Angesichts des dramatischen globalen Artensterbens werden immer mehr Biobanken eingerichtet, um mithilfe von Gewebeproben genetische Vielfalt zu sichern und wiederherzustellen. Konserviertes Gewebe oder Zellen ermöglichen es Forschung und Artenschutz, die räumliche und sogar zeitliche Fragmentierung schwindender Wildtierbestände zu überwinden und Technologien der assistierten Reproduktion einzusetzen – allerdings setzt das einen sicheren und ethischen Einsatz von Biobanken voraus. In der Fachzeitschrift „Cryobiology“ analysiert das BioRescue-Team ethische Fragestellungen und entwickelt sein Werkzeug „ETHAS“ zu einer standardisierten Methode für die ethische Bewertung weiter.
In heute in der Fachzeitschrift „Cryobiology“ erschienenen wissenschaftlichen Aufsatz analysiert das BioRescue-Team ethische Fragestellungen unter anderem zu Tierwohl, Eigentum an den Proben sowie guter wissenschaftlichen Praxis und entwickelt sein Werkzeug „ETHAS“ zu einer klaren, leicht anwendbaren und standardisierten Methode für die ethische Bewertung und Entscheidungsfindung beim Einsatz von Biobanken für den Artenschutz weiter.
Gemeinsam mit Fortschritten in der assistierten Reproduktionstechnologie (ART) können Biobanken ein letzter Strohhalm für den Erhalt der genetischen Vielfalt bedrohter Wildtiere und sogar für die Rettung von Arten vor dem Aussterben sein.
So stützt sich beispielsweise die Rettungsmission für das Nördliche Breitmaulnashorn (BMBF-Projekt „BioRescue“) sowohl auf neue Entwicklungen von Techniken wie Eizellentnahme, In-vitro-Fertilisation, Embryotransfer und Stammzelldifferenzierung für Nashörner, als auch auf die Möglichkeit, Eizellen, Sperma oder Gewebeproben sicher und beliebig lange in flüssigem Stickstoff zu lagern.
„Biobanking“ ist ein Garant dafür, dass dem Team Biomaterial zur Verfügung steht, um diese neuen Techniken zu entwickeln und sie an geeigneten Orten und zu geeigneten Zeiten einzusetzen.
„Wir können Sperma, das vor 20 Jahren in den USA gewonnen wurde, mit frisch in Kenia entnommenen Eizellen zusammenbringen, in Italien Embryonen erzeugen und diese wiederum in flüssigem Stickstoff lagern, bis wir sie in eine Leihmutter übertragen können“, sagt BioRescue-Projektleiter Prof. Thomas Hildebrandt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW).
„All das wäre ohne Kryokonservierung in Biobanken nicht möglich; wir bauen und nutzen also faktisch eine ‚Eisbrücke‘ über Raum und Zeit und überwinden die starke Fragmentierung des genetischen Erbes der Arten für unsere Mission.“
Diese neuen technologischen Möglichkeiten werfen jedoch ethische Fragen auf, die das BioRescue-Team durch die Anpassung und Erweiterung seines Ansatzes zur ethischen Risikobewertung für ART-Verfahren auf das Thema Biobanking angeht.
„Wenn durch den Einsatz neuer Technologien wie Biobanking Neuland für den wissenschaftsbasierten Erhalt der Artenvielfalt betreten wird, müssen wir sicherstellen, dass wir kluge und nachvollziehbare Entscheidungen für die Umwelt und das Ökosystem, für das Wohlergehen der beteiligten Tiere, für die Gesellschaft und ihre Institutionen und Regularien sowie für die gute wissenschaftliche Praxis treffen“, sagt Prof. Barbara de Mori von der Universität Padua, die den ethischen Forschungsschwerpunkt von BioRescue leitet.
Dazu gehören Aspekte wie
• die Auswahl des Biomaterials, das in den so genannten Genomforschungsbanken (genome research banks, GRBs) gelagert wird, um eine sicherzustellen, dass Individuen und Arten aus einer breiteren Artenschutzperspektive angemessen repräsentiert sind;
• das Wohlergehen aller beteiligten Tiere – von den Individuen, von denen Proben gewonnen werden, bis hin zu jenen Individuen, die die konservierten genetischen Informationen tragen werden oder als Leihmütter im Rahmen der assistierten Reproduktion fungieren; sowie
• die Eigentumsverhältnisse an Proben – wenn die Routinen zur Lagerung und der relativ einfache Transport die Türen für ausbeutungs-affine („kolonialistische“) Forschung und Nutzung („parachute science“) zugunsten westlicher Einrichtungen öffnen und den Export von biologischem und kulturellem Erbe auf Kosten lokaler Gemeinschaften befeuern, ohne dass für diese Teilhabe gesichert ist oder sie davon profitieren.
„Wir müssen sicherstellen, dass wir hohe wissenschaftliche und technische Standards einhalten, Missbrauch verhindern, unsere Forschungs- und Artenschutzaktivitäten mit der erforderlichen Transparenz durchführen und in komplexen ethischen Fragen der Gesellschaft genau zuhören. Die Antwort auf die Frage, was im Artenschutz getan werden sollte, wenn man neue Dinge tun kann, können wir nicht alleine beantworten“, fassen Hildebrandt und de Mori zusammen.
Um diese Fragen im Rahmen wissenschaftlicher Projekte zum Erhalt der Artenvielfalt zu klären, passte BioRescue sein bewährtes ethisches Bewertungsinstrument „ETHAS“ für das Biobanking verschiedener Arten von Biomaterialien wie Gewebe, Keimzellen und Embryonen sowie Zellkulturen an.
„ETHAS ist ein checklisten-basiertes, systematisches Selbstbewertungsinstrument, das Umwelt-, Tierschutz-, Sozial- und Forschungsethik für Biobanking-Verfahren abdeckt“, erklärt Dr. Pierfrancesco Biasetti vom Leibniz-IZW. „ETHAS verbindet und integriert alle ethischen und rechtlichen Überlegungen in einem einzigen Rahmenwerk und bietet damit eine klare, relativ einfach anzuwendende und standardisierte Methode zur Strukturierung und Organisation der ethischen Analyse und ethischen Entscheidungsfindung.“
Ziel ist es, die höchstmöglichen ethischen Standards mit einem praktischen Instrument zu gewährleisten, das in Standardarbeitsabläufe integriert werden kann.
Die ethische Bewertung von Biobanking-Aktivitäten steckt noch in den Kinderschuhen, resümiert das BioRescue-Team in dem wissenschaftlichen Aufsatz, ebenso wie die Integration von Genomforschungsbanken in das Management und die Erhaltungszucht von Wildtierarten, die von besonderem Interesse für den Artenschutz sind. Es bestehe ein dringender Bedarf, nicht nur die ethische Ausbildung von Wissenschaftler, Artenschützer und Biobanking-Praktiker zu verbessern, sondern auch die Einführung von Genomforschungsbanken als zentrale Strategie zur Unterstützung von Artenschutzzielen zu erleichtern.
Die Entnahme und Kyrokonservierung von Proben und die Entwicklung lebender Zelllinien könnten sich dann zu einem integralen Bestandteil von Artenschutzbemühungen entwickeln und müssten nicht, wie gegenwärtig, als Ausnahmen betrachtet werden – ebenso wie die ethische Bewertung und Begleitung dieser Verfahren.