Besseres Stadtgrün durch radikalen Rückschnitt

Das Versuchsfeld des Fachgebiets Vegetationstechnik und Pflanzenverwendung in Berlin-Dahlem: Auf 54 Parzellen wurde der Blut-Trompetenbaum, ein Gehölz, mit Stauden wie dem Garten-Reitgras kombiniert. Kevin Fuchs

„Das Stadtgrün ist von unschätzbarem Wert als Lebensraum für Pflanzen und Tiere und ebenso wichtig für Klima, Luft und Boden“, heißt es in der „Charta für das Berliner Stadtgrün“, einer Selbstverpflichtung des Landes Berlin. Berlins Stadtgrün trage maßgeblich „zur Qualität und Attraktivität von Berlin als Lebens-, Wohn-, Arbeits-, Freizeit- und Wirtschaftsstandort sowie als Reiseziel bei“ und sei ein „schützenswertes Erbe“.

Doch in der Charta bekennt Berlin auch, dass „in den zurückliegenden Jahrzehnten in der Pflege und Unterhaltung der Grünanlagen, Personal und Sachmittel eingespart“ wurden und die „Pflege nicht im notwendigen Maß durchgeführt werden“ konnte. Viele öffentliche Parkanlagen, Sport- und Spielplätze Berlins bedürften einer Grundinstandsetzung und Ertüchtigung, heißt es in der Charta.

Unüblich: Coppicing-Technik

Wie städtisches Grün angesichts finanzieller und personeller Notlagen der Kommunen pflegearm, artenreich und robust gestaltet werden kann, daran forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am TU-Fachgebiet Vegetationstechnik und Pflanzenverwendung seit Jahren. Dominic Wachs hat die Entwicklung widerstandsfähiger und langlebiger (selbsterneuernder) Pflanzengemeinschaften unter Einfluss von mittlerer Störung am Beispiel des Coppicingsystems“ untersucht. Besonders interessierte ihn die Frage , ob sich aus der Kombination von Stauden mit Gehölzen pflegearme, artenreiche und robuste Pflanzengemeinschaften bilden.

Dabei werden die Gehölze mit der Coppicing-Technik, einer radikalen Schnittmethode, die unüblich ist, regelmäßig zurückgeschnitten. Im Fachjargon heißt das „auf den Stock gesetzt“. Diese Pflanzengemeinschaften sollen dem Umstand Rechnung tragen, dass Kommunen für städtisches Grün weniger Geld zur Verfügung haben, gut ausgebildetes Fachpersonal fehlt und der Klimawandel andere Anforderungen an die Flora im urbanen Umfeld stellt.

54 Parzellen auf dem Versuchsstandort in Berlin-Dahlem

2018 legte er auf dem Versuchsstandort der TU Berlin in Berlin-Dahlem 54 Parzellen an. Jede Parzelle hat eine Größe von neun Quadratmetern. Es gibt 18 Parzellen, die mit sechs Staudenarten und dem Gehölz Catalpa x erubescens ‘Purpurea‘ (Blut-Trompetenbaum) bepflanzt wurden. Das war das Grundmodul.

Die Stauden wurden nach verschiedenen Strategie- und Funktionstypen ausgewählt. Dominic Wachs entschied sich für Stauden der Strategietypen Flächenbesetzung, moderate Stressanpassung, Flächenbedeckung, Lückenbesetzung und Stressvermeidung. Bei den Funktionstypen wählte er Gerüstbildner, Begleitstauden, Bodendecker, Füllstauden und Geophyten (Zwiebel- oder Knollenpflanzen).

Das Grundmodul wurde um sechs Staudenarten sowie um zwölf Staudenarten erweitert. Es bestehen also 18 Parzellen mit sechs Staudenarten, 18 Parzellen mit zwölf Staudenarten und 18 Parzellen mit 18 Staudenarten. Des Weiteren gibt es in den jeweils 18 Parzellen jeweils sechs Parzellen mit zwei, vier und fünf Gehölzen. Bei 27 Parzellen wurden die Gehölze jährlich stark zurückgeschnitten; in der anderen Hälfte jedes zweite Jahr.

Rückschnitt verhindert Dominanz des Blut-Trompetenbaums

Dadurch, dass Dominic Wachs unterschiedliche Stauden-Strategietypen miteinander mischte, entstand eine starke Schichtung der Pflanzen, denn Pflanzen wachsen nicht nebeneinander, sondern übereinander. Diese Schichtung bewirkt, dass der Boden dauerhaft bedeckt ist, Feuchtigkeit speichert und Unkräuter es schwer haben, sich anzusiedeln, was den Pflegeaufwand reduziert. Das ist ein wichtiges Ergebnis.

Der Landschaftsarchitekt Dominic Wachs auf seinen Forschungsparzellen zwischen der Staude, dem Garten-Reitgras, und dem Blut-Trompetenbaum (im Hintergrund). Kevin Fuchs

Ein zweites wichtiges Ergebnis ist, dass trotz Pflanzung einer dominanten Art wie des Gehölzes Catalpa x erubescens ‘Purpurea‘ eine höhere Artenvielfalt erzielt wird, wenn die Gehölze alle zwei Jahre geschnitten werden. Bisher erweisen sich die Parzellen mit einer geringeren Gehölzdichte und dem jährlichen Schnitt als pflegeärmer. Kurzlebige, sich durch Aussaat erhaltende Arten verschwanden in diesen Parzellen dafür fast gänzlich. Dagegen blieb die Artenanzahl in den Parzellen mit einem zweijährigen Schnittrhythmus erhöht und die Pflege war im Durchschnitt etwas aufwändiger. Insgesamt jedoch ist der Pflegeaufwand in beiden Varianten als gering einzustufen.

„Schwankende Umweltbedingungen habe ich zudem sowohl durch den jährlichen als auch den zweijährigen bodentiefen Rückschnitt der Gehölze erzeugt. Die Gehölze wachsen auf und erzeugen Schatten. Dann wiederum entstehen durch den Rückschnitt sonnigere Flächen. Der Rückschnitt der Gehölze verhindert, dass diese in den Parzellen zu dominant werden und die Stauden sich nicht entwickeln können. Auch stellt er eine Störung in diesem kleinen Ökosystem dar.“

Weiter sagt er: „Dass durch diese Störung übernimmt keine Pflanzenart die Herrschaft. Es bildet sich ein pflanzliches Habitat der ‚friedlichen Koexistenz‘, in dem sich viele Arten entwickeln können. Die höhere Biodiversität macht Pflanzengemeinschaften resilienter gegen Schwankungen wie Trockenheit, Hitze oder Starkregen. Denn ich habe Staudenarten gewählt, die mit diesen unterschiedlichen Umweltbedingungen unterschiedlich gut zurechtkommen. Wenn zum Beispiel in einem sehr trockenen Jahr der Oxford-Storchschnabel (Geranium x oxonianum) ausfällt, weil er an Trockenheit nicht gut angepasst ist, dann kann die Gold-Wolfsmilch (Euphorbia polychroma) diesen Ausfall ausgleichen, da ihr Trockenheit weniger ausmacht“.

Der Natur abgeschaut

Das Prinzip der Störung einer Pflanzengemeinschaft ist der Natur abgeschaut. Die in der Prärie zuweilen ausbrechenden Feuer drängen Gehölze zurück. So haben auch andere Pflanzenarten eine Chance. „In unserer Forschung am Fachgebiet lassen wir uns von der Frage leiten, wie die Prinzipien der Natur auf ein gärtnerisches System übertragen werden können“, so der Landschaftsarchitekt und Garten-Landschaftsbauer.

Sein 2018 gestartetes Forschungsprojekt, Stauden und Gehölze miteinander zu kombinieren, beruht auf der Idee des Coppicing des britischen Wissenschaftlers Nigel Dunnett. „Coppice bedeutet Niederwaldwirtschaft. Nachdem in Europa im Hochmittelalter die Wälder abgeholzt waren, die Menschen aber weiterhin Brenn- und Baumaterial brauchten, nutzten sie Baumarten wie zum Beispiel Ahorn, Linde und Hainbuche, die, wenn man sie beschnitt, wieder austrieben. Dunnet begann in den 1990er-Jahren, Gehölze der Niederwälder mit Stauden zu mischen. Auch sein Motiv war es, pflegearme Pflanzengemeinschaften zusammenzustellen, die sich für städtische Grünflächen eignen“, sagt Dominic Wachs.