Internationale Forschende unter Beteiligung der TU Graz haben anhand von Radardaten ermittelt, welche Gletscher in Hochasien in welchen Jahreszeiten wachsen oder schrumpfen. Für Teile Zentralasiens und des Himalayas widersprechen die Erkenntnisse bisherigen Annahmen.
Gletscher sind dynamische Gebilde: Im Jahresverlauf wechseln sich Phasen des Massenzuwachses insbesondere durch Schneefall mit Perioden ab, in denen die Gletschermasse schrumpft. Je nach Zeitpunkt der Massenzuwächse ordnet die Forschung Gletscher einem sogenannten Akkumulationsregime zu.
In den Alpen ist die Winterakkumulation vorherrschend, in den Hochgebirgen Asiens gibt es, abhängig von saisonalen Niederschlägen und der Temperatur, sowohl Regionen mit Winter- als auch solche mit überwiegend Sommerakkumulation.
Durch eine neue Methode gelingt die Zuordnung zu diesen Regimen zuverlässiger als bisher: Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung von Tobias Bolch vom Institut für Geodäsie der TU Graz hat Radardaten der europäischen Sentinel-1-Satelliten genutzt, um die Firn-, Schnee- und Eisgrenzen der asiatischen Gletscher im Jahresverlauf zu vermessen und daraus deren Akkumulationsregime abzuleiten. Während sich die Erkenntnisse in weiten Teilen mit den vorherrschenden Modellen decken, sind sie im östlichen Pamir, dem Tian Schan, im Kunlungebirge und Teilen des östlichen Himalayas anders als bislang angenommen.
Relevant ist das Akkumulationsregime aus zwei Gründen: Zum einen haben Gletscher, die überwiegend im Sommer wachsen, seit der Jahrtausendwende deutlich mehr Eismasse verloren als Gletscher mit Winterwachstum. Zweitens fließen Akkumulationsregime in die Modellierung der Massenbilanzen von Gletschern und des Gletscherabflusses ein.
Radarrückstreuung verrät genauen Verlauf der Schneeline
Im Rahmen ihrer Untersuchungen haben die Forschenden hochauflösende Daten der Sentinel-1-Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation ESA ausgewertet, die alle zwölf Tage die gesamte Erdoberfläche per Radar abtasten.
„Die Rückstreuungswerte verändern sich, je nachdem ob das Radarsignal auf Gestein, Eis, Firn, feuchten oder frisch gefallenen Schnee trifft“, erläutert Tobias Bolch.
Aus diesen Rückstreuungswerten haben die Forschenden für mehrere Jahre die Schneeverhältnisse auf den Gletschern rekonstruiert und dadurch deren Akkumulationsregime bestimmt. Für die Gletscher im östlichen Pamirgebirge etwa galt bislang die Annahme, dass die Hauptniederschläge und damit der saisonale Massenzuwachs im Sommer stattfinden. Die Analyse der Radardaten ergab nun aber, dass der Eiszuwachs in den Wintermonaten erfolgt.
Verbesserte Prognosen von Massenbilanzen und Schmelzwasserabflüssen
Warum die Radaranalyse den bestehenden Annahmen in Teilen widerspricht, erklärt Bolch so:
„In den asiatischen Hochgebirgen gibt es nur sehr wenige Wetterstationen. Niederschläge werden meist in Tal- oder Beckenlagen gemessen, daraus werden die Wetterverhältnisse an den Gletschern berechnet. Das führt zu Ungenauigkeiten, denn das Wetter in den höheren Lagen der Gebirge wird stark geprägt durch die globalen Zirkulationssysteme, in Tal- und Beckenlagen ist der Einfluss lokaler Bedingungen wesentlich größer.“
Die radargestützte Analyse der Schneeverhältnisse hingegen liefert flächendeckend verlässliche, hochauflösende Informationen zu den Niederschlagsverhältnissen selbst in entlegenen Hochgebirgsregionen und verbessert dadurch die Prognosen zur Massenbilanz der Gletscher. Das trägt dazu bei, die Auswirkungen von Klimaveränderungen, etwa auf den Schmelzwasserabfluss, besser vorhersagen zu können.