Marine Hitzewellen – Perioden, in denen sich die oberen Wasserschichten im Meer vorübergehend außergewöhnlich stark erwärmen – treten weltweit zunehmend häufiger auf. Aktuelle Untersuchungen des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) bestätigen diesen Trend jetzt auch für die Ostsee. IOW-Forschende analysierten sehr große meteorologische und hydrographische Datensätze und identifizierten so die spezifischen Wind- und Wetterlagen, bei denen Ostsee-Hitzewellen entstehen. Zudem untersuchten sie erstmals die Ausbreitung der Hitzewellen bis zum Ostseegrund und wiesen nach, dass sie dort sogar in sonst gut durchlüfteten Küstengewässern zu drastischem Sauerstoffmangel führen können.
Es zeigt sich deutlicher denn je, dass sich das Klima – scheinbar unaufhaltsam – immer weiter aufheizt: Allein dieses Jahr wurde bislang für jeden Monat ein neuer Temperaturrekord aufgestellt und erst kürzlich, am 21. Juli, vermeldete der europäische Copernicus-Klimadienst den im Schnitt heißesten Tag, der jemals auf der Erde registriert wurde.
Die Erderhitzung macht auch vor den Meeren nicht Halt und insbesondere die Ostsee zählt mit einer Erwärmung von mehr als 1 °C in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten zu den sich am schnellsten erwärmenden Meeresregionen der Welt.
Neben der allgemeinen Ozeanerwärmung machen marine Hitzewellen den Meeresökosystemen zu schaffen. Dabei handelt es sich um zeitlich begrenzte Perioden, in denen die Temperatur der oberen Meerwasserschichten einen für die jeweilige Region und Jahreszeit typischen Schwellenwert für mindestens fünf Tage überschreitet. Im letzten Jahrhundert wurden weltweit vermehrt solche Hitzewellen registriert: Eine internationale Studie belegt, dass sie seit 1925 häufiger auftreten und länger andauern, was zu über 50 % mehr marinen Hitzewellentagen pro Jahr führt.
„Im globalen Maßstab ist das Phänomen der Meereshitzewellen schon recht gut untersucht. Bislang fehlten aber Studien im regionalen Maßstab und solche, die speziell die Bedingungen von flachen Rand- und Binnenmeeren berücksichtigen“, erläutert Markus Meier, Ostseeklimaexperte am IOW. „Wir wollten daher wissen, was genau die Entstehung von Hitzewellen in der Ostsee begünstigt und welche Auswirkungen sie haben können“, so Meier, der zusammen mit Forschenden des Arbeitsbereichs „Dynamik regionaler Klimasysteme“ die Ostsee-Hitzewellen untersucht.
Meier und sein Team werteten dazu enorm große meteorologische Datensätze der Europäischen Wetterzentrale aus über drei Jahrzehnten aus, die sie in hochauflösende Ozeanmodelle einfließen ließen. Dabei identifizierten sie Auffälligkeiten in den großen Luftdruckmustern und in Windsystemen über dem Nordatlantik und Europa, die zu Hitzewellen in der Ostsee führen.
„In den Sommermonaten sind es die stabilen Hochdrucklagen über Skandinavien, bei der die Hitzewellen entstehen – nicht nur durch starke Sonneneinstrahlung und hohe Lufttemperaturen, sondern vor allem auch durch die außergewöhnlich schwachen Winde unter solchen Bedingungen“, so Meier. „Letzteres verhindert, dass sich das immer stärker erwärmende Oberflächenwasser mit kaltem Wasser aus der Tiefe vermischen kann, wodurch sich die Hitze in den oberen Wasserschichten quasi aufstaut.“
Aber auch im Winter sind Hitzewellen in der Ostsee möglich: „Sie treten immer dann auf, wenn länger anhaltende starke Westwinde feucht-warme Luftmassen vom Atlantik nach Europa transportieren und die Ostsee dadurch im Winter weniger stark auskühlt als sonst um diese Jahreszeit“, erläutert Klimaexperte Meier. Solche „warmen“ Winterwinde entstehen, wenn sich über dem Atlantik ein besonders hoher Luftdruckunterschied zwischen Islandtief und dem subtropischen Hochdruckgürtel aufbaut.
„Dass der Atlantik unser Klima über Europa beeinflusst, ist bekannt. Dass er aber auch Extremereignisse wie winterliche Hitzewellen in der Ostsee verursacht, ist neu“, so Meier. Die in der Studie ausgewerteten Daten zwischen 1980 und 2016 zeigen auch, dass sowohl sommerliche wie winterliche Hitzewellen in der Ostsee häufiger werden, länger andauern und zunehmend größere Flächen betroffen sind. „Wir wissen noch nicht, ob diese Häufung auf den Klimawandel allgemein oder auf die natürliche Variabilität im Klimasystem zurückzuführen ist – oder auf beides zusammen. Das ist aber Gegenstand weiterer Untersuchungen“, fasst Markus Meier zusammen.
Dass Hitzewellen in der Ostsee kein bloßes statistisches Phänomen sind, sondern sich konkret auf lebenswichtige Umweltparameter auswirken können, zeigt eine weitere aktuelle Studie des IOW. Dazu analysierten die IOW-Forschenden um Markus Meier Modelldaten aus fünf Jahrzehnten (1970 bis 2020) des europäischen Copernicus-Dienstes zur Überwachung der Meeresumwelt.
Diese berücksichtigen eine Vielzahl von Parametern in hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung, die für Temperatur- und Stoffaustauschprozesse in der Ostsee wichtig sind. Hierbei untersuchte das Forschungsteam erstmals auch, inwieweit sich sommerliche Hitzewellen in die Tiefe ausbreiten, mit besonderem Fokus auf den flachen Küstengebieten der Ostsee, die eigentlich als dauerhaft gut „durchlüftet“ und damit robust gegen Sauerstoff-Defizite gelten.
Das Ergebnis dieser Untersuchung war überraschend und alarmierend. „Unsere Analysen haben gezeigt, dass Hitzewellen im Sommer häufig bis in eine Wassertiefe von etwa 20 Metern zum Meeresboden vordringen und dort den Sauerstoffgehalt des Wassers lokal um bis zu 3 ml / Liter senken können“, so Meier. Das sei beträchtlich, denn die sommerlichen Sauerstoffkonzentrationen können im küstennahen Bereich am Meeresgrund generell sehr niedrig sein und unterschreiten nun mitunter 2 ml / Liter.
„Das ist der kritischer Grenzwert, ab dem das Leben für höher entwickelte Organismen wie Muscheln, Würmer, Krebse und Fische nicht mehr möglich ist“, erläutert Meier.
Auch liegen die Areale mit Sauerstoffmangel am Meeresgrund zunehmend oberhalb der stabilen Temperatursprungschicht, die sich in der Ostsee im Sommer in einer Wassertiefe von etwa 20 Metern ausbildet und wo windbedingte Durchmischung eigentlich für ausreichende Belüftung sorgen sollte.
„Da die Ostsee zu den sich am schnellsten erwärmenden Regionen des Weltmeeres zählt, besteht hier ein hohes Risiko, dass die marinen Hitzewellen zusammen mit weiterer Klimaaufheizung immer häufiger kritische Sauerstoff-Defizite für die Bodenfauna verursachen. Das hätte weitreichende Folgen für das gesamte Ökosystem“, kommentiert Ostseeklimaforscher Markus Meier abschließend.