Für den Umbau des Energiesystems sind enorme Rohstoffen-Mengen nötig, z.B. Kupfer und Aluminium für Leitungen zur Anbindung von erneuerbaren Erzeugern ans Netz. Ein vielversprechender Ansatz zur Einsparung von Rohstoffen ist, bei erneuerbarer Energieproduktion statt in der Niederspannungs- in der Mittelspannungsebene zu agieren. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE sieht insbesondere bei Photovoltaik-Großkraftwerken ein enormes Einsparpotenzial durch höhere Systemspannungen. Das Institut plant erste Pilot-Kraftwerke und strebt gemeinsam mit der Industrie eine breite Markteinführung an.
Zum Launch seines neuen Forschungsleitthemas »Mittelspannung – ressourceneffizient vernetzt« zeigt das Fraunhofer ISE auf der Smarter E in München (19.-21. Juni) den weltweit ersten Mittelspannungs-PV-Stringwechselrichter und einen Mittelspannungs-Batteriewechselrichter.
Bis 2050 wird weltweit ein Zubau von etwa 73 Terawatt allein an installierter Photovoltaik-Leistung nötig, was zu einer starken Nachfrage nach Rohstoffen führt: Laut »Global Critical Minerals Outlook 2024« der Internationalen Energie-Agentur wird ab 2025 der Kupferbedarf das angekündigte Angebot übersteigen.
»Eine Erhöhung der Systemspannung kann hier Abhilfe schaffen. Denn durch das damit verbundene gleichzeitige Absinken der Ströme können erhebliche Rohstoffeinsparungen erzielt werden«, erklärt Andreas Hensel, Gruppenleiter »Hochleistungselektronik und Systemtechnik« am Fraunhofer ISE.
Eine Erhöhung der Ausgangsspannung von 800 VAC auf 1.500 VAC führt bei gleicher Leistung zu einer Einsparung beim Kabelquerschnitt um ca. 75 Prozent. Zudem sind die Verlegung und der Anschluss kleinerer Kabelquerschnitte deutlich einfacher und senken so die Installationskosten.
»Nachdem die PV-Modulkosten seit 2010 durch technologischen Fortschritt und Skaleneffekte um 90 Prozent gesunken sind, bieten Installation und Balance-of-System Komponenten nun die größten Einsparungshebel«, so Andreas Hensel.
Durch den Schritt aus der Nieder- in die Mittelspannung kann auch die Leistung der Subsysteme erhöht werden: bei einer Spannung von 1.500 V sind bereits 10 bis 12 MVA statt der heute üblichen 3 bis 5 MVA in einem Transformator möglich. Bei gleicher Kraftwerksgröße resultiert daraus eine geringere Anzahl an Transformatoren und Schalt-anlagen, was Bau- und Installationskosten verringert.
Technologische Weichen sind gestellt
Der Schritt in die Mittelspannung (MS) wurde erst möglich durch die Entwicklung hoch-sperrender Siliziumkarbid-(SiC)-Bauelemente mit hohen Schaltgeschwindigkeiten. Inzwischen sind SiC-Bauteile bis zu 3,3 kV marktverfügbar. Das Fraunhofer ISE hat 2023 im Projekt »MS-LeiKra« den weltweit ersten MS-PV-Stringwechselrichter entwickelt und erfolgreich am Netz in Betrieb genommen.
Der zweistufig aufgebaute Wechselrichter hat eine Ausgangsspannung von 1.500 VAC bei einer Leistung von 250 kVA.
»Wir haben demonstriert, dass technologisch die Weichen für den Weg in die Mittelspannung gestellt sind. Wir sind überzeugt davon, dass es aufgrund des enormen Materialbedarfes nicht mehr darum geht, ob die Technologie Einzug halten wird, sondern wer die ersten Akteure an diesem aussichtsreichen Markt sind«, erklärt Christian Schöner, Projektleiter »Mittelspannung« am Fraunhofer ISE.
Eine erste Photovoltaik-Pilotanlage auf Basis des MS-PV-Stringwechselrichters ist aktuell in Planung.
Hemmnisse gemeinsam überwinden
Im Zuge eines MS-PV-Workshops im April wurde ein europäisches Konsortium mit Vertretern aller an einem PV-Großkraftwerk beteiligten Gewerke gebildet, welches die für den Sprung in die Mittelspannung nötigen technologischen und normativen Voraussetzungen gemeinsam untersucht.
»Als schlagkräftiges Konsortium, das offen ist für weitere Mitstreiter, können wir die bestehenden Hürden gemeinsam angehen und eine Optimierung für das komplette Kraftwerk erzielen«, so Christian Schöner.
PV-Großkraftwerke sind erst der Anfang: auch Ladeinfrastruktur, Industrienetze, Großwärmepumpen, Batteriespeicher, Elektrolyseure oder Windkraftanlagen sind interessante Anwendungsgebiete für die niedrige Mittelspannungsebene. Denn höhere Systemspannungen ermöglichen neben erheblichen Material-, Kosten- und Flächeneinsparungen auch völlig neue Systemarchitekturen regenerativer Hybridkraftwerke, deren Einzelbausteine über die Mittelspannung miteinander verknüpft sind.