse der internationalen Wissenschaft, diese Prozesse besser zu verstehen, um künftige Trends bis hin zum globalen Klima besser abschätzen zu können.
Um die Auswirkungen des Staubs der Aralkum-Wüste abzuschätzen, nutzte das Team von TROPOS und FU Berlin das Atmosphären-Staub-Modell COSMO-MUSCAT, mit dem Emissionen, Konzentration in der Atmosphäre und Strahlungseffekte von Staubpartikeln simuliert werden. Eine Herausforderung dabei waren die wenigen Daten zum Boden und zu den Oberflächeneigenschaften in der Aralkum-Wüste.
Die andere Herausforderung waren die unterschiedlichen Windrichtungen in verschiedenen Jahren. Wind aus westlichen Richtungen kann die Staubstürme dominieren, aber auch Nord, Ost und Süd spielen je nach Jahreszeit eine Rolle.
Mit der Erwärmung der Arktis könnten Westwindströmungen im Winter noch häufiger werden mit Folgen für die Menschen östlich der Wüste: Im Jahresdurchschnitt geht momentan bereits bis zur Hälfte des Staubs nach Osten.
Besonders die Agrarflächen am Syrdarya werden durch den Staub negativ beeinflusst, aber selbst in den großen Städten Zentralasiens wie Asgabat (Hauptstadt von Turkmenistan) und Duschanbe (Hauptstadt von Tadschikistan) ist der Staub noch zu spüren, auch wenn diese über 800 Kilometer entfernt sind.
Aufbauend auf der 2022 im Fachjournal „Journal of Geophysical Research: Atmospheres“ vorgestellten Modellierungsstudie für zentralasiatischen Staub untersuchte das Autorenteam um Jamie Banks von der FU Berlin und dem TROPOS anschließend die Auswirkungen des Aralkum-Staubes auf die Strahlungseffekte über Zentralasien, um den Einfluss von zunehmenden Staubstürmen auf das Klima besser zu verstehen. Mit Hilfe von COSMO-MUSCAT-Modellsimulationen wurden die direkten Strahlungseffekte (DREs) des Aralkum-Staubes quantifiziert und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Atmosphäre untersucht. Die zweite Studie ist als Preprint gerade im Diskussions- und Begutachtungsprozess des Open-Access-Journals „Atmospheric Chemistry and Physics“ (ACP) der European Geosciences Union (EGU).
Am Boden bewirkt Staub tagsüber eine Abkühlung, weil der das Sonnenlicht dimmt, und nachts eine Erwärmung, weil er die Wärmeausstrahlung des Bodens zurück emittiert. Der Netto-Strahlungseffekt von Staub kann daher kühlend oder wärmend sein, je nach Höhe des Staubs in der Atmosphäre, der Tageszeit, der Jahreszeit, der Oberflächenalbedo und den genauen mineralogischen und optischen Eigenschaften des Staubs.
„Betrachtet man die Veränderungen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, so hat die annähernde Verdopplung der Staubemissionen über der Aralsee/Aralkum-Region zu einer Zunahme sowohl der Strahlungskühlung als auch der Strahlungserwärmung an der Oberfläche und in der Atmosphäre geführt“, berichtet Dr. Jamie Banks.
„Diese „neuen“ Staubereignisse treten aber nicht das ganze Jahr über auf, sondern in Episoden im Juni, September, November, Dezember und März. Im Jahresmittel kühlt der der Aralkum-Staub wahrscheinlich sowohl an der Oberfläche als auch in der Atmosphäre, aber mit -0,05 ±0,51 Watt pro Quadratmeter nur minimal.“ Neben den Strahlungseffekten haben die Forschenden auch Hinweise gefunden, dass der Staub die Großwetterlagen verändern könnte: Aralkum-Staub erhöht den Luftdruck am Boden in der Aral-Region um bis zu +0,76 Pascal auf der monatlichen Zeitskala, was eine Verstärkung des sibirischen Hochs im Winter und eine Abschwächung des zentralasiatischen Wärmetiefs im Sommer bedeutet.
Da viele Fragen rund um die Klimawirkungen des Staubs noch offen sind, empfehlen die Forschenden die optischen Eigenschaften dieses Staubes detaillierter zu untersuchen. Deren Kenntnis verbessert die satellitengetragene und damit großflächige Fernerkundung des Mineralstaubs. Dieser Herausforderung widmet sich in den kommenden Jahren die Leibniz-Nachwuchsgruppe „OLALA“ (Optical Lab for Lidar Applications), die 2023 am TROPOS in Leipzig gegründet wurde.
Die Studien unterstreichen, dass zunehmende Wüstenbildung durch Austrocknung nicht nur ein lokales Problem ist, sondern großen Regionen betrifft. Im Nahen Osten und Zentralasien breiten sich Wüsten besonders stark aus. Dazu trägt auch der Rückgang der Gletscher in den Hochgebirgen bei. Die neuen Daten zur Staubquelle Aralsee helfen, den Einfluss des Wüstenstaubs auf das Klima besser abzuschätzen. Tilo Arnhold