Auen gehören nicht nur zu den artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa. Sie verbessern auch die Wasserqualität und leisten einen wichtigen Beitrag zum Hochwasser- und Klimaschutz. Allerdings hat der Mensch viele Flusslandschaften so stark verändert, dass sie diese wichtigen Leistungen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr erbringen können. Doch dabei muss es nicht bleiben. Das kürzlich abgeschlossene Projekt „Lebendige Luppe“ zeigt, wie solche Auen selbst in Großstädten wieder zu lebendigen und funktionsfähigen Ökosystemen werden können. Ein Team des UFZ und der Universität Leipzig hat das Vorhaben zwischen Leipzig und Schkeuditz wissenschaftlich begleitet.
Die Luppe, ein Nebenfluss der Weißen Elster, teilt das Schicksal vieler Flüsse in Mitteleuropa. Früher hat sie regelmäßig große Auenwälder zwischen Leipzig und Halle unter Wasser gesetzt. In einer breiten Talaue wanden sich Gewässerläufe durch ein artenreiches Naturparadies, das vom Wechsel der Wasserstände lebte. Es gab dort feuchte Wiesen und Wälder, Tümpel und Altarme – ein Mosaik von Lebensräumen für die unterschiedlichsten Ansprüche. Von dieser Vielfalt aber ist nur noch ein Bruchteil übriggeblieben.
„Das liegt daran, dass man das Gewässersystem ab dem 19. Jahrhundert komplett umgestaltet hat“, sagt Dr. Mathias Scholz, seit 25 Jahren Auenökologe am UFZ.
Der Fluss wurde begradigt, reguliert und eingedeicht, Teile seiner Aue wurden trockengelegt und aufgeschüttet. In Leipzig entstanden Stadtviertel auf ehemaligen Überschwemmungsflächen. Und ein neu gebauter, kanalähnlicher Wasserlauf sollte Hochwasser so schnell wie möglich abtransportieren. Diese „Neue Luppe“ hat ehemalige Flussläufe durchschnitten, so dass sie dem Auenwald nun kein Wasser mehr liefern können. Der Aue fehlt damit ihr Lebenselixier. Ihre Funktionsfähigkeit und ihr Artenreichtum sind bedroht.
Das zu ändern, war das Ziel des nun zu Ende gegangenen Projekts „Lebendige Luppe“. Seit 2012 haben die Städte Leipzig und Schkeuditz, der sächsische Landesverband des Naturschutzbunds (NABU), das UFZ und die Universität Leipzig daran gearbeitet, Wege aufzuzeigen, um der Auenlandschaft zwischen Leipzig und Schkeuditz wieder ein naturnäheres Gesicht zu verleihen.
Profitieren sollen von den Maßnahmen nicht nur die reiche Tier- und Pflanzenwelt der Auen, sondern auch der Mensch. Denn einen besseren Dienstleister als eine intakte Flusslandschaft könnte man sich kaum wünschen. So gelten diese Ökosysteme als Nieren der Landschaft, die überschüssigen Stickstoffdünger und andere Belastungen aus dem Wasser filtern. Zudem betätigen sich Auenwälder als natürliche Klimaschützer, die größere Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid binden als andere Wälder. Und sie helfen auch dabei, die spürbaren Folgen des Klimawandels zu mildern.
„So ein Auenwald wirkt wie ein Kühlschrank, der die Temperaturen an heißen Tagen deutlich senken kann“, erklärt Mathias Scholz.
Wichtig ist zudem der Einfluss auf den Wasserhaushalt, denn Auen saugen sich voll wie ein Schwamm und halten so das Wasser länger in der Landschaft. Das hilft den Pflanzen, Dürresommer besser zu überstehen. Und wenn das nächste Hochwasser kommt, tritt der Fluss über die Ufer und überschwemmt Wald und Wiesen. Das ist eine der wirksamsten Versicherungen gegen Hochwasserschäden. So bleibt ein Teil der Fluten in der Aue, statt weiter talwärts zu rauschen und dort Zerstörungen anzurichten.
Naturnahe Flusslandschaften bieten also gute Möglichkeiten, gleichzeitig etwas für die Artenvielfalt, das Klima und den Hochwasserschutz zu tun. Deshalb gehören sie zu den Ökosystemen, die in Deutschland verstärkt geschützt und wiederhergestellt werden sollen. So sieht es das „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ vor, das Bundesumweltministerin Steffi Lemke Ende März 2023 vorgestellt hat. Denn so wertvolle Leistungen Deutschlands Auen auch bringen könnten: Derzeit sind sie weit entfernt davon, dieses Potenzial auch auszuschöpfen.
