Im Rahmen des EIC Pathfinder-geförderten Forschungsprojekts „Universal Timber Slab“ entwickeln Wissenschaftlern der Universität Stuttgart digitale Planungs- und Fertigungsmethoden für neuartige Holzdecken. Sie sollen mehr Einsatzmöglichkeiten für den Holzbau in Innenstädten schaffen, Stahlbetondecken Konkurrenz machen und damit Nachhaltigkeit im Bauwesen vorantreiben.
In Innenstädten müssen Gebäude bestimmten Anforderungen entsprechen. Sie sollten zum Beispiel eine Mischnutzung zulassen: Handel und Gastronomie im Erdgeschoss, Büros und Wohnungen in den darüberliegenden Geschossen. Sie sollten zudem langfristig ohne große Mühen umnutzbar sein.
Diese Flexibilität ist technisch nur mit punktgestützten Decken zu verwirklichen. Punktgestützt bedeutet, dass in den einzelnen Etagen in größerem Abstand zueinander Stützen aufgestellt sind, die die gesamten Lasten des Gebäudes tragen. Tragende Zwischenwände werden so nicht mehr benötigt. Dadurch ergibt sich ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit beim Gebäudeentwurf: Die Wände lassen sich von Geschoss zu Geschoss unterschiedlich anordnen. Dies wiederum ist die Grundvoraussetzung für Mischnutzungen – denn Handel, Gastronomie, Büros und Wohnungen brauchen jeweils unterschiedliche Raumaufteilungen.
Neuer Typ punktgestützter Holzdecke
Solche räumlich vielfältig genutzten mehrgeschossigen Gebäude werden aktuell noch vorwiegend mit punktgestützten Stahlbetondecken gebaut. Hans Jakob Wagner, Wissenschaftler am Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) der Universität Stuttgart, will das ändern. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Universal Timber Slab“ entwickelt er mit einem multidisziplinären Team einen neuen Typ punktgestützter Holzdecken, bei der es bestimmte Konstruktionsnachteile nicht mehr gibt.
Das Problem war bisher, dass punktgestützte Holzdecken aus Holzprodukten gefertigt werden, bei denen die Fasern immer linear, also geradlinig verlaufen. „Der Kraftfluss in einer punktgestützten Decke läuft allerdings aus allen Richtungen kurvenförmig jeweils zur Stütze hin“, erklärt Wagner. Das eine passt nicht zum anderen, was punktgestützte Decken immens schwächt.
Komplexe Geometrien erforderlich
Um dennoch die notwendige Stabilität zu erreichen, werden punktgestützte Holzdecken bisher mit viel Material, zu hohen Kosten und großen Konstruktionshöhen angefertigt. Daher rechnen sich herkömmliche punktgestützte Holzdecken nur dann, wenn die Bauteile regelmäßige Rechtecke sind, weil in diesem Fall relativ wenig Verschnitt anfällt.
Diese einfache Form ist die einzige wirtschaftlich konkurrenzfähige. In Innenstädten sind jedoch komplexere Geometrien erforderlich, das heißt Gebäude mit einem unregelmäßigen vieleckigen Grundriss, der möglichst genau in das vorhandene, meist knapp bemessene Baugrundstück hineinpasst. Daher kommen dort Stahlbetondecken zum Einsatz, die sich zu niedrigeren Kosten in jede gewünschte Form gießen lassen.
Schlank, wirtschaftlich und flexibel
Diese technischen und ökonomischen Hindernisse will Wagner beseitigen. Er hat einen neuartigen, digitalen und robotisch unterstützten Planungs- und Produktionsprozess konzipiert. Hierbei verwendet er liegendes Brettschichtholz. Hier werden die Holzbretter beim Stapeln gebogen, so dass die Holzfasern nicht mehr geradlinig verlaufen. Sie folgen jetzt genau den Kraftflüssen in der punktgestützten Decke.
„Dies macht die ganze Tragstruktur besonders leistungsfähig“, so Wagner. „Wir können damit Decken bauen, die 30 Prozent dünner sind als herkömmliche Brettsperrholzdecken, und sparen viel Material.“
Die Methode erlaubt es zudem, passend zu jedem beliebigen Baugrundstück individuelle unregelmäßige Vielecke herzustellen, und zwar ohne viel Verschnitt. Das bedeutet: Die neuen punktgestützten Holzdecken haben das Potenzial, trotz komplexer Geometrie langfristig kostengünstiger herstellbar zu sein als alternative Holzkonstruktionen.
Neue Möglichkeiten für den Holzbau in Städten
„Punktgestützte Holzdecken können so auch in städtischen Gebäuden mit Mischnutzungen wirtschaftlich konkurrenzfähig werden“, sagt Wagner. „Dem Holzbau, der ökologischer und auch in punkto Raumklima besser ist als der Stahlbetonbau, öffnen sich so ganz neue Möglichkeiten“. Die im Rahmen von „Universal Timber Slab“ entwickelte Methode macht Gebäude zudem kompakter. Im Vergleich zu herkömmlichen punktgestützten Holzdecken sparen die schlanken Decken 30 bis 70 Zentimeter Konstruktionshöhe ein. Bei gleicher Raumhöhe reduziert sich daher die Fassadenfläche des Gebäudes um bis zu 20 Prozent.