Ein internationales Forscherteam hat den Wegen von Textilabfällen in neun wohlhabenden Städten auf drei Kontinenten nachgespürt. Die kürzlich in Nature Cities veröffentlichte Studie beleuchtet den Umgang dieser Städte mit Alttextilien und schlägt Maßnahmen vor, um die Abfallmengen zu reduzieren und Recyclingkreisläufe zu fördern. Als eine der untersuchten Städte könnte Berlin eine Vorreiterrolle übernehmen – allerdings nur mit den richtigen Strategien.
Textilabfälle haben in den vergangenen Jahren aufgrund des globalen „Fast Fashion“-Trends massiv zugenommen. Günstige, kurzlebige Mode sorgt für steigende Konsum- und Entsorgungsraten: Seit 2000 hat sich der globale Textilabfall auf 92 Millionen Tonnen pro Jahr verdoppelt, von denen nur 0,5 Prozent recycelt werden. In Europa und Australien gehen die meisten Alttextilien als Exporte nach Afrika und Asien, wo die Entsorgungskapazitäten oft unzureichend sind. Die Wissenschaftler warnen vor den sozialen und ökologischen Folgen, die sich insbesondere für ärmere Länder daraus ergeben – ein Problem, das auch als „Abfallkolonialismus“ bekannt ist.
Wenig Forschung zu wachsendem Abfallstrom
Textilabfälle stellen eine neue Herausforderung dar, die von der Forschung bislang wenig beachtet wurde. „Früher wurde Kleidung bis zur völligen Unbrauchbarkeit getragen oder biologisch abgebaut“, erklärt Dr. Samira Iran von der TU Berlin, eine der beteiligten Forscher*innen im ausführlichen Interview https://www.tu.berlin/go274621/ zu der Studie. „Heute sind synthetische Fasern und chemische Beschichtungen weit verbreitet, was das Volumen an nicht biologisch abbaubaren Textilien steigen lässt.“ Die bisherigen Studien konzentrierten sich vor allem auf industrielle Textilabfälle – private Altkleider wurden kaum erforscht.
Gemeinsamkeiten und Herausforderungen in verschiedenen Städten
Die Studie zeigt, dass in den meisten Städten Wohltätigkeitsorganisationen und private Wiederverkäufer die Sammlung und Sortierung von Alttextilien übernehmen. Stadtverwaltungen spielen dabei meist eine passive Rolle, indem sie lediglich Flächen oder Lizenzen zur Verfügung stellen. In Amsterdam hingegen werden die Textilabfälle direkt von einem städtischen Unternehmen verwaltet – ein Modell, das den Forschern zufolge mehr Transparenz und Kontrolle ermöglicht. Die Wiederverwendungsquoten der gesammelten Textilien sind in allen untersuchten Städten jedoch gering: In Luxemburg liegt sie bei nur 3-4 Prozent, in Genf bei etwa 5 Prozent und in Oslo bei lediglich 0,03 Prozent.
Berliner Perspektiven für nachhaltige Textilwirtschaft
Für Berlin, wo eine breite Sammlung durch gemeinnützige und private Organisationen besteht, bieten sich gute Möglichkeiten, nachhaltige Kreislaufwirtschaft für Textilien zu fördern. Die Forscher*innen empfehlen, ein stadtweites System zur getrennten Textilsammlung aufzubauen. Damit könnten die neuen EU-Vorgaben erfüllt werden, die ab 1. Januar 2025 eine verpflichtende Trennung von Textilabfällen vorsehen. Auch die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) könnten laut der Studie stärker in die Textilsammlung eingebunden werden.
Empfehlungen für ein nachhaltiges Textilsystem
Um die Herausforderungen des wachsenden Textilabfalls zu meistern, empfiehlt die Studie ein dreiteiliges Konzept:
1. Reduzierter Textilkonsum: Modewerbung im öffentlichen Raum zu beschränken, Slow-Fashion-Initiativen zu fördern und Freizeitshopping durch attraktivere öffentliche Plätze und Parks zu ersetzen, könnten helfen, den Konsum von Fast Fashion einzudämmen.
2. Stärkere lokale Wiederverwendung: Die Stadtverwaltung könnte lokale Akteur*innen wie Secondhand-Läden und Repair-Cafés stärker unterstützen und Bildungsprogramme zum Erlernen von Näh- und Reparaturtechniken anbieten.
3. Vermeidung von Textilentsorgung und -exporten: Durch Investitionen in lokale Sortier- und Recyclinganlagen könnte die Stadt langfristig den Textilkreislauf schließen und die Menge exportierter Abfälle reduzieren.