In einer besonderen Versuchsanlage testet ein Team der TU Berlin Vegetationsmischungen für die Bepflanzung von Verdunstungsbeeten. Die Beete sind ein Instrument, Städte zu Schwammstädten umzubauen: Da ist das Hohe Pfeifengras, das Zottige Silberglöckchen, die Balkan-Wolfsmilch, das Hohe und das Kleine Mädesüß, der Gefleckte Wasserdost, die Dreimasterblume und der Färberginster – sie alle sind wichtige Akteure in einem Projekt, das zum Ziel hat, das erste Quartier in Berlin nach dem Schwammstadtprinzip zu entwickeln.
Mitte August wurden diese heimischen und nicht heimischen Stauden, Gräser und Kleinsträucher in sechs sogenannten Verdunstungsbeeten durch Mitarbeitende und Studierende des TU-Fachgebiets Vegetationstechnik und Pflanzenverwendung unter Leitung des wissenschaftlichen Mitarbeiters Leonard Heß gepflanzt.
Die Pflanzen in den Beeten sollen an heißen Tag durch Verdunstung die unmittelbare Umgebung kühlen. Auch tragen sie dazu bei, die Biodiversität im urbanen Raum zu erhöhen. Neben der Entsiegelung von Flächen, der Begrünung von Dächern und Fassaden, dem Pflanzen von Bäumen und der Anlage von Versickerungsbeeten sind Verdunstungsbeete ein wesentliches Element des Wassermanagementkonzepts in einer Schwammstadt, in der das Regenwasser in Versickerungs- und Verdunstungsräumen im natürlichen Kreislauf bleibt und nicht über die Kanalisation abfließt und so unweigerlich für den lokalen Wasserhaushalt verloren ist.
Auf dem ehemaligen Gelände des Flughafens Tegel soll ein solches Schwammstadtquartier konzipiert werden und als Blaupause dienen, Berliner Stadtquartiere künftig klimaresilient zu planen und zu bauen oder vorhandene umzubauen. Das heißt die Quartiere werden so angelegt, dass sie sowohl gegen Hitze- und Trockenperioden als auch gegen Starkregenereignisse gewappnet sind.
Sechs Strategietypen
In den Verdunstungsbeeten braucht es deshalb Pflanzen, die genau mit diesen Bedingungen klarkommen: mit Hitze, Trockenheit und Starkregen. Für die Auswahl der Pflanzen orientierte sich Leonard Heß an der Zusammensetzung heimischer Freiland-Ökosysteme, die stark von schwankenden Wasserspiegeln beeinflusst sind.
„Ich habe mir vor allem die Vegetation in Gräben entlang von Wiesen und Weiden sowie die Pfeifengraswiesen angeschaut und dort nach Pflanzen gesucht, die zum einen an gut mit Wasser versorgten, nährstoffreichen und im Fall der Pfeifengraswiesen an eher wechseltrockenen und mageren Standorten vorkommen. Insbesondere die Hochstauden der Grabenvegetation entwickeln viel Blattmasse und verdunsten dadurch potenziell viel Wasser“, erklärt Leonard Heß.
Außerdem wählte der Landschaftsarchitekt die Pflanzen nach sechs Strategietypen aus: Hochstauden, Kleinsträucher, mittelhohe Pflanzen, die horstförmig wachsen, mittelhohe Pflanzen, die Ausläufer bilden, kriechende Arten und Geophyten, die Zwiebeln als Überdauerungsorgane ausbilden.
Mädesüß und Dreimasterblume: heimische/nichtheimische Arten
So stehen zum Beispiel das Hohe Pfeifengras (Molinia arundinacea), der Gefleckte Wasserdost (Eutrochium maculatum) und das Hohe Mädesüß (Filipendula ulmaria) für den Strategietyp Hochstaude. Sie gedeihen an üppigen Standorten, also wo es feucht und nährstoffreich ist. Üppig mag es auch der Wald-Engelwurz (Angelica sylvestris), der aber zum Strategietyp mittelhoch horstförmig gehört wie auch das Zottige Silberglöckchen (Heuchera villosa var. macrorrhizza), das jedoch mit mageren, also trockenen und nährstoffarmen Böden klarkommt.
Die Balkan-Wolfsmilch (Euphorbia amygdaloides var. robbiae) ist mittelhoch, treibt Ausläufer aus und ist ebenfalls auf mageren Standorten zu finden. Der Färberginster (Genista tinctoria) ist ein Kleinstrauch, der eher wechseltrockene, magere Standorte bevorzugt. Die Blaue Prärielilie (Camassia leichtlinii ssp. suksdorfii) gehört zum Strategietyp der Geophyten und wächst in einer üppigen Umgebung.
Etwa die Hälfte der 30 Pflanzenarten ist heimisch
Aber auch nichtheimische Arten wie die Braunrote Taglilie (Hemerocallis fulva) oder die Dreimasterblume (Tradescantia spec.) werden für Verdunstungsbeete erprobt. Beide sind robust und bereits besser an extreme Wetterbedingungen angepasst als einige heimische Arten.
Drei Verdunstungsbeete wurden mit jenen Arten bepflanzt, die es feucht und nährstoffreich brauchen. Die drei anderen mit jenen, die an trockenen Standorten zu finden sind. Damit das Wasser nicht im Boden versickert und die Pflanzen so viel wie möglich Wasser verdunsten, sind die 13 Meter langen und 4,5 Meter breiten Mulden mit einer Teichfolie ausgelegt.
Am Boden jeder Mulde befindet sich ein Drainagesystem, das dafür sorgt, dass in den oberen Bodenschichten nicht über einen längeren Zeitraum Staunässe entsteht, was die Wurzeln faulen und die Pflanzen absterben ließe.
Mineralischer Mulch gegen ungebetene Gäste
Zudem experimentiert das Team um Leonard Heß mit zwei verschiedenen Böden. In vier Verdunstungsmulden wachsen die Pflanzen auf einem herkömmlichen Boden; in zwei anderen wurde der Boden mit Pflanzenkohle angereichert, die durch ihre große Oberfläche das Porenvolumen im Boden erhöht.
„Dadurch kann er mehr Wasser speichern, und in Trockenperioden steht den Pflanzen länger Wasser zur Verfügung“, sagt Heß.
Abgedeckt wurde der Boden mit einer Schicht aus mineralischem Mulch, die verhindern soll, dass sich unerwünschte Pflanzen in den Beeten einnisten und so die Versuchsanordnung beeinträchtigen und die Ergebnisse verfälschen.
Bis Ende 2027 werden die Wissenschaftler nun untersuchen, welche der beiden eigens für die Verdunstungsbeete zusammengestellten Vegetationsmischungen in dem städtischen Umfeld besser zurechtkommt, ob es die Pflanzenmischung ist, die feuchte Böden benötigt, oder jene, die mit trockenen zurechtkommt.
„Dafür werden wir Vitalitäts- und Mortalitätsdaten erheben. Die Vitalität einer Pflanze zeigt sich an vegetativen und generativen Merkmalen. Die vegetativen Merkmale lassen sich anhand der Anzahl der gebildeten Triebe bestimmen, die wir bei jeder Pflanze zählen werden. Die generativen Merkmale werden durch die Anzahl der Blüten angezeigt. Beide Merkmale geben Auskunft, wie gut sich eine Pflanze am Standort etabliert und in der Lage ist, sich zu vermehren. Auch werden wir genau erfassen, welche Pflanze welcher Art auf welchem Bodentyp überlebt oder nicht“, nennt Leonard Heß die Forschungsaufgaben.
Die Versuchsanlage befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel und wurde der TU Berlin von der Tegel Projekt GmbH zur Verfügung gestellt. „Ein Vorbild für eine solche Versuchsanlage gibt es in Deutschland nicht. Das ist schon ein Novum.“, sagt Prof. Dr. Norbert Kühn, Leiter des Fachgebiets Vegetationstechnik und Pflanzenverwendung.
Schön muss es aussehen und unkompliziert in der Pflege sein
Nicht zuletzt erfolgte die Auswahl der Pflanzen auch unter ästhetischen und pflegerischen Gesichtspunkten. „Sollen die Verdunstungsbeete ihre Funktion erfüllen, müssen sie attraktiv aussehen – auch im Winter, wenn nichts blüht –, damit sie von den Menschen akzeptiert und nicht schon nach kurzer Zeit zur Müllhalde umfunktioniert werden“, so Norbert Kühn. In Berlin eine echte Herausforderung. Auch dürften die Verdunstungsbeete keinen großen Pflegeaufwand erfordern.