Auch die Alpen sind durch Nanoplastik verschmutzt

Bergsteiger entnehmen Proben aus einem Gletscher. Zoe Salt

Nanoplastik, also Plastikteilchen mit einer Größe von weniger als 1 Mikrometer, ist aufgrund seines geringen Gewichts weltweit verteilt. Ein vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) koordiniertes Forschungsteam hat nun im Fachmagazin Scientific Reports einen Artikel veröffentlicht, der zeigt, wie stark Gletscher in mehr als 3.000 Meter Höhe in den Alpen durch Nanoplastik verschmutzt sind. Die Forschenden setzten bei der Datenerhebung auf Citizen Science: Bergsteigern sammelten die Proben auf den Gletschern.

Nanoplastik entsteht vor allem durch den Abbau von Makro- und Mikroplastik in der Umwelt – durch abiotische und biotische Zersetzungsprozesse etwa durch Enzyme, Oxidation, Hydrolyse oder mechanischen Abrieb. Welchen Beitrag Makro- und Mikroplastik zur Umweltverschmutzung leisten, ist bereits recht gut erforscht.

Deutlich weniger weiß man über die kleineren Nanoplastikpartikel, dabei bergen sie für den Menschen noch mehr Risiken:

„Die winzigen Plastikteilchen sind gefährlich, weil sie im Unterschied zu Mikroplastik nicht gefiltert werden. Der Mensch atmet die Partikel ein, aufgrund ihrer geringen Größe durchdringen sie Membranen und können in den Blutkreislauf gelangen“, sagt Dr. Dušan Materić, Projektleiter und Chemiker am UFZ.

Dass die Nanopartikel aufgrund ihres geringen Gewichts durch die Atmosphäre über weite Strecken transportiert werden können, liegt auf der Hand. Doch noch fehlen globale Studien, die zeigen, wie sich ihr Vorkommen in weit von industriellen und dicht besiedelten Hotspots entfernten Regionen erklären lässt. Dušan Materić und seine Kollegen gingen in ihrer Forschungsarbeit der Frage nach, in welchem Ausmaß beispielsweise Gletscher in den Alpen mit Nanopartikeln belastet sind und aus welchen Quellen sie kommen.

Zuerst mussten die Forscher jedoch an das entsprechende Probenmaterial aus 3.000 Metern Höhe kommen.

„Für Forschende ist es eigentlich kaum möglich und oft auch zu gefährlich, in diese Regionen zu gelangen. Es braucht nicht nur die Zeit für längere Exkursionen und besondere Ortskenntnisse, sondern vor allem körperliche Voraussetzungen, um schwer bepackt mit einem Rucksack mehrere Tage auf Gletschern unterwegs zu sein“, sagt die Erstautorin Leonie Jurkschat.

Die Wissenschaftler kooperierten deswegen mit einem Team von Bergsteigern. Entlang des historischen Alpenwegs High Level Route von Chamonix (Frankreich) nach Zermatt (Schweiz) sammelten sie abseits touristischer Wanderströme an 14 Standorten in Frankreich, Italien und der Schweiz Schnee und Eis von den Gletschern und schickten die Proben anschließend zur Analyse ans UFZ.

„Die Bergsteiger entnahmen das Eis aus der obersten Schicht des Gletschers, weil wir die Belastung durch Nanoplastik in den vergangenen Wochen analysieren wollten“, erläutert Dušan Materić.

Damit das Alpinistenteam die Proben nicht unbeabsichtigt verunreinigte, schulten die UFZ-Forschenden es zuvor umfangreich in Online-Workshops.  So sollten die Kletterer beispielsweise neue Kleidung und neue Seile nutzen, der Probenehmer sollte stets der erste in der Seilschaft sein und die Probenahme sollte möglichst schnell erfolgen, um Kontaminationen zu verhindern.

Bei der Analyse der Proben im UFZ nutzten die Forschenden ein hochauflösendes Protonentransfer-Reaktions-Massenspektrometer (PTR-MS), das, mit thermischer Desorption (TD) gekoppelt, die Konzentrationen von organischen Spurengasen misst. Mit dem TD-PTR-MS wird das vorhandene Plastik in den Proben verbrannt. Der Massenspektrometer quantifiziert die bei der Erhitzung freigesetzten Gase. Da jedes Polymer eine Art Fingerabdruck von Gasen erzeugt, lassen sich Identität und Konzentration ermitteln.

So fanden die UFZ-Forschenden in den Gletscherproben vor allem Reifenabrieb sowie die Kunststoffe Polyethylen und Polystyrol, deutlich seltener dagegen Polyethylenterephthalat (PET). Insgesamt konnten sie nur an fünf von 14 Standorten Nanoplastik nachweisen. „Das zeigt, dass nicht alle Bereiche eines Gletschers verschmutzt werden. Dort wo der Wind besonders stark ist, werden die Nanopartikel weggeblasen und lagern sich an windgeschützteren Bereichen des Gletschers wieder an“, erklärt Dušan Materić die Unterschiede. Die Nanoplastik-Konzentrationen an den fünf Standorten lagen zwischen 2 und 80 Nanogramm pro Milliliter Schmelzwasser.

Wissen wollten die UFZ-Forschenden auch, woher die nachgewiesenen Nanoplastikpartikel stammen. Dafür kooperierten sie mit Kollegen des norwegischen Forschungsinstitutes NILU , die das Partikelausbreitungsmodell „Flexpart“ zur Modellierung und Analyse des atmosphärischen Transports von Teilchen nutzen. Unter Berücksichtigung verschiedener Parameter wie Wind, Temperatur, Bewölkung oder Luftdruck konnten sie so für Nanoplastik unterschiedlichster Größe, Dichte und Gewicht modellieren, wo diese ausgehend von ihrem Fundort am Gletscher mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit ihren Ursprung haben.

„Die Nanoteilchen werden in der Modellierung quasi an ihren Ursprungsort geschickt“, sagt Dušan Materić.

Dabei stellte das Forschungsteam fest, dass die Nanokunststoffe höchstwahrscheinlich aus westlicher Himmelsrichtung zu den alpinen Gletschern transportiert werden und sich dort ablagern. An den Standorten, wo Nanoplastik gefunden wurde, kommen zum Teil mehr als 50 Prozent der Partikel vom Atlantik. „Im Meer gibt es sehr viel Makro- und Mikroplastik, das dort zu Nanoplastik zerfällt und beispielsweise über Wellen und Brandung aufgewirbelt wird und schließlich in die Atmosphäre gelangt“, erklärt Dušan Materić. Landseitig haben mit mehr als 10 Prozent die meisten Teilchen in Frankreich ihren Ursprung, danach folgen Spanien und die Schweiz.

Um noch mehr über die Nanoplastik-Belastung auf Gletschern herauszufinden, nimmt Dušan Materić als wissenschaftlicher Leiter am Citizen Science-Projekt GAPS 2024 teil. Es hat zum Ziel, rund um den Globus durch Bergsteigerteams Proben auf Gletschern sammeln zu lassen, die hinterher am UFZ untersucht werden. Einige – etwa aus der Antarktis, Neuseeland und dem Himalaya – sind schon in den UFZ Labors eingetroffen und warten auf ihre Analyse.