
Mit dem Impulspapier „Krisenfest, sozial und umweltgerecht – Impulse zur Entwicklung einer Suffizienzstrategie für Deutschland“ skizzieren Forschende eine nationale Suffizienzstrategie, die auf soziale Innovationen setzt und technische Ansätze der nachhaltigen Transformation ergänzt. Ihre Vision: Suffizienzpolitik soll einen verbindlichen strategischen Rahmen erhalten, ähnlich wie die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie oder die Nationale Wasserstoffstrategie. Denn erst wenn Suffizienz nicht mehr als individuelle Entscheidung Einzelner verstanden wird, sondern als politische Gestaltungsaufgabe, entfaltet sich ihr volles Potenzial für Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Resilienz.
„Suffizienz auf individuelle Verantwortung für Nachhaltigkeit zu verengen wird der gesellschaftlichen Dimension des Konzepts nicht gerecht. Suffizienz ist eine kollaborative Herausforderung und benötigt einen strategischen politischen Ansatz“, sagt Prof. Dr. Frauke Wiese von der Europa-Universität Flensburg, die Leiterin der vom BMBF geförderten Forschungsgruppe EnSu, in der die Strategie als Synthese fünfjähriger Forschung verfasst wurde.
Johannes Thema, Senior Researcher im Forschungsbereich Energiepolitik am Wuppertal Institut, ergänzt: „Wenn Suffizienzpolitik strategisch eingesetzt wird, kann sie nicht nur den Energie- und Rohstoffverbrauch deutlich senken – und damit auch die entsprechenden Kosten und Importabhängigkeiten. Sie sorgt gleichzeitig auch für mehr soziale Gerechtigkeit, reduziert den Druck auf die technischen Lösungsoptionen der Energiewende, wie den Zubau erneuerbarer Energien oder den Netzausbau, und macht Kapazitäten frei für andere soziale und wirtschaftliche Herausforderungen.“ Die Klimaziele ließen sich so schneller und günstiger erreichen.
Konkrete Politikvorschläge für vier Sektoren
Laut dem Weltklimarat der Vereinten Nationen haben nachfrageseitige Optionen – darunter Suffizienz – das Potenzial, die Treibhausgasemissionen in den Endverbrauchssektoren Wohnen, Mobilität und Ernährung um bis zu 70 Prozent zu reduzieren. Diverse wissenschaftliche Arbeiten liefern zwar gute Argumente für Suffizienzpolitik, aber bisher fehlten Studien, die systematisch auf einzelne Handlungsfelder eingehen und konkrete Politikoptionen aufzeigen.
Diese Lücke schließen die Forschenden nun mit ihrem Impulspapier: Nach einer kompakten Einführung ins Thema beschreiben sie Probleme und Hemmnisse in den Sektoren Wohnen, Mobilität, Ernährung und Landwirtschaft sowie Konsum und Produktion. Für jedes der vier Handlungsfelder liefern sie darüber hinaus ein schlüssiges Zukunftsbild, basierend auf Suffizienz jenseits der häufigen Verzichtsdebatte. Der Impuls listet zudem mögliche Indikatoren zur Erfolgsmessung auf – und vor allem: konkrete Vorschläge für geeignete Politikinstrumente.
Suffizienzpolitik wirkt und ist gesellschaftlich mehrheitsfähig
„Um die Politikvorschläge möglichst greifbar und leicht anwendbar zu machen, haben wir sie systematisch analysiert, etwa in Hinblick auf ihr qualitatives und teilweise quantitatives Potenzial für Emissionsminderungen, die groben Kosten und den ungefähren Zeithorizont für die Umsetzung“, erklärt Carina Zell-Ziegler, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Öko-Institut.
Um die politische Machbarkeit zu demonstrieren und Entscheidungsträger*innen Mut für die Umsetzung zu machen, liefern die Forschenden auch Beispiele aus der Praxis für die erfolgreiche Umsetzung der einzelnen Maßnahmen.
„Viele Politiker*innen trauen sich nicht an Suffizienz heran, weil sie Angst haben, bei der nächsten Wahl abgestraft zu werden. Dabei gibt es auf vielen politischen Ebenen Beispiele für erfolgreiche, reibungslos funktionierende Suffizienzpolitiken mit hoher Zustimmung, ob in Göttingen und Paris, in Niedersachsen und Kalifornien oder Deutschland und Neuseeland“, sagt Jonas Lage, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Europa-Universität Flensburg.

Beispiele seien etwa die Stadt der kurzen Wege, in der alle im Alltag wichtigen Orte auch ohne Auto schnell und einfach erreichbar sind, oder gesetzliche Vorgaben zur Langlebigkeit von Produkten und Software, gekoppelt mit Anreizen durch Steuersenkung auf Reparatur-Dienstleistungen oder direkte Zuschüsse für Reparaturen, wie es sie schon in Österreich und Thüringen gibt. Für Suffizienzpolitik stehe aber der gesamte Werkzeugkasten an Politikinstrumenten zur Verfügung, von Förderungen und Subventionen über Besteuerung und Regulierungen bis hin zu Infrastrukturinvestitionen und Initiativen auf EU-Ebene, so die Autoren. Was noch fehle, sei eine übergeordnete Strategie – und der politische Wille zur Umsetzung.
Das Impulspapier wurde am 27. März auf dem „Symposium zu Suffizienzpolitik und -modellierung“ an der TU Berlin vorgestellt und steht über den nachfolgenden Link kostenfrei zum Download bereit. Weitere Politikinstrumente sind über die Energiesuffizienz-Politikdatenbank verfügbar.