Alpine Pflanzen aufwerten und ihre funktionellen Eigenschaften hervorheben: Das ist das Ziel des grenzüberschreitenden Projekts NETTLE, das von der Freien Universität Bozen koordiniert wird. Ein vielversprechendes Forschungsfeld mit Anwendungen im Pharma- und Lebensmittelbereich.
Das bekannte Hippokrates-Zitat „Lass Nahrung deine Medizin sein und Medizin deine Nahrung“ steht stellvertretend für das wiedererwachte Interesse an Heilpflanzen, das sich auch in einer steigenden Zahl an Studien über ihre heilenden Eigenschaften widerspiegelt. Eine davon: das Projekt NETTLE, das vom europäischen Programm Interreg Italien-Österreich finanziert wird. Ziel es ist, den Wert alpiner Pflanzen für die Bevölkerung, Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu entdecken und wieder zu entdecken.
NETTLE ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen der Freien Universität Bozen, der Universität Udine und der Universität Salzburg. Die drei Universitäten tauschen ihr Wissen und bereits gesammelte Erfahrungen aus, beginnend bei der Ernte der wertvollen Pflanzen in ihrer natürlichen Umgebung.
Das Projektziel ist der Aufbau einer öffentlich zugänglichen Datenbank, in der Interessierte – von Privatpersonen bis hin zu Institutionen – fundiertes Wissen über die Eigenschaften alpiner Pflanzen finden können. Ein Beispiel dafür ist die Schafgarbe, eine Pflanze, die auf vielen Almwiesen wächst, aber wenig bekannt ist.
Die Liste ihrer medizinischen Eigenschaften ist lang: Sie wird nicht nur als Beruhigungsmittel und Antidepressivum verwendet, sondern auch zur Entgiftung des Körpers, zur Schmerzlinderung und sogar als Gewürz in der Küche. Wesentlich bekannter ist die Brennnessel: Sie ist reich an Eisen und stark harntreibend, wird zur Stärkung des Immunsystems eingesetzt und eignet sich besonders gut für typische Gerichte aus Südtirol und Österreich wie Knödel und Spätzle.
„Unser Projekt zielt darauf ab, Unternehmen, der breiten Öffentlichkeit und Forschungseinrichtungen in den beteiligten Regionen die notwendigen Kompetenzen für die Vermarktung und Verwendung von natürlichen Extrakten aus alpinen Pflanzen zu vermitteln“, erklärt Giovanna Ferrentino, Professorin an der Fakultät für Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften der unibz und Projektleiterin von NETTLE.
Projektphasen
NETTLE startete im Februar dieses Jahres und umfasst mehrere Projektphasen. Forschende der Universitäten Bozen und Salzburg werden unter der Leitung von Prof. Stefan Zerbe, Botaniker an der Fakultät für Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften der unibz, rund 30 alpine Pflanzenarten sammeln, die typisch für den alpinen Raum der beiden Länder sind. In Südtirol werden die Pflanzen auf den Wiesen des „Kräuterschlössls“ in Goldrain gesammelt, das sich seit Jahren dem biologischen Anbau von Heil- und Aromapflanzen widmet.
Nach der Ernte und Trocknung der Pflanzen wird der Extraktionsprozess gestartet. In dieser Phase vergleichen die Forschenden die Wirksamkeit traditioneller Verfahren wie der Extraktion mit organischen Lösungsmitteln mit umweltfreundlicheren und innovativeren Methoden wie der Verwendung von überkritischem CO2, Ultraschall und gepulsten elektrischen Feldern.
Die gewonnenen Extrakte werden anschließend auf menschlichen Zelllinien getestet, um ihre antioxidativen, antimikrobiellen, entzündungshemmenden und wundheilenden Eigenschaften zu bewerten. Neben den pharmazeutischen Eigenschaften wird auch die antioxidative Wirkung der Extrakte in Lebensmitteln bewertet.
„Diese Extrakte könnten als natürliche Konservierungsmittel eingesetzt werden, da ihre Verwendung in pflanzlichen Ölen wie Sonnenblumen- und Leinöl oder in tierischen Fetten wie Speck deren Oxidation und damit das ‚Ranzigwerden‘ verlangsamen könnte“, erklärt Ferrentino.
In diesem Sinne soll das Projekt neue Impulse für lokale Unternehmen bringen und gleichzeitig zur Erhaltung der alpinen Biodiversität im transalpinen Raum beitragen sowie den Wert der Natur für die Wirtschaft und Gesellschaft der beteiligten Regionen unterstreichen.