Ein guter Tag für den Naturschutz

Prof. Josef Settele André Künzelmann / UFZ

Die umstrittene europäische Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law) hat überraschend die letzte Hürde genommen und ist am 17. Juni vom EU-Umweltrat verabschiedet worden. Prof. Dr. Josef Settele, Agrarbiologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), erklärt die Verbesserungen, die die Verordnung für den Naturschutz bringt, und warum Renaturierung so wichtig ist.


Warum ist das für den Naturschutz ein besonderer Tag?

Nach der Zustimmung des EU-Umweltrats ist damit endlich gewiss, dass die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur in Kraft treten wird. Sie soll dazu führen, dass sich biodiverse und widerstandsfähige Ökosysteme in den Land- und Meeresflächen der EU langfristig und nachhaltig erholen. Für den Naturschutz ist das ein großer Erfolg, da wir uns endlich in Richtung einer Betrachtung gesamter Landschaften bewegen und einer Integration von Landnutzung, Klimaschutz und Erhalt der Biodiversität deutlich näher kommen. Nun gilt es, die neue Verordnung zügig in Deutschland umzusetzen. In ihrer im April veröffentlichten Stellungnahme geben der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) sowie die Wissenschaftlichen Beiräte für Biodiversität und Genetische Ressourcen (WBBGR) und für Waldpolitik (WBW) Hinweise und Empfehlungen dazu, wie dies angesichts bestehender und zukünftiger Flächennutzungskonflikte gelingen kann.

Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Verbesserungen, die die EU-Verordnung für den Schutz von Ökosystemen und Arten bringt?

Ziele und Inhalte der Verordnung überschneiden sich teils mit bestehenden Plänen, Strategien, Programmen und rechtlichen Vorgaben (UFZ-Pressemittelung zur Publikation Hering et al. 2023). Der nationale Wiederherstellungsplan und auch das hier empfohlene nationale Gesetz bieten die Gelegenheit, diese verschiedenen Prozesse gut miteinander zu verzahnen, inhaltliche Widersprüche zu vermeiden, den Bürokratieaufwand zu minimieren und eine Vernetzung der relevanten Akteure sicherzustellen. Die Umsetzung dieses Plans könnte u. a. durch ein langfristig ausgestattetes Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz sichergestellt werden. Wesentliche Verbesserungen der Verordnung sind beispielsweise der Schutz der Landschaft als Ganzes unter Berücksichtigung der nachhaltigen Landnutzung. Das soll Garant dafür sein, dass Ökosysteme für unsere und auch nachfolgende Generationen noch funktionieren. Dazu zählen der Erhalt der Bestäuber, der Schutz von Insekten des Grünlandes und die Erfüllung einer stärkeren Klimaschutzfunktion durch die Ökosysteme.

Die Kernziele der EU-Verordnung wurden durch den Trilog geschwächt. Welche Veränderungen waren am schmerzhaftesten?

Eine Schwächung besteht beispielsweise darin, dass für den Fall, dass in der Landwirtschaft Ertragseinbußen drohen, Maßnahmen ausgesetzt werden können. Hier liegt das überkommene Verständnis zugrunde, dass die Agrarproduktion mithilfe intensiver Inputs wie etwa Düngemittel und Pestizide die einzig erfolgversprechende ist. Was wir aber brauchen, ist das grundsätzliche Hinterfragen unseres Wirtschaftens – ein Kernelement der Transformation. Allerdings wurde auch manches verbessert im Laufe des Trilogs. So geschehen beim jetzigen Artikel 10, bei dem es um die Bestäuber geht – vermutlich weil fast alle Menschen Bestäuber (Bienen) lieben und es diesen wieder besser gehen soll.

Warum ist die Renaturierung von Ökosystemen überhaupt so wichtig? Welche Ökosysteme und Flächen kommen dafür infrage?

Renaturierung ist wichtig, damit Lebensräume wieder günstige Erhaltungszustände erreichen und dauerhaft leistungsfähige Ökosysteme als natürliche Lebensgrundlagen für den Menschen zur Verfügung stehen. Dafür muss Renaturierung in die Landnutzung integriert werden. Dafür kommen grundsätzlich nahezu alle Flächen infrage, zumal wenn man die Begriffe „Renaturierung“ und „Wiederherstellung“ (im Englischen „restoration“) wie wir in einem weiten Sinne versteht, sodass auch naturverträglichere Bewirtschaftungsformen darunterfallen. Es geht also um streng geschützte Gebiete wie z.B. alte Wälder, aber auch um die offene Agrarlandschaft, die es gilt wieder reicher zu strukturieren und für Pflanzen und Tiere zum Beispiel über den Biotopverbund durchlässiger zu machen.

Wie können Renaturierungsziele definiert und der Erfolg von Maßnahmen gemessen werden?

Wir wollen diese Ziele in einem weiten Sinne verstanden wissen, dass sie auch im Einklang stehen mit dem NRL. Sie schließen also auch naturverträglichere Bewirtschaftungsformen ein. Zum Messen des Erfolgs werden beispielsweise für die Agrarlandschaft drei Indikatoren vorgeschlagen, von denen zwei bis zum Jahr 2030 einen positiven Trend aufweisen sollen: strukturreiche Agrarlandschaften, erhöhte Kohlenstoffbindung in mineralischen Ackerböden und nicht zuletzt der Indikator der Grünlandschmetterlinge, der im Laufe der vergangenen Jahre durch das Tagfalter-Monitoring Deutschland (TMD), also unter Mitwirkung des UFZ, mitentwickelt wurde und der neben den Vögeln einen der wenigen europaweit verfügbaren Biodiversitätsindikatoren für Tiere darstellt.

Früher legte man eher Wert darauf, Naturschutz per unter Schutzstellung der Flächen zu betreiben. Ist dieser Ansatz noch zeitgemäß?

Das ist im Prinzip nach wie vor zeitgemäß. Es kommt nur darauf an, was man unter Schutz versteht. In unserer mitteleuropäischen Kulturlandschaft können da zu ganz großen Teilen nur extensiv genutzte Systeme verstanden werden, denn ohne zum Beispiel eine extensive Beweidung und Mahd in den Mittelgebirgslagen würden viele, oft aus Naturschutzsicht wertvolle Offenlandschaften verbuschen. Schutz durch Nutzung wäre hier ein passenderer Begriff.

Weitere Informationen:
Die vollständige Stellungnahme der drei Sachverständigenräte – SRU, WBBGR, WBW (2024): Renaturierung: Biodiversität schützen, Flächen zukunftsfähig bewirtschaften. Stellungnahme. SRU. Berlin: 87 S. – ist unter folgender URL abrufbar: https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/202…