Das Ausmaß dieses Problems zeigt der jüngste Auenzustandsbericht, den das Bundesumweltministerium und das Bundesamt für Naturschutz 2021 herausgegeben haben. Entlang der 79 größten Flüsse Deutschlands sind demnach zwei Drittel der ursprünglichen Überschwemmungsflächen verloren gegangen, weil die Gewässer durch Deiche von ihren Auen getrennt wurden. Was noch übrig ist, wird zudem oft intensiv genutzt und ist deshalb in keinem naturnahen Zustand mehr. So liegen auf einem Drittel der noch vorhandenen Auen heute Äcker und Siedlungen.
Der Bericht betont daher die Notwendigkeit, die natürlichen Dienstleister mit naturbasierten Lösungen zurückzugewinnen. Immerhin hat es zwischen 1983 und 2020 entlang der untersuchten Flüsse etwa 220 größere Renaturierungsprojekte gegeben: Durch die Rückverlegung, den Rückbau und die Schlitzung von Deichen konnten rund 7.100 Hektar Auenfläche wieder zeitweise überflutet werden. Angesichts von etlichen Zehntausend Hektar, die theoretisch für solche Maßnahmen infrage kämen, ist da aber noch deutlich Luft nach oben. Es gilt, den Flüssen bundesweit mehr Raum zu geben und weitere Auen naturnah umzugestalten.
Auf europäischer Ebene verfolgt die EU-Biodiversitätsstrategie das ambitionierte Ziel, bis zum Jahr 2030 insgesamt 25.000 Kilometer Flüsse in Europa durch die Entfernung von Dämmen und Anbindung von Auen wiederherzustellen. Einen neuen Umsetzungsrahmen könnte hierzu auch das neue Europäische Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) bieten. Dessen Ratifizierung steht allerdings noch aus.
Wie sehr sich solche Bemühungen lohnen, zeigt die Entwicklung an der Luppe.
„Dort hat das Projektteam in den letzten Jahren schon einiges erreicht“, resümiert Mathias Scholz.
So kann der fünf Kilometer lange Burgauenbach bei Hochwasser nun wieder über die Ufer treten und fungiert damit als Lebensader für den Auwald. Auch der Zschampert ist bereits dabei, sich von einem Graben wieder in einen naturnahen Bach zu verwandeln. Ausgetrocknete Tümpel stehen wieder voll Wasser und bieten damit Laichmöglichkeiten für Amphibien.
Dass dies alles schon positive Auswirkungen auf das Ökosystem hat, zeigen die begleitenden Untersuchungen des UFZ und der Universität Leipzig. Lange konnten sich zum Beispiel typische Auenwald-Arten wie Eichen, Eschen und Ulmen in den vom Hochwasser abgeschnittenen Bereichen nicht mehr gesund entwickeln. Stattdessen hatten sich dort Ahornbäume breitgemacht. Doch wenn das Wasser zurückkommt, lässt sich dieser Prozess zurückdrehen.
So flutet die Stadt Leipzig in einem seit 1993 laufenden Experiment jedes Jahr im Frühling eine Fläche von sieben Hektar im südlichen Leipziger Auenwald. „Dort hat sich der Ahorn-Bestand schon stark reduziert“, berichtet Mathias Scholz.
„Und die gepflanzten Eichen stehen da wie eine Eins.“ Ähnliche Entwicklungen erwartet der Experte auch am renaturierten Burgauenbach. „Eine Woche, nachdem die Stadt gemeinsam mit der Landestalsperrenverwaltung dort die Wasserzufuhr wiederhergestellt hatte, waren schon 20 Hektar überschwemmt“, erinnert sich der Forscher.
Auch nach dem Ende des aktuellen Projekts soll sich die Flusslandschaft an Weißer Elster und Luppe weiter erholen. Doch einen Zustand, der über mehrere Jahrhunderte entstanden ist, wieder auf den Weg zu einem naturnahen Ökosystem zu bringen, braucht eine intensive Kooperation aller Akteure. Und auch Zeit.
Die Stadt Leipzig entwickelt derzeit gemeinsam mit dem Freistaat Sachsen ein Nutzungs- und Entwicklungskonzept für insgesamt 4.750 Hektar Auenfläche – das entspricht immerhin mehr als zehn Prozent der Stadtgebiete von Leipzig und Schkeuditz. Gerade die Tatsache, dass große Bereiche dieser Auen in der Großstadt liegen, macht das Vorhaben aus Sicht von Mathias Scholz besonders interessant. Denn dadurch lässt sich erproben, wie man urbanes Leben und Auenschutz am besten unter einen Hut bekommt. So kann das Projekt in Leipzig zu einem Modell für zahlreiche andere Regionen werden.
„Praktisch alle deutschen Großstädte liegen an Flüssen“, sagt der Forscher. „Also müssten sie auch funktionierende Auen fördern.“
Im Rahmen des gerade gestarteten und von der EU-geförderten Projektes „SpongeBoost“ soll diese für den Klimaschutz so wichtige Schwammfunktion von Feuchtgebieten entlang der Weißen Elster und weiteren Regionen in Europa vertiefend betrachtet werden.