Die weltweite Plastikproduktion hat so stark zugenommen, dass Plastik in der Umwelt allgegenwärtig geworden ist. Auch an der deutschen Nord- und Ostseeküste findet sich Plastik in unterschiedlichen Größen. Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern haben Forschende des AWIs mit dem Citizen Science-Projektes „Mikroplastikdetektive“ an Stränden entlang der gesamten deutschen Küste Proben gesammelt und auf Mikroplastik untersucht. Das Ergebnis ist ein Datensatz, der erstmals groß genug ist, um verlässliche Aussagen über die Belastung der gesamten deutschen Küste zu treffen.
Weltweit könnte sich die Plastikproduktion bis 2060 fast verdreifachen, wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schätzt. Das führt auch zu einer Anreicherung von Plastik in Gewässern, wo es in Mikroplastik zerfällt, also in Teilchen, die kleiner oder gleich fünf Millimeter sind.
„Diese unumkehrbare Plastikverschmutzung beeinträchtigt Arten, Populationen und Ökosysteme, auch an deutschen Küsten“, sagt Dr. Bruno Walther ehemals vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), nun an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Erstautor der nun erschienenen Studie.
Wie stark unsere Strände an der Nord- und Ostsee verschmutzt sind, ist bisher nur für einzelne Gegenden oder Orte untersucht worden, nicht aber für die gesamte deutsche Küste. „Deshalb haben wir das Bürgerforschungsprojekt ‚Mikroplastikdetektive‘ ins Leben gerufen, um Daten über die großräumige Verteilung der Mikroplastikverschmutzung an deutschen Küsten zu bekommen, die vergleichbar sind.“
Insgesamt konnte das Forschungsteam mit Hilfe der Bürgerforschenden 2,2 Tonnen Sand an 71 Orten entlang der deutschen Küste sammeln und damit eine Fläche von insgesamt 68,36 Quadratmetern beproben. „
Wir haben 1139 vergleichbare Proben zu einem großen Datensatz zusammengefügt. Das ist eine höhere geografische Abdeckung als je zuvor“, so Ko-Autorin und AWI-Biologin Dr. Melanie Bergmann.
Die Proben wurden dann am AWI getrocknet, gesiebt und unter dem Mikroskop nach Plastikpartikeln ab einem Millimeter Größe durchsucht. „Wir haben uns in dieser Studie bewusst auf großes Mikroplastik konzentriert, um eine Verunreinigung mit kleinen Mikroplastikteilchen über die Luft auszuschließen und die Probennahme für die Bürgerforschenden zu vereinfachen.“
Die Ergebnisse überraschten: „Obwohl wir an 52 von 71 Stränden Plastik gefunden haben, war die Belastung durch großes Mikroplastik an der Nord- und Ostsee mengenmäßig geringer im Vergleich zu anderen Studien“, erklärt Bruno Walther. „Hätten wir kleinere Mikroplastikteilchen mit untersucht, wären wir sicherlich auf deutlich höhere Konzentrationen gekommen“ , ergänzt Melanie Bergmann. In früheren Untersuchungen des AWI in der Nordsee und Arktis machte Mikroplastik, das kleiner als einen Millimeter ist, über 90 Prozent des gefundenen Mikroplastiks in Sedimenten aus. „Außerdem wählten wir die Beprobungsorte am Strand zufällig aus, anstatt uns auf Anreicherungszonen wie den Spülsaum zu konzentrieren.“ Auch dies könnte Unterschiede erklären.
Von den 1139 untersuchten Proben enthielten 177 insgesamt 260 Plastikpartikel. Das entspricht im Durchschnitt etwa vier Plastikteilchen pro Quadratmeter. Bei einem zehn Hektar großen Strand wären das schon 400.000 Plastikteilchen. Die Analyse zeigt aber auch, dass die Belastung mit Mikroplastik je nach Standort stark variiert.
Wie gut greifen politische Maßnahmen, wo muss nachjustiert werden?
„Unsere Studie liefert erstmals vergleichbare Daten zur großräumigen Verteilung der Plastikbelastung entlang der gesamten deutschen Küste mit einheitlichen Methoden“, betont Melanie Bergmann. Diese sind unter anderem notwendig, um den Status quo zu kennen und den Erfolg politischer Maßnahmen zur Begrenzung der Plastikverschmutzung beurteilen zu können.
So deuten Monitoring Ergebnisse beispielsweise darauf hin, dass Gesetzesänderungen dazu geführt haben könnten, dass in den letzten 25 Jahren weniger Plastiktüten auf dem Meeresboden in Nordwesteuropa gefunden wurden. „Wir brauchen strengere Vorgaben, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und verbindlich regeln, wie wir Plastik vermeiden, verringern und verwerten.“ Konkret ginge es um Maßnahmen, welche die Herstellung und Verwendung von Plastik auf unverzichtbare Anwendungen beschränken, gefährliche Inhaltsstoffe verbieten, die Abbaubarkeit in der Natur erhöhen und so einen echten Kreislauf ermöglichen.
„Mikroplastikdetektive“ zeigt auch, dass sich Monitoringprogramme bewähren, die Bürgerinnen und Bürger für eine breite und zeitnahe Datenerhebung einbeziehen. Denn das Interesse, die Wissenschaft gegen die Plastikverschmutzung zu unterstützen, ist riesig: „Wir waren überrascht, wie viele Bürgerforschende mit vollem Enthusiasmus mehrere Stunden am Strand verbrachten, um die Proben gewissenhaft zu sammeln, sie zu verpacken und zu versenden. Dafür bedanken wir uns ganz herzlich“, so Bruno Walther.
„Das ideale Ergebnis unseres Projekts wäre, dass es als Blaupause für ein langfristiges und räumlich noch dichteres Monitoring zur Mikroplastikbelastung an deutschen Sandstränden dient“, ergänzt Melanie Bergmann. „Nur so können wir die Maßnahmen überprüfen und anpassen, die wir dringend brauchen, um die Plastikflut und ihre negativen Folgen für unsere Küstenumwelt, den Tourismus und die menschliche Gesundheit anzugehen.“ Das Projekt „Mikroplastikdetektive“ ist inzwischen ausgelaufen. Bürgerforschende können sich jedoch weiter an Aktionen beteiligen: So können beispielsweise Schülerinnen und Schüler beim Citizen Science Projekt „Plastikpiraten“ dabei helfen, Daten über die Plastikverschmutzung an Küsten und Flüssen zu erheben.