Die heutige BRIESE-Preisverleihung fand diesmal in einem besonderen Rahmen statt: Rund 100 Gäste versammelten sich an Bord des Eisrand-Forschungsschiffes MARIA S. MERIAN, das aktuell für ein paar Tage im Warnemünder Hafen liegt. Zu den Gratulanten zählten, neben den Gastgebern der BRIESE-Reederei und dem IOW, auch der Meeresbeauftragte der Bundesregierung, Sebastian Unger, die MV-Wissenschaftsministerin Bettina Martin und der bekannte Expeditionsleiter und Publizist Arved Fuchs.
„Seit fast anderthalb Jahrzehnten unterstützt das IOW mit seiner Expertise die Suche nach den jungen, mit dem BRIESE-Preis ausgezeichneten Wissenschaftstalenten, die für die Zukunft der deutschen Meeresforschung stehen. Mich freut besonders, dass wir diesmal für die Preisverleihung auf der MARIA S. MERIAN zu Gast sein dürfen. Denn das zweite bei uns beheimate Forschungsschiff, das fast ganzjährig auf Expeditionen unterwegs ist, verkörpert wie kaum ein anderer Ort den unbändigen und frischen Forschungsgeist, der heute mit dem BRIESE-Preis gewürdigt werden soll“, so Oliver Zielinski, Direktor des IOW, bei der Begrüßung der Festgesellschaft.
„Nur sehr engagierte Feld- und Laborarbeit, die vier mehrwöchige Schiffsexpeditionen einschloss, hat die erstaunlichen Entdeckungen von Hagen Buck-Wiese ermöglicht, der uns gezeigt hat, welch unerwarteten Wert Braunalgen für uns Menschen haben können“, sagt Klaus Küper, Leiter der Abteilung Forschungsschifffahrt der Reederei Briese, anlässlich der diesjährigen Verleihung des BRIESE-Preises. „Die hervorragende Arbeit des diesjährigen Preisträgers zeigt einmal mehr, wie die Erforschung von Grundlagen auf See direkt gesellschaftliche Relevanz entwickeln kann“, so Küper.
*Warum Braunalgenschleim gut fürs Klima ist: Das preiswürdige Promotionsthema*
„Jährlich fixieren Algen 50 Gigatonnen (Gt) Kohlenstoff im Ozean, das meiste davon als Kohlenhydrate. Dennoch herrschte über ihren Verbleib und Einfluss auf die Kohlenstoffspeicherung im Meeren viel Unsicherheit, nicht zuletzt aufgrund fehlender Methodik, um sie für weitere Analysen aus Meerwasser zu extrahieren.“
So schildert Hagen Buck-Wiese, Träger des 14. BRIESE-Preises, die große Wissenslücke, die der Ausgangspunkt für seine Doktorarbeit am Bremer am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie war. Algen, große wie mikroskopisch kleine, nutzen Photosynthese, um im Meerwasser gelöstes Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre zur Energieversorgung in Glukose und in verschiedene, meist komplexe Vielfachzucker für den Biomasseaufbau umzuwandeln. Die Identifizierung und Quantifizierung der komplexen Kohlenhydrate ist methodisch jedoch besonders schwierig.
„Aber nur, wenn man detaillierte Informationen über Art und Menge der verschieden Molekültypen in der Meeresumwelt generiert, kann man ihre Herkunft und damit den Weg des darin gespeicherten Kohlenstoffs – vom Organismus über das Wasser bis ins Sediment – aufdecken“, so Buck-Wiese.
Der Bremer Meeresbiologe beschäftigte sich deshalb zum einen mit der Entwicklung einer geeigneten Methode, die kleine Mehrfachzuckermoleküle, sogenannte Oligosaccharide, selbst bei sehr niedrigen Konzentrationen aus Meerwasser extrahieren kann, wie dies bei Freilandproben meist der Fall ist. Der erfolgreiche Einsatz der neuen Methode, bei dem auch Proben aus mehreren tausend Metern Wassertiefe analysiert wurden, brachte eine Überraschung: Neben großen Oligosaccharid-Mengen nahe der Oberfläche, wo man sie aufgrund der dort stattfindenden Photosynthese erwartet, wurden die kleinen Mehrfachzucker auch in sehr tiefem Wasser nachgewiesen.
„Ihr Vorhandensein in Wassermassen bis zu 500 Jahre nach Oberflächenkontakt deutet darauf hin, dass hier Kohlenstoff über viele Jahrhunderte gebunden bleibt ohne bakteriell freigesetzt zu werden. Allein diese Oligosaccharidfraktion speichert etwa 1 Gt Kohlenstoff“, hebt Buck-Wiese hervor.
Zum anderen wollte Hagen Buck-Wiese wissen, was aus Kohlenhydraten mit besonders komplexer Struktur wird. Dazu führte er Kurz- und Langzeit-Inkubationsversuche mit einem halben Dutzend Braunalgenarten aus verschiedenen Erdregionen durch, darunter mit dem auch aus Nord- und Ostsee bekannten Blasentang und dem frei im Meer treibenden Golftang der Gattung Sargassum, Namensgeber der bekannten Sargassosee im Westatlantik. Auch hier fand er Erstaunliches heraus: Mit Hilfe maßgeschneiderter Analyseverfahren, die er ebenfalls selbst entwickelte, deckte er erstmals auf, dass Braunalgen pro Tag erhebliche Mengen eines schleimigen Zuckerpolymers ins Meer absondern. Dieses sogenannte Fucoidan kann bis zu 50 Prozent des im umgebenden Wasser gemessenen organischen Kohlenstoffs ausmachen und erfährt praktisch keine bakterielle Zersetzung.
„Braunalgen produzieren diese Substanz, um sich gegen schädliche Mikroben zu schützen. Da liegt es in der Natur der Sache, dass der Braunalgenschleim Mikroorganismen nicht schmeckt und wir in unseren Experimenten daher auch keinen nennenswerten Abbau nachweisen konnten. Der Schleim verklumpt mit Schwebstoffen zu Partikeln, die zum Meeresgrund sinken, so dass Fucoidan ins Sediment gelangt und dort Kohlenstoff mindestens für Jahrhunderte, wenn nicht gar für Jahrtausende speichert“, erläutert Buck-Wiese.
Braunalgen sind außergewöhnlich produktiv. Rechnet man die Ergebnisse aus Buck-Wieses Versuchen und der anschließenden weltweiten, spezifisch auf Fucoidan ausgerichteten Probennahme hoch, kann man davon ausgehen, dass sie jährlich bis zu 150 Mio. Tonnen (t) Kohlenstoff in Form von schwer abbaubarem Braunalgenschleim binden und damit etwa 550 Mio. t CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Betrachtet man zusätzlich das Speicherpotenzial der persistenten Oligosaccharide im Tiefenwasser der Ozeane, das zum Probenahmezeitpunkt bei umgerechnet rund 4 Gt CO2 lag, ist der von Hagen Buck-Wiese entdeckte Langzeitkohlenstoffspeicher im Meer enorm. Zum Vergleich: Die jährlichen Treibhausgas-Emissionen Deutschlands belaufen sich laut Umweltbundesamt auf 674 Mio. t CO2 (Schätzung für 2023).
„Unsere Forschung rückt das erhebliche Klimaschutzpotential von im Meer gebildeten, komplexen Kohlenhydraten ins Rampenlicht. Insbesondere die Fucoidan-Absonderung durch Seetangwälder sowie durch natürliche wie bewirtschaftete Algenbestände stellt eine wichtige Ökosystemleistung für uns Menschen dar, die unbedingt bei Naturschutz- und Renaturierungsmaßnahmen berücksichtigt werden sollte“, resümiert der BRIESE-Preisträger abschließend.
Die BRIESE-Preis-Jury würdigte Hagen Buck-Wieses Promotionsarbeit folgendermaßen: „Im Mittelpunkt der mit ,Summa cum laude‘ bewerteten Dissertation steht mit den von Algen gebildeten verschiedenen Kohlenhydrattypen eine Stoffgruppe, die zu den am häufigsten produzierten Molekülarten im Ozean zählen. Bislang wurden sie jedoch bei Betrachtung des marinen Kohlenstoffkreislaufes weitgehend vernachlässigt, nicht zuletzt, weil die komplexen Verbindungen so schwer analytisch zu erfassen waren. Hagen Buck-Wiese hat die methodischen Herausforderungen gemeistert und damit eine bis dahin verschlossene Tür aufgestoßen. Nun kann die globale Bedeutung der von Algen produzierten langlebigen Kohlehydrate systematisch untersucht und daraus Maßnahmen zur Nutzung ihres Klimaschutzpotenzials abgeleitet werden.“
*Informationen zum BRIESE-Preisträger 2023:*
Dr. Hagen Buck-Wiese (Jahrgang 1992) studierte Biologie an der Universität Bremen und spezialisierte sich im Fach Meeresbiologie am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, ebenfalls in Bremen, wo er auch promovierte. (Originaltitel der Doktorarbeit: Enzymatic diversification and brown algae as sources of complex glycans in the marine dissolved organic carbon reservoir, Abschluss: 6/2023, Bewertung: „Summa cum laude“, Betreuung: Prof. Dr. Jan-Hendrik Hehemann, Universität Bremen, und Dr. Manuel Liebeke, Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie). Aktuell ist Buck-Wiese Postdoktorand an der University of Southern California, USA, im Bereich Meeres- und Umweltbiologie.