Weniger als hundert Kilo Mensch, mehr als zwei Tonnen Stahl: Der Individualverkehr auf der Straße ist ein großer Klimakiller, und der Umstieg auf Elektro löst nur einen Teil des Problems, weil ja auch die Fahrzeugherstellung Emissionen verursacht. Wie also kriegt man mehr Leute in ein Auto? Wie die Klimapolitik darauf ohne Zwang hinwirken kann und wie wichtig das für das große Ziel Klimaneutralität ist, das zeigen jetzt zwei Studien unter Mitwirkung des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change).
Sie sind publiziert in den Fachzeitschriften Environmental Research Letters (ERL) und Mitigation and Adaptation Strategies for Global Change. Die erste, in ERL veröffentlichte Studie beleuchtet das Thema interdisziplinär aus neun verschiedenen Perspektiven und verdichtet dazu die Erkenntnisse der jeweiligen Forschungsliteratur.
Ob Sammeltaxis, Carsharing und Fahrgemeinschaften die Chance haben, sich stärker durchsetzen, hängt vom politischen Management des Verkehrs ab, aber auch von der Wirtschaftsgeographie vor Ort, also Siedlungsstrukturen, Verkehrsströme und die Beschaffenheit des öffentlichen Nahverkehrs als Anknüpfungspunkt für zusätzliche Fahrangebote. Zudem spielen unter anderem Psychologie eine Rolle, etwa die „User Experience“ bei Mobilitäts-Apps auf dem Handy, sowie die Energiepolitik und die Wirtschaftsförderung.
Aus Sicht des Forschungsteams kann die Politik hier durchaus Einfluss nehmen. Etwa über spezielle Infrastrukturen (Fahrstreifen und Elektro-Ladestationen für Autos mit mehreren Personen) oder über finanzielle Stellschrauben (Jahresgebühr auf Parkraum und Steuern auf Autokauf und Autobesitz). Sie kann gepoolte Fahrten bei der Ausgestaltung von Mautsystemen besserstellen, wie in London oder Stockholm, oder beim Besteuern von Taxis, wie in Chicago. Sie kann technische Innovationen fördern und Starthilfe für neue Mobilitätsanbieter geben. Wichtig sind auch Stadtplanung und Stadtentwicklung: Die Studie betont die Bedeutung von urbaner Dichte und urbaner Form für gepoolte Mobilität und verdeutlicht das an New York und Peking, die diesbezüglich großes Potenzial haben.
Dass sich im globalen Süden viel weniger Menschen ein eigenes Auto leisten können und Pool-Lösungen stark verbreitet sind, bietet laut der Studie eine Chance: Regierungen könnten Klimaschutz und Wohlstand miteinander verbinden, wenn sie etwa die „Matatus“ in Kenia oder die „Colectivos“ in Lateinamerika gezielt zu sauberer und sicherer Mobilität weiterentwickeln – und mit guter politischer Kommunikation beim Thema soziale Normen ansetzen, also dafür werben, den Status nicht am Fahrzeug festzumachen. Aktuell decken Sammeltaxis etwa in Ghanas Hauptstadt Accra 90 Prozent des gesamten Mobilitätsbedarfs und in Tansanias Hauptstadt Daressalam 60 Prozent. Bei näherer Betrachtung sei im globalen Süden diesbezüglich viel Innovation vorhanden, hier könne der Norden vom Süden lernen, betont das Forschungsteam.
Wie groß rein rechnerisch der Klima-Effekt von gepoolter Mobilität sein kann, zeigt die zweite, ebenfalls vom MCC mitverfasste Studie. Sie rechnet am Beispiel des größten Klimagas-Produzenten China feinkörnig, auf der Ebene der Provinzen, ein ehrgeiziges Szenario für den Autoverkehr durch: dass bis 2030 der Anteil der Elektroautos bei den Neuzulassungen auf 100 Prozent steigt. Die CO₂-Emissionen im Verkehrsbereich liegen dann 2060 um 71 Prozent unter dem historischen Höchststand im Business-as-usual-Szenario. Die Studie vergleicht das mit einer Extremvariante: Zusätzlich zu der Umstellung auf Elektro würde bis 2060 alles auf gepoolte Mobilität umgestellt – dann betrüge der Emissionsrückgang statt 71 sogar 83 Prozent.
„Insgesamt geht es darum, das stärkere Poolen von Autofahrten als eine Innovation mit sowohl gesellschaftlichen als auch technischen Implikationen zu begreifen und wissenschaftlich auszuleuchten“, erklärt Felix Creutzig, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport und Leitautor der ersten sowie Co-Autor der zweiten Studie. Creutzig war zudem ein Koordinierender Leitautor im aktuellen Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC. „Auch im IPCC dürfte dieses Thema verstärkt in den Blick rücken. Denn dies ist ein relevanter Baustein auf dem Weg zu Klimaneutralität im Verkehr.“