Alltagsmobilität und Bildungsgrad

Menschen mit Hochschulabschluss wohnen häufiger in großen Städten und dort in zentralen Wohnvierteln mit guter Infrastruktur. Ihre Alltagswege sind daher im Durchschnitt 17 Prozent kürzer als die von Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss. So haben sie mehr Zeit für Mobilitätsformen, die umweltfreundlicher, aber langsamer sind. Das zeigt eine Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), die auf Daten zur Alltagsmobilität beruht.

Frühere Forschungen führten das umweltfreundliche Mobilitätsverhalten von Akademiker*innen oft auf ein höheres Umweltbewusstsein zurück – neben den besseren finanziellen Möglichkeiten. Die WZB-Studie zeigt nun erstmals, dass auch räumliche Vorteile, wie eine zentrale Wohnlage, einen entscheidenden Einfluss haben.

Für die Untersuchungen wurden Daten für die Jahre 2002 und 2017 ausgewertet. In diesem Zeitraum hat sich der Trend zu zentralem Wohnen unter formal höher Gebildeten weiter verstärkt. Menschen mit Hochschulabschluss wohnen im Jahr 2017 drei Mal häufiger als Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss in Großstädten (Abbildung 1).

In weiteren Analysen aller Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern zeigt sich, dass Personen mit Hochschulabschluss im Vergleich zu Menschen ohne Abitur 1,37 Kilometer näher am Stadtzentrum wohnen (Abbildung 2).

Dadurch sind ihre Alltagswege zwischen 11 und 20 Prozent kürzer als die von formal niedriger Gebildeten. Dies ermöglicht es ihnen, Alltagswege, etwa zu Besorgungen oder Freizeitaktivitäten, in kürzerer Zeit zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Nahverkehr zu erledigen, also nicht auf das Auto angewiesen zu sein. Bei Arbeitswegen zeigt die Studie keinen Unterschied. Doch auch dies könnte sich ändern: Mit Zunahme des Homeoffice könnten gerade für höhergebildete Personen Arbeitswege weniger werden, vermuten die Autoren.

„Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass nachhaltige Mobilität oft weniger eine bewusste Entscheidung ist, sondern schlicht mit dem privilegierten Zugang zu zentralen Stadtlagen zu tun hat, der sich aus der Wohnortwahl ergibt“, erklärt WZB-Forscherin Sarah George. Ihre Kollegin Katja Salomo gibt zu bedenken: „Wir sehen unterschiedliche Erfahrungswelten. Privilegierte können nachhaltige Mobilitätsentscheidungen mit geringeren zeitlichen Kosten leichter treffen, weniger Privilegierte jedoch nicht. Das erschwert einen gesellschaftlichen Konsens, den die Mobilitätswende braucht.“

Die Untersuchung basiert auf Daten zur Alltagsmobilität und umfasst 16.419 Wege von 4.168 Personen im Jahr 2002 sowie 102.774 Wege von 26.036 Personen im Jahr 2017. Die Daten sind repräsentativ für deutsche Bewohnern in großen Städten im Alter von 18 bis 59 Jahren.