Forscherinnen und Forscher unter Leitung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) zeigen anhand von Langzeitdaten aus 46 deutschen Seen, dass die Oberflächentemperatur des Wassers in den letzten 30 Jahren stärker gestiegen ist als die Lufttemperatur. Die Sauerstoffkonzentration im Tiefenwasser hat abgenommen. Modellrechnungen weisen darauf hin, dass sich dieser Trend fortsetzt. Die gute Nachricht: Der Sauerstoffmangel im Tiefenwasser könnte abgemildert werden, wenn weniger Nährstoffe aus Siedlungen, Industrie und Landwirtschaft in die Gewässer gelangen.
Wenn sich Seen erwärmen, sinkt in der Regel ihr Sauerstoffgehalt. Dies hängt zum einen mit der Bindungsfähigkeit des Wassers zusammen, das bei höheren Temperaturen weniger Sauerstoff speichern kann. Zum anderen bildet sich bei wärmeren Temperaturen in einem See eine natürliche Schichtung mit einer wärmeren Oberflächenwasserschicht und einer kälteren Tiefenwasserschicht.
Hält diese Schichtung im Sommer über längere Zeit an, kann es passieren, dass der Sauerstoff von den Organismen am Gewässergrund verbraucht wird und mangels Durchmischung kein neuer Sauerstoff in die Tiefenzone gelangt. Dieser Sauerstoffmangel kann für die dort lebenden Organismen problematisch werden.
Wie sich die Wassertemperatur, die Seenschichtung und die Sauerstoffkonzentration in der Tiefenschicht von 46 deutschen Seen unter dem Einfluss des Klimawandels verändern, hat das Forschungsteam nun mit Hilfe von Langzeitmessdaten, die jeweils mindestens 30 Jahre umfassen, und hydrodynamischen Modellen untersucht.
Langzeitdaten: Oberflächentemperatur der Seen in den letzten 30 Jahren mit 0,5 Grad Celsius pro Jahrzehnt stärker gestiegen als die Lufttemperatur
Die Auswertung der Langzeitmessdaten zeigt, dass die Oberflächentemperatur zwischen 1990 und 2020 im Jahresmittel über alle Seen um 0,5 Grad Celsius pro Dekade (°C/Dekade) angestiegen ist. Damit haben sich die Seen in Deutschland im gleichen Zeitraum stärker erwärmt, als die Luft mit einem Anstieg von 0,43 °C/Dekade. Die Wassertemperatur in der Tiefe blieb nahezu konstant.
Die Sauerstoffkonzentrationen lagen zwischen 1990 und 2020 bei 51 Prozent der Sommermessungen und sogar bei 62 Prozent der Herbstmessungen unter 2 Milligramm pro Liter (mg/L), eine Konzentration, die als kritischer Schwellenwert für das Überleben vieler sauerstoffbedürftiger Organismen in Seen gilt.
„Das Auftreten von sauerstoffarmen Bedingungen hat parallel zu den wärmeren Temperaturen zugenommen, insbesondere im Herbst, weil aufgrund der wärmeren Oberflächentemperaturen die Temperaturschichtung länger stabil bleibt“, ordnet IGB-Forscher Robert Schwefel, Erstautor der Studie, die Ergebnisse ein.
Mittels mathematischer Seenmodelle haben die Forscherinnen und Forscher zukünftige Temperatur- und Sauerstoffentwicklungen bis ins Jahr 2099 basierend auf verschiedenen Emissionsszenarien des Weltklimarates (The Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) simuliert, um die mögliche Entwicklung der Seen vorherzusagen. Hierzu wurden 12 Seen verwendet, von denen besonders gute und hochaufgelöste Messdaten zur Kalibrierung der Modelle zur Verfügung standen.
Unter dem Einfluss des Klimawandels ist nicht die höhere Temperatur in der Tiefenschicht das Problem für den Sauerstoffgehalt, sondern die längere Schichtung
Unter dem pessimistischen Emissionsszenario RCP 8.5, das einen kontinuierlichen Anstieg der Treibhausgase bis zum Ende des Jahrhunderts annimmt, würde die Oberflächentemperatur der Seen bis 2099 um 0,3 °C/Dekade weiter ansteigen. Im mittleren Szenario RCP 4.5 beträgt der Anstieg lediglich 0,18 °C/Dekade.
Für das optimistischen Szenario RCP 2.6, in dem der Anstieg der Lufttemperatur auf ca. 2°C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitraum begrenzt bliebe, wird nur ein minimaler Anstieg um 0,04 °C/Dekade vorhergesagt. Übereinstimmend mit den Beobachtungsdaten der letzten 30 Jahre würde die Temperatur in der Tiefe deutlich weniger stark ansteigen.
„Die daraus resultierende zunehmende Temperaturdifferenz zwischen Wasseroberfläche und Tiefenschicht verstärkt die Temperaturschichtung“, erklärt IGB-Forscher Michael Hupfer, der das von der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) finanzierte Projekt leitet.
So zeigen die Modellrechnungen, dass sich unter dem pessimistischen Emissionsszenario die sommerliche Schichtung bis zum Ende des Jahrhunderts um bis zu 38 Tage verlängern würde, im Vergleich zum Zeitraum von 2006 bis 2016 (für RCP 4.5 um 22 Tage und für RCP 2.6 um 13 Tage).
Dies würde auch das Risiko von Sauerstoffmangel in der Tiefenschicht erhöhen: Mit einem Sauerstoffmodell zeigte das Team nämlich, dass die Sauerstoffkonzentrationen in der Tiefenschicht als Reaktion auf die verlängerte Schichtungsperiode um 0,7 bis 1,9 mg/L abnehmen würden (RCP 4,5 um 0,6 mg/L oder RCP 2,6 um 0,2 mg/L). „Das bedeutet, dass vor allem im Herbst größere Bereiche des Tiefenwassers sauerstofffrei blieben. Dies hätte große Auswirkungen z. B. auf die Lebensräume von Fischen und die chemischen Verhältnisse in den Seesedimenten“, sagt IGB-Forscher Robert Schwefel.
Geringere Nährstoffeinträge könnten negative Auswirkungen auf den Sauerstoffgehalt abmildern
Um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern, können sonstige Stressfaktoren reduziert werden, zum Beispiel die Belastung durch Nährstoffeinträge wie Nitrat und Phosphat aus urbanen Einleitungen oder der Landwirtschaft. Denn diese wirken im Gewässer wie Dünger – sie kurbeln biologische Prozesse wie das Algenwachstum an und erhöhen so den Sauerstoffverbrauch, weil durch anschließende Abbauprozesse mehr Sauerstoff veratmet wird.
In ihrer Studie hat das Team in Modellrechnungen untersucht, wie sich eine Verringerung der Nährstoffeinträge auf den Sauerstoffhaushalt auswirken würde. Die gute Nachricht: Selbst im pessimistischsten Emissionsszenario führt eine Nährstoffreduktion um eine Trophiestufe zu höheren Sauerstoffkonzentrationen, die die Effekte der Erwärmung ausgleichen würden.
Selbst im pessimistischsten Klimaszenario RCP 8.5 stiegen die Sauerstoffkonzentrationen im Tiefenwasser an, wenn ein geringerer Sauerstoffverbrauch im Tiefenwasser, wie er typischerweise bei Reduktion der Nährstoffkonzentrationen eintritt, angenommen wurde.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf den Sauerstoffhaushalt von Seen durch noch mehr Anstrengungen zur Reduzierung der Nährstoffeinträge abgemildert werden können“, sagt Michael Hupfer